Jüdisches Leben in Barcelona

Auf den Spuren von Sepharad

Nach Jahrhunderten der Vertreibung gibt es heutzutage in Barcelona wieder mehrere jüdische Gemeinden. Sie kämpfen mit ähnlichen Problemen wie in anderen Ländern Europas.

»Gibt es Antisemitismus in Berlin?« Jai Anguita beantwortet im Gespräch mit der Jungle World die Frage nach dem Antisemitismus in Spanien mit einer Gegenfrage. Der Präsident der jüdischen Reformgemeinde Bet Shalom in Barcelona räumt die Existenz von Judenfeindschaft in seinem Land bereitwillig ein, möchte sie aber im europäischen Kontext verstanden wissen: Der Antisemitismus in Spanien sei nicht signifikant größer oder kleiner als in den meisten anderen europäischen Ländern. Wie in Deutschland gebe es eine enge Kopplung an israelfeindliche Ausbrüche wie etwa während des Gaza-Krieges im vergangenen Jahr. Heute leben etwa 4 000 bis 5 000 Juden in Barcelona. Sie verteilen sich auf vier Gemeinden: Die älteste, die orthodoxe Comunidad Israelita de Barcelona (CIB), besteht aus etwa 350 Familien. Daneben gibt es die 1992 gegründete Reformgemeinde Atid (Hebräisch für Zukunft), in der vorwiegend aus Argentinien und Chile eingewanderte Juden organisiert sind.

Einer Anekdote zufolge kam es zwischen den orthodoxen, vorwiegend sephardischen Juden der CIB und den aschkenasischen Juden aus Südamerika zum Streit, als letztere bei einem großen Grillfest auf dem Land aus Schweinefleisch hergestellte, also nicht koschere Chorizos auf den Rost legten. Auch die 2006 gegründete Gemeinde Bet Shalom von Jai Anguita folgt einem progressiven Reformritus. Diesen beiden Kongregationen gehören jeweils etwa 80 bis 100 Familien an. Außerdem gibt es eine Niederlassung der orthodoxen Chabad Lubavitsch. Alle vier Gemeinden sind im Internet vertreten, ihre physischen Adressen erfährt man jedoch erst auf telefonische Anfrage. Aus Sicherheitsgründen, wie es unter der Hand heißt. Polizei ist vor den gut gesicherten Gemeindeeinrichtungen allerdings keine zu sehen. Dass es heute in Barcelona und auch in anderen Städten Spaniens ein vielfältiges jüdisches Leben gibt, ist nicht selbstverständlich. Die Geschichte der Juden auf der iberischen Halbinsel reicht zwar weit zurück, war allerdings zeitweilig vollständig unterbrochen.

Bereits zur Römerzeit siedelten Juden auf der Iberischen Halbinsel. Unter islamischer Herrschaft konnten sie relativ unbehelligt ihre Religion ausüben. Im 13. Jahrhundert, nach der christlichen Reconquista, waren es etwa 4 000 Menschen, die in »El Call«, dem Judenviertel von Barcelona, lebten. Es war damit die größte jüdische Ansiedlung in ganz Spanien. Unter den Gemeindemitgliedern fanden sich Ärzte und Handwerker, Händler und Finanziers sowie zahlreiche bekannte Gelehrte und Wissenschaftler. Doch im Jahr 1391 fand die kleine Blüte ein abruptes Ende, als die jüdische Bevölkerung Spaniens durch blutige Pogrome aus den Städten vertrieben wurde. In Barcelona gab es fortan keine jüdische Gemeinde mehr. »Die Christen kamen aus den Kirchen, gingen ins jüdische Viertel und richteteten ein Massaker an«, erzählt Jai Anguita. 2 000 Juden wurden ermordet, die Überlebenden siedelten sich zunächst im nahegelegenen Girona an. 100 Jahre später zwang das Alhambra-Edikt von 1492 die spanischen Juden endgültig, zum Christentum zu konvertieren oder die Iberische Halbinsel zu verlassen. Zwar ließ sich eine Anzahl an Familien taufen und führte ihr Judentum im Geheimen fort. Diese sogenannten Kryptojuden, verächtlich auch als marranos (Schweine) beschimpft, wurden das Objekt des ersten Vorläufers des modernen Rassismus. Denn um sicher zu sein, dass ein Christ nicht heimlich doch ein Jude war, wurden Abstammungsnachweise verlangt, die die »Reinheit des Blutes« bescheinigen sollten. Oft führte die Geheimhaltung der Religion zudem über die Generationen zum Verlust der jüdischen Identität.

