Malen vor Wahlen

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Kaum steht eine Wahl bevor, verwandeln sich ganze Straßenzüge in Galerien für Street Art der schlichteren Sorte. Welche mehr oder minder originellen Verzierungen finden sich wohl diesmal auf den Parteiplakaten, deren Einfältigkeit geradezu nach Überarbeitung schreit? Ein kleiner Ausstellungsbesuch: Zahnlücken, Hitlerbärtchen und Teufelshörner dürfen natürlich parteiübergreifend nicht fehlen. Bei den hemmungslosen Nationalisten unter den Politikanbietern herrscht auch in der PR-Abteilung das barbarische Prinzip, das ihrem Weltbild entspricht: Hang ’em high, so dass der Street Artist mit den besonders langen Armen sich hier für abstrakte Kunst im Stile von Malewitsch oder Yves Klein entscheidet und flächig übertüncht. Aber der wahre Könner bemüht sich um die Kombination ­visueller und sprachlicher Elemente und offenbart sich anhand der virtuosen Revision des Werbeslogans. Aus »gemeinsam erfolgreich« der CDU wird so ein »gemein erfolgreich« oder sogar »nsa erfolgreich«. Die politische Stoßrichtung bleibt durch die dezente Abwandlung allerdings ähnlich opak wie bei der ursprünglichen Phrase. Auch wenn bei »so bleibt Deutschland stark« ein »EU-Diktatur« als Untertitel hinzugefügt wird, weiß der Betrachter nicht, was damit nun genau gemeint ist: Diktiert Deutschland also Europa? Oder wird hier im Gegenteil kritisiert, dass die EU zu viel Macht über den braven Nationalstaat habe? Oder wird darauf hingewiesen, dass es EU-Institutionen wie der Europäischen Kommission de facto an demokratischer Legitimation mangelt? Die Künstler bevorzugen offenkundig die Vieldeutigkeit der Aussage, um den Rezipienten selbst zum Nachdenken anzuregen. Mit Blick auf die Umfrageergebnisse der CDU, also deren fortwährende Beliebtheit beim deutschen Wahlvolk, wäre eine andere Bearbeitung, nämlich »einsam erfolgreich«, ­sicher passender. Doch Straßenkunst zeichnete sich ja noch nie durch eine kunstgeschichtliche Rückkehr zum Realismus aus.