Der Machtkampf in Thailand

Juristischer Putsch

Der Machtkampf in Thailand geht weiter. Die Absetzung der Premierministerin Yingluck Shinawatra zeigt, dass die Justiz auf Seite der Royalisten steht.

Thailands Premierministerin Yingluck Shinawatra ist vom Verfassungsgericht abgesetzt worden. Der Vorwurf lautet Machtmissbrauch. Sie soll sich unangemessen in die Versetzung des Vorsitzenden des nationalen Sicherheitsrates, Thawil Pliensri, eingemischt haben, angeblich mit dem Ziel, den Bruder ihrer ehemaligen Schwägerin, Priewphan Damapong, zum Polizeichef zu befördern. Kurze Zeit später befand die Antikorruptionsbehörde Yingluck für schuldig, ihre Aufsichtspflicht im von Schulden und Korruptionsvorwürfen geplagten Reispreisgarantieprogramm verletzt zu haben.
Eine kurze Revue der vergangenen Jahre bestätigt aber das Vorurteil, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind ist. Einzelentscheidungen, die jeweils juristisch nachvollziehbar erscheinen, fügen sich zu einem Gesamtbild, in dem eine royalistisch gesinnte Justiz systematisch gegen die Fraktion des ehemaligen Premierministers Thaksin Shinawatra, Yinglucks Bruder, und damit auch gegen gewählte Regierungen interveniert. Schon beim Sturz Thaksins 2006 spielten die Gerichte eine wichtige Rolle, indem sie seinen Wahlsieg für ungültig erklärten und den darauf folgenden Putsch absegneten. Später intervenierten sie, um Thaksins Nachfolger im Amt, Samak Sundaravej und Somchai Wongsawat, abzusetzen. Ersteren wegen seines Auftritts in einer Kochsendung und den zweiten wegen Unregelmäßigkeiten in einigen Wahlkreisen. Zweimal verboten Gerichte die Thaksin nahestehende Partei, die einstige Thai Rak Thai (Thais lieben Thais), die wegen des Verbots inzwischen Phüa Thai (Für Thailand) heißt.
Gegen Yingluck gingen die Richter besonders akribisch vor. Das Verfassungsgericht stoppte ein Gesetz, das vorsah, dass alle Mitglieder des Senats gewählt werden. Die Hälfte von ihnen wird nun weiterhin auf der Grundlage der Verfassung der Putschisten von 2007 ernannt. Die Richter befanden, dass ein gewähltes Parlament eine solche Gesetzesänderung nicht beschließen könne. Die vorgezogenen Neuwahlen vom Februar, bei denen Phüa Thai wieder einen klaren Wahlsieg errang, wurden für ungültig erklärt, weil sie »nicht an einem Tag stattfanden«. Suthep Thaugsuban und die anderen Führer der royalistischen Protestbewegung, die durch gewaltsame Blockaden die Wählerinnen und Wähler an der Stimmabgabe gehindert hatten, wodurch die Nachwahlen in einigen Wahlkreisen erst nötig wurden, werden jedoch nicht belangt. Dieselben Richter griffen auch direkt in die Regierungspolitik ein. Sie erklärten das ehrgeizige Infrastrukturprogramm der Regierung für verfassungswidrig, das unter anderem Hochgeschwindigkeitszüge vorsah und als Herzstück der keynesianischen Modernisierungspolitik galt.

Die Absetzung von Yingluck und neun Kabinettsmitgliedern wegen der Versetzung eines hohen Beamten zeigt deutlich, dass die thailändischen Richter mit nicht gewählten Senatoren, Armeeangehörigen und Royalisten ein reaktionäres Netzwerk bilden. Der versetzte Beamte Thawil Pliensri war unter der Regierung von Premierminister Abhisit Vejjajiva (2008 bis 2011) sowohl Generalsekretär des nationalen Sicherheitsrates wie auch des »Zentrums für die Lösung von Notfällen«, das damals zur Zerschlagung der Rothemdbewegung ins Leben gerufen worden war. Er ist damit nach Abhisit und dessen Stellvertreter Suthep der Hauptverantwortliche für den Einsatz von Scharfschützen gegen die Rothemden. Diese Scharfschützen erschossen im Mai 2010 unbewaffnete Menschen, die gerade Interviews gaben oder in einem Tempel Schutz suchten. Sowohl Abhisit als auch Suthep sind deswegen mittlerweile wegen Mordes angeklagt. Thawil behauptet nun, dass es keinen Schießbefehl gegeben habe und seitens der Regierung im Mai 2010 nicht zu Gewalt gegen die Rothemden gekommen sei.
Als Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrates unter der Regierung Yingluck hatte Thawil behauptet, es gebe eine Verschwörung gegen die Monarchie, in deren Zentrum Thaksin stehe. Es ist daher kein Wunder, dass Yingluck ihn in eine weniger einflussreiche Position versetzen wollte. Alles andere wäre ein Affront gegen die Rothemden gewesen, die angesichts der Toten vom Mai 2010 Gerechtigkeit fordern. Auch die Versetzung des Polizeichefs Wichean Potephosree verwundert nicht, war er doch ebenso ein Vertrauter Abhisits, der selbst erst auf Druck von Armee, Polizei und Palast den Posten erhielt, um den Aufstieg von Priewphan Damapong, Thaksins Schwager, zu verhindern.
Doch während Ernennungen durch Abhisit oder das royalistische Netzwerk als völlig normal angesehen werden, gilt die Versetzung eines königtreuen Beamten als Machtmissbrauch. Diese Einseitigkeit könnte auch daran liegen, dass alle Verfassungsrichter, mit einer Ausnahme, im Zuge der vom putschenden Militär 2007 durchgesetzten Verfassung ernannt worden waren. Die Anklage gegen Yingluck wurde vom Senator Paiboon Nititawan eingereicht, seinerseits Mitglied der »Gruppe der 40 Senatoren«, der vom royalistischen Netzwerk eingesetzte Senatoren angehören, die gegen die Phüa-Thai-Regierung opponieren. Paiboon forderte das Verfassungsgericht nach seinem Erfolg nun auf, einen neuen Premierminister zu benennen, ganz im Sinne der Protestbewegung um Suthep, die seit längerem eine vom König ernannte Reformregierung als Ersatz für die gewählte Regierung fordert.

