Die Machtverhältnisse in der ­Golfregion werden neu geordnet

Auf schlechte Nachbarschaft

Der Machtkampf zwischen dem saudischen Königshaus und dem Iran eskaliert. Er könnte die gesamte Region zu zerrütten.

Es war mehr als ein diplomatischer Zwischenfall: Fünf arabische Staaten schlossen die Land- und Luftwege nach Katar, beriefen Diplomaten ab und forderten katarische Bürgerinnen und Bürger auf, innerhalb von zwei Wochen auszureisen.

Der Vorstoß des saudischen Königshauses wäre ohne die Unterstützung von US-Präsident Donald Trump kaum möglich gewesen. Nachdem sich die US-amerikanische Außenpolitik unter dessen Amtsvorgänger Barack Obama aus der Region weitgehend zurückgezogen hatte, scheint Trump nun das Gegenteil anzustreben. Welchen Plan er dabei verfolgt, ist unklar, so widersprüchlich sind seine Signale. Bei seinem Besuch in Riad Anfang Juni rief er die saudische Regierung dazu auf, entschlossen gegen islamistischen Terrorismus vorzugehen. Wenig später lobte er den Katar-Boykott, um kurz danach von einem Sprecher betonen zu lassen, dass für die US-Regierung die »Einheit in der Region« unabdingbar sei. Fast gleichzeitig wurde ein Waffengeschäft zwischen den USA und Katar im Wert von zwölf Milliarden Dollar bekannt.

Die Auswirkungen des Boykotts sind noch nicht absehbar. Das türkische Parlament beschloss, Truppen auf einen Stützpunkt in Katar zu verlegen, um das Emirat zu unterstützen. Die Regierung in Ankara, die sich noch vor kurzem als künftige sunnitische Führungsmacht betrachtete, könnte sich damit in der Region endgültig isolieren. Für Israel hingegen ergibt sich die historische Option, einer strategischen Allianz mit den Staaten des Golf­rates gegen den Iran. Irans Außenminister Mohammed Javad Zarif sprach nach dem Anschlag des »Islamischen Staats« (IS) in Teheran, für den die iranischen Revolutionsgarden unter anderem Saudi-Arabien verantwortlich machen, von einer Eskalation. Alles zusammen ergibt eine explosive Mischung.
Schließlich befindet sich die gesamte Region an einem Wendepunkt. Mit der sich abzeichnenden Niederlage des IS in Syrien und im Irak werden die Machtverhältnisse in den jeweiligen Ländern neu geordnet. Weiter reichen die Folgen der ökonomischen Veränderungen, die sich bereits jetzt bemerkbar machen. Der Iran könnte nach dem Atomabkommen seine wirtschaftliche Isolierung überwinden. Zugleich neigt sich das Erdölzeitalter dem Ende zu, was bereits jetzt in Saudi-Arabien spürbar ist.

Mit der sich abzeichnenden Niederlage des IS werden die Machtverhältnisse in den jeweiligen Ländern neu geordnet.

Jahrzehntelang beruhte der stetig wachsende Reichtum des Königreichs auf seinen enormen Erdöl- und Gas­reserven, mit denen sich der Staatshaushalt bequem finanzieren ließ. Doch seit der Ölpreis fällt, reichen die Einnahmen nicht mehr aus. Im vergangenen Jahr musste die Regierung in Riad ein Staatsdefizit von 87 Milliarden Euro hinnehmen, in diesem Jahr könnte es sogar noch höher ausfallen. Weil die Regierung sparen muss, will sie nun erstmals eine Mehrwertsteuer erheben und Subventionen kürzen. So hat sich vor zwei Wochen der Preis einer Packung Zigaretten fast verdoppelt, auch die beliebten Limonaden und andere gezuckerte Getränke sind sehr viel teurer geworden, weil sie nun besteuert werden. Was wie eine banale bürokratische Maßnahme erscheint, markiert einen tiefgreifenden Wandel in einem Land, dessen Bürger bis vor kurzem Steuern so gut wie gar nicht kannten.

