Die Ukraine hat kaum noch ­Einfluß auf die Krim

Die Krim bleibt krass

Zweieinhalb Jahre nach der russischen Annexion bleibt die Krim ein Ort der Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine. Doch der Einfluss der ukrainischen Regierung auf die Halbinsel wird immer schwächer.

Dieser Tage wird auf der Krim, die seit März 2014 von Russland kontrolliert wird, vor allem an jene Ereignisse erinnert, die sich vor einem Jahr zutrugen. Ende November 2015 blieb auf der Krim plötzlich die Elektrizität aus. Mitglieder der vom krimtatarischen Medschlis geführten »Zivilen Blockade der Krim« hatten die Stromversorgung gekappt. Dadurch war Russland gezwungen, innerhalb weniger Monate die Versorgung wiederherzustellen. So schnell wie möglich mußte ein großes Kabel unter der Straße von Kertsch, einer Meerenge, verlegt werden, das die Krim mit Strom vom russischen Festland versorgt.
»Eigentlich war dieses Projekt nur für den Notfall geplant«, sagt Sergej Aksjonow, der Ministerpräsident der Republik Krim. »Wir bauen gerade zwei Kraftwerke, die bis 2019 fertig sein sollen. Bis dahin wollten wir uns mit dem ukrainischen Strom versorgen. Dafür sind wir jetzt deutlich früher als geplant in Energiefragen von der Ukraine unabhängig.« Der Preis dieser Unabhängigkeit ist allerdings hoch. Nach offiziellen Angaben kostete die Errichtung der sogenannten Energie­brücke etwa 47 Milliarden Rubel, das sind umgerechnet 660 Millionen Euro. Expertenkreise spekulieren darüber, ob die wahre Summe noch höher liegt. »Das Wichtigste ist trotzdem, dass sich die Bewohner der Krim keine Sorgen mehr machen müssen«, so Aksjonow.
Während sich die Stromkrise anscheinend erledigt hat, auch wenn es im Winter immer noch zu Stromausfällen kommen kann, spitzt sich der Krim-Konflikt zwischen Russland und der Ukraine auf einer anderen Ebene zu. Seit Anfang November häufen sich die Nachrichten über angebliche Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes, die vom Inlandsgeheimdienst Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation (FSB) auf der Krim festgenommen wurden. Am 9. November meldete der russische Staatssender Rossija 24, der FSB habe eine Gruppe sogenannter »ukrainische Diversanten« festgenommen, die auf der Schwarzmeerhalbinsel Anschläge geplant haben soll. Seitdem reißt die Serie der Festnahmen nicht ab, auch die Ukraine sprach von der Verhaftung zweier russischer Soldaten auf der Krim. Die ukrainischen Behörden sagten der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge, es handele sich um übergelaufene ukrainische Soldaten, denen Verrat vorgeworfen werde. Ein Sprecher der russischen Schwarzmeerflotte sagte der staatlichen Agentur Tass, die Soldaten seien beim Grenzübergang festgenommen worden.
»Es ist nicht leicht, diese Situation zu durchblicken«, gibt der Journalist Wladislaw Ossipow zu bedenken. Er lebt in Sewastopol, der größten Stadt auf der Krim. Zwar hält er die Meldungen des FSB nicht für glaubwürdig, doch er hat trotzdem Bedenken. »Die Russen haben angebliche ranghohe Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes präsentiert, das sind schon schwere Vorwürfe. Da könnte eventuell was dran sein«, sagt der Journalist.
»Die Methoden, die der FSB mittlerweile einsetzt, sind inakzeptabel«, sagt Oleksander Tkatschuk, Sprecher des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes Sluschba bespeky Ukrajiny (SBU). »Wir schließen nicht aus, dass die Russen vor allem die Leute festgenommen haben, die sie erfolgslos rekrutieren wollten.« Nach der Zuspitzung Anfang August, als angebliche »ukrainische Diversanten« nach Informationen des FSB die Grenze zur Krim überqueren wollten, ist dies bereits die zweite Krise in diesem Jahr.
