Die Insel der Vernunft

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Zu globaler Berühmtheit kann der Historiker Guðni Th. Jóhannesson es als Gelehrter kaum bringen, denn Forschungsgebiete wie die Kabeljaukriege finden außerhalb Islands nur wenig Interesse. Zu Unrecht übrigens, denn die Geschichte des britisch-isländischen Konflikts um Fischereirechte ist lehrreich. Mit einer Mischung aus direkter Aktion (Durchschneiden der Netze), Ausdauer (der Konflikt dauerte von 1958 bis 1976) und Verhandlungsgeschick (Drohung mit dem Austritt aus der Nato) gelang es dem entmilitarisierten Island, die britische Kriegsmarine zu schlagen. Mit einer vergleichbaren Strategie – erst ein eher symbolischer riot, um die Regierung zu verscheuchen, dann ausdauernde Zurückweisung von Zahlungsforderungen, schließlich Verhandlungen bis zum »Weltrekord im Schuldenerlass« (Lars Christensen, Danske Bank) – gelang es, die Folgen der Finanzkrise ohne verheerende Austeritätspolitik zu bewältigen. Auch darüber hat Jóhannesson ein Buch geschrieben.
Am Samstag, einen Tag vor seinem 48. Geburtstag, wurde er mit 39,1 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt, vor allem weil er jenseits des politischen Establishments steht. Denn mit den Spätfolgen der Finanzkrise hat Island noch immer zu tun. Im April musste Ministerpräsident Sigmundur Davíð Gunnlaugsson zurücktreten, nachdem herausgekommen war, dass er, der als wackerer Kämpfer gegen die Bankenmacht angetreten war, selbst dubiose Offshore-Finanzgeschäfte getätigt hatte. Jóhannesson will sich mit den repräsentativen Aufgaben seines Amtes zufriedengeben. Politische Entscheidungen fallen erst im Herbst bei den Parlamentswahlen. Allerlei Regierungsparteien wurden bereits erprobt, nun gilt die Piratenpartei als Favoritin. Lösen lässt sich die kapitalistische Krise auch unter der Totenkopfflagge nicht, die Isländer bleiben jedoch ihrer Tradition treu, mit Streiks für eine Verbesserung ihrer sozialen Lage zu kämpfen, und kommen weiterhin ohne rechtspopulistisches Krakeelen und linkspopulistischen Theaterdonner aus. Weiter als die Isländer kann man es im Kapitalismus wohl nicht bringen. Das wäre auch einmal eine historische Abhandlung wert.