Die meisten Juden flohen jedoch nach Nordafrika, ins Osmanische Reich oder nach Mitteleuropa. Damit fand die Geschichte der Juden von Sepharad (Hebräisch für Spanien) für mehrere Jahrhunderte ihr vorläufiges Ende. Wer heutzutage auf der Suche nach den Spuren der jüdischen Geschichte die Altstadt Barcelonas durchstreift, muss die Augen offenhalten. Zur ältesten Synagoge Spaniens, die erst in den neunziger Jahren wiederentdeckt wurde, weist lediglich ein Schildchen den Weg. Von der kleinen Gasse führen ein paar Treppenstufen nach unten. Dort hat Miguel Iaffa, ein aus Argentinien eingewanderter Jude, mit Hilfe von Spendengeldern die Fundamente ausgraben und ein kleines privates Museum einrichten lassen. Die Synagoge besteht aus zwei kleinen Räumen und wird nur noch gelegentlich für Bar Mitzwas oder private Feiern benutzt. Der hintere Teil gehört mittlerweile zu einem Restaurant und ist nicht zugänglich. Auch die ehemaligen Mikwes, die sich in der Carrer des Banys Nous befunden haben, sind in den Kellern von Kleidungs-, Schmuck- oder Kuchengeschäften verschwunden und für Besucher kaum zugänglich. Immerhin wurden vor einigen Jahren Schilder angebracht, die an die jüdische Geschichte des Viertels erinnern.

Auch das »El Call«-Museum bietet in zwei Räumen eine interaktive Ausstellung zur Geschichte der hiesigen Juden. Erst seit 1876 werden Juden in Spanien wieder geduldet. Die Gottesdienste mussten zunächst in Privaträumen stattfinden. 1918 entstand in Barcelona die erste offizielle jüdische Gemeinde im Spanien der Neuzeit – die CIB. Kurze Zeit später gab es auch in Madrid wieder eine Gemeinde. 1924 erließ der Diktator Miguel Primo de Rivera ein Gesetz, demzufolge Nachkommen der 1492 vertriebenen Juden nach Spanien zurückkehren dürfen. Doch mit dem Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 und dem Sieg der Franco-Faschisten gab es neue Rückschläge: Bis zu einem Viertel der Mitglieder der internationalen Brigaden waren jüdischer Abstammung. Die antikommunistische Propaganda der Franquisten bekam einen antisemitischen Anstrich – Juden, Freimaurer, Linke waren für sie synonym. Erst durch die enge Zusammenarbeit Spaniens mit den USA im Kalten Krieg ab Ende der vierziger Jahre war das Regime gezwungen, den Druck auf Juden und Protestanten zu lockern und deren Gottesdienste zu tolerieren. So wurde 1948 die Synagoge der CIB erbaut. Doch die dortigen Schabbat-Feiern fanden in einem makaberen Umfeld statt: »Von 1948 bis 1978 standen Polizisten in gestapoartigen Mänteln jeden Freitagabend vor dem Gebäude, ließen sich die Ausweise der Besucher zeigen und trugen deren Namen in eine Liste ein«, erzählt Jai Anguita und resümiert: »Eine solche Liste bedeutet für Juden nichts Gutes.« Trotzdem wuchsen die jüdischen Gemeinden in Spanien weiter an, auch durch die Einwanderung vieler Juden aus nordafrikanischen Ländern. Doch erst mit der demokratischen Verfassung von 1978 wurde die volle Religionsfreiheit garantiert. Heute sind etwa 40 000 spanische Jüdinnen und Juden in dem Dachverband Federación de Comunidades Judías de España organisiert.