Die Korruptionsvorwürfe im sogenannten Reisskandal zeigen aber auch, dass es längst um mehr geht als die Machtkämpfe der Superreichen. Thaksins Erfolg beruhte vor allem auf der Entwicklung eines »Sozialvertrags«, der den ärmeren Schichten zu mehr Wohlstand verhelfen sollte. Ungeschlagen populär war damals sein steuerfinanziertes Gesundheitssystem, durch das die nicht versicherte Mehrheit der Thailänderinnen und Thailänder günstig im Krankenhaus behandelt werden konnte. Auch Yingluck hatte im Wahlkampf 2011 große soziale Verbesserungen versprochen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sollten mit der Verdopplung des Mindestlohns auf 300 Baht (6,69 Euro) pro Tag endlich etwas mehr am wirtschaftlichen Erfolg des Landes teilhaben. Bei der Einführung protestierten Industrievertreter und neoliberale Ökonomen und prophezeiten eine große Kapitalflucht, die schließlich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht stattfand.
Auch das Reispreisgarantieprogramm hatte zum Ziel, dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ein garantiertes Grundeinkommen erhalten, unabhängig von Preisschwankungen am Weltmarkt. Yingluck versprach einen garantierten Mindestpreis von 15 000 Baht (334 Euro) pro Tonne und hoffte, durch eine kluge Verkaufsstrategie den Weltmarktpreis für thailändischen Reis erhöhen zu können. Stattdessen kam es zwischen 2011 und 2013 zu einem Preisverfall auf dem Weltmarkt um fast 30 Prozent. Der Garantiepreis der Regierung lag plötzlich über dem Weltmarktpreis. Die Regierung versuchte zunächst, den Reis zu lagern, um ihn bei einem späteren Preisanstieg wieder abzusetzen, doch die Preise sanken weiter. So blieb die Regierung nicht nur auf 17 Millionen Tonnen Reis sitzen, für den Schätzungen zufolge zehn Milliarden Euro ausgegeben worden waren, Yingluck konnte nach der zweiten Ernte auch den garantierten Preis nicht mehr auszahlen und Bauern warteten monatelang auf das ihnen versprochene Geld.

Angesichts der offenen Duldung der gewaltsamen Proteste der royalistischen Gelbhemden und der Parteilichkeit der Gerichte radikalisiert sich die Rothemdbewegung. Schon Ende Februar versammelten sich etwa Zehntausend Delegierte und Aktivisten der Rothemden in Khon Kaen im Nordosten Thailands, um Forderungen an die Regierung Yingluck zu formulieren und Strategien für den Fall ihrer Absetzung zu diskutieren. Die Delegierten trugen Ideen vor, die vorab von lokalen Gruppen und Netzwerken der verschiedenen Provinzen diskutiert worden waren. In ihren Forderungen an die Regierung drückt sich die Erwartung aus, dass Yingluck sich an die Spitze der Bewegung stellt. Sie verlangen, dass Yingluck zivilen Ungehorsam leistet und Entscheidungen wie ihre Absetzung durch das Verfassungsgericht nicht anerkennt. Falls sie in Bangkok nicht mehr regieren könne, solle sie das vom eher »roten« Norden aus tun und notfalls dort eine Exilregierung bilden. Diese Forderung und Anspielungen auf das alte nordthailändische Reich Lan Na haben zu Entrüstung und Separatismusvorwürfen seitens der Nationalisten geführt.
Gleichzeitig wird eine wachsende Unabhängigkeit der Rothemden und eine kritische Grundhaltung gegenüber der Regierung deutlich. So lautet eine weitere Forderung, dass Yingluck endlich den Reisbauern den versprochenen Preis für ihre Ernte zahlt. Es wird eine Reform der Partei Phüa Thai verlangt und die Anerkennung des internationalen Strafgerichts, worin sich die Unzufriedenheit mit der fehlenden Verfolgung der Verantwortlichen für die Toten vom Mai 2010 ausdrückt.
Am erstaunlichsten sind aber die Vorschläge an die eigene Bewegung, die als Vorbereitungsmaßnahmen für einen Bürgerkrieg gewertet werden könnten. Neben der Ausbildung von Bodyguards für Demonstrationen und der Einrichtung von »sicheren Häusern«, für den Fall, dass Mitglieder in den Untergrund gehen müssen, setzen sich die Rothemden vor allem mit der Armee auseinander. Sie fordern, dass der Polizei bewaffnete Volksmilizen zur Seite gestellt werden und dass sich die Rothemden an der Basis um die Familien der Soldaten kümmern. In jeder Provinz sollen Netzwerke der Soldatenfamilien entstehen, um ihr politisches Bewusstsein zu erhöhen und sie zum Überlaufen zu bewegen, sollte es zum Einsatz der Armee gegen die Rothemden kommen. Nach der Absetzung Yinglucks mobilisieren sie nun nach Bangkok.