Solchen Luxus kann sich das Königshaus nicht mehr leisten. Seit 1970 hat sich die Bevölkerungszahl verfünffacht. Von den rund 30 Millionen Einwohnern sind ein Drittel Arbeitsmigranten. Rund 40 Prozent der Saudis sind nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) arbeitslos. Ein Drittel der einheimischen Bevölkerung ist jünger als 19 Jahre. Lange Zeit konnten mit Hilfe der üppigen Erdöleinnahmen soziale Probleme für die Einheimischen vermieden werden. Wer wollte, fand einen gutbezahlten Job im Staatsdienst, fast 90 Prozent aller Beschäftigten arbeiten dort. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Bereits vor zwei Jahren bezeichnete der Bundesnachrichtendienst (BND) das Königreich in einer Analyse als »ein Pulverfass«. Die vorsichtige diploma­tische Haltung der älteren Führungsmitglieder der Königsfamilie werde »durch eine impulsive Interventions­politik ersetzt«, hieß es darin. Das Land befinde sich in einem Spannungsfeld zwischen einem »außenpolitischen Paradigmenwechsel und innenpolitischer Konsolidierung«.
Diese innenpolitische Konsolidierung versucht die Regierung mit dem ehrgeizigen Plan »Saudi Vision 2030« voranzutreiben. Das Land soll seine Abhängigkeit vom Erdölexport überwinden und sich stattdessen zu einer »von Investitionen getriebenen Ökonomie« transformieren. Die notwendigen Mittel stellt ein staatlicher Investitionsfonds in Höhe von rund 2 000 Milliarden US-Dollar zur Verfügung, eine Summe, die der jährlichen Wirtschaftsleistung Italiens entspricht.

Um die ambitionierten Pläne zu verwirklichen, muss Saudi-Arabien seine regionale Vormachtstellung gegenüber dem Iran behaupten. Die Islamische Republik hat in den vergangenen Jahren in der Region enorm an Einfluss gewonnen und steht kurz davor, den lang gehegten Traum eines Korridors zum Mittelmeer zu realisieren. Nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen könnte der Iran über zusätzliche Mittel ver­fügen, um seinen Einfluss auszubauen. Ein Alptraum­szenario für die saudische Regierung.

Doch auch der Iran steht vor großen Umbrüchen. In den vergangenen Jahren intervenierte das Land militärisch unter anderem im Irak sowie in Syrien und positionierte sich als regionale Ordnungsmacht. Fraglich ist jedoch, wie sich der Iran, dessen Bruttosozialprodukt gerade mal jenem von Österreich entspricht, dauerhaft die aufwendigen Interventionen leisten kann. Hinzu kommt, dass sich die Bevölkerung in den vergangenen vier Jahrzehnten auf nun über 81 Millionen verdoppelt hat. Etwa 70 Prozent der Einwohner sind jünger als 30 Jahre. Für viele von ihnen gibt es keine Arbeitsplätze und keine Perspektive. Die iranische Führung muss bald wirtschaftliche Erfolge vorweisen, wenn sie gravierende so­ziale Spannungen vermeiden will.

Nach dem Abschluss des Atomabkommens besteht nun zumindest theoretisch die Chance, das Land umfassend zu modernisieren und lange verschobene Infrastrukturprojekte zu verwirklichen. Dem aktuellen Fünfjahresplan zufolge sind mehr als 200 Milliarden Dollar für Investitionen notwendig. Der Iran kann allerdings allenfalls zwei Drittel davon selbst aufbringen, der Rest müsste vom Ausland finanziert werden.

Derzeit engagiert sich vor allem Russland, unter anderem im Transport- und Energiesektor sowie beim Ausbau des Atomkraftwerks Buschehr. Mit westlichen Firmen kommen bislang kaum Geschäfte zustande. Nach wie vor sind US-Sanktionen in Kraft, die Bankgeschäfte mit dem Iran unter Strafe stellen. Wer dort investiert, kann nicht mehr in den USA geschäftlich ­tätig sein. Eine Änderung ist nicht in Sicht. Erst Ende vergangener Woche hat die US-Regierung neue Sanktionen ­gegen den Iran beschlossen. Ohne internationale Bankenbeteiligung werden ausländische Unternehmen nicht im Iran investieren. So zeigen sich auch viele deutschen Firmen enttäuscht von der Entwicklung auf dem iranischen Markt, von dem sie sich so viel versprochen hatten.

Damit bietet der saudischen Regierung eine zeitlich befristete Chance, den iranischen Machtzuwachs aufzuhalten. Saudi-Arabien verfügt über die Ressourcen, um einen wirtschaftlich limitierten Iran in die Defensive zu drängen, zumal es nun wieder mit starker Unterstützung von Seiten der USA rechnen kann. Für Trump ist das Königreich nicht nur der wichtigste Verbündete, um den Iran klein zu halten, sondern auch ein äußerst attrak­tiver Geschäftspartner. Dennoch muss der kalte Krieg am Golf nicht unbedingt heiß werden. Einen weiteren Waffengang mit voraussichtlich verheerenden Folgen kann sich angesichts der immensen wirtschaftlichen Probleme eigentlich keiner der beteiligen Staaten leisten.