Aber auch auf diplomatischer Ebene wird es nicht ruhiger. Mitte November hat das Dritte Komitee der UN-Generalversammlung, das sich mit den Menschenrechten beschäftigt, eine Resolution zur Lage auf der Krim verabschiedet. Der stellvertretende ukrainische Außenminister Serhij Kislyzja sagte, die Menschenrechtslage auf der Krim habe sich seit der Besetzung durch Russland »deutlich verschlechtert«. Es gebe »Tötungen, Einschüchterung, willkürliche Inhaftierungen, Folter« sowie Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Mit der Resolution hat die Generalversammlung Russland dazu aufgerufen, die auf der Krim gesetzeswidrig inhaftierten ukrainischen Staatsbürger unverzüglich freizulassen und die Entscheidung rückgängig zu machen, das Regierungsorgan der Krim­tartaren aufzulösen. »Diese Resolution ist ein weiterer Schritt zur Befreiung der Krim«, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in der vergangenen Woche während des EU-Ukraine-Gipfels in Brüssel.
So richtig kann man sich in Kiew aber nicht über das Ergebnis der Abstimmung in der UN-Generalversammlung freuen. Die Unterstützung für die Resolution war nur mäßig. 73 Länder stimmten dafür, 23 dagegen – und 76 Staaten enthielten sich. Gegen den Text stimmten außer Russland unter anderem China, Syrien, der Iran, Nordkorea, Indien, Südafrika, Serbien und Venezuela. Die EU-Staaten stimmten für die Resolution und forderten Sanktionen gegen die Duma-Abgeordneten, die bei der russischen Parlamentswahl im September 2016 auf der Krim gewählt wurden. Die Europäische Union stellt die Legitimität der Staatsduma anders als die Ukraine nicht in Frage.
»Noch nie waren wir so unabhängig von der Ukraine wie jetzt«, sagt Wladimir Konstantinow, der Vorsitzende des Krim-Parlaments. Mit dem Ende der Stromkrise hängt die Krim in der Energiefrage nicht mehr von der Ukraine ab, die Lebensmittel werden schon längst vom russischen Festland aus auf die Halbinsel geliefert. »Ich verstehe nicht, warum die Ukraine ihren Einfluß auf der Krim so schnell verliert«, gesteht der Journalist Ossipow. »Bräuchte die Halbinsel noch Strom aus der Ukraine, könnte Kiew das als Druckmittel gegenüber Moskau einsetzen, das Gleiche gilt für die Versorgung mit Lebensmitteln.« Das ursprüngliche Ziel, durch die Krim-Blockade die Menschenrechtslage auf der Halbinsel zu verbessern, ist nicht erreicht worden.
Während in Kiew darüber diskutiert wird, in der ukrainischen Verfassung die »Autonome Republik Krim« durch die »Krimtatarische Autonome Republik Krim« zu ersetzen, könnte sich der Bau einer Brücke über die Straße von Kertsch als entscheidend für die ukrainische Zukunft der Halbinsel erweisen. Das größte Problem, das Russland mit der Krim hat, ist immer noch die fehlende Landverbindung. Sowohl in der Ukraine als auch in Russland wurden Scherze über den Bau der Kertsch-Brücke zum running gag. Seit Anfang 2016 wird die 19 Kilometer lange Brücke aber tatsächlich gebaut. Bisher läuft vieles nach Plan. Die Kosten von umgerechnet 3,2 Milliarden Euro sind allerdings immens.
»Die Brücke ist nicht die Antwort auf alle Fragen, doch sie wird unsere Lage verbessern«, sagt Ministerpräsident Aksjonow. »Es wird kein Risiko mehr geben, dass wegen eines Sturms die Krim ohne Lebensmittel vom russischen Festland bleibt – und auch für die Tourismusbranche ist die Brücke eine Erleichterung.« Bisher müssen russische Touristen entweder mit dem Flugzeug in die Hauptstadt Simferopol fliegen oder mit der Fähre über die Straße von Kertsch fahren. 2019 soll die Brücke eröffnet werden. Der direkte Weg auf die Halbinsel ist dann frei. Was aber bleibt, ist die politische und wirtschaftliche Isolation der Krim. Sie hängt mit dem Bau der Brücke nur begingt zusammen.