In Bochum wurde ein Haus besetzt

Squatten gegen die Wohnungsnot

In hippen Großstädten wie Hamburg oder Berlin wird ständig irgendwo gegen die Verdrängung aus einem Szenekiez protestiert. Im Ruhrgebiet sieht das anders aus. Eine Hausbesetzung in Bochum veranschaulicht, worum es geht.

Seit etwa einem Monat sind die Besetzer in dem Gebäude in der Herner Straße 131 in Bochum. Am Abend des 19. Mai hatten sie das Haus besetzt und via Twitter und Indymedia eine kurze Erklärung verbreitet. Bezahlbarer Wohnraum sowie »Räumlichkeiten für unkommerzielle Kulturprojekte und politische Initiativen« sollten entstehen. Der erste Abend der Besetzung verlief ein wenig hektisch. Schnell trafen Unterstützer ein, die in der Innenstadt eigentlich für eine »Stadt für alle« demonstrieren wollten. Auch die Polizei tauchte früh mit mehreren Streifenwagen auf.

Doch dann zogen die Beamten ab, eine Schlägerei in der »Bermuda­dreieck« genannten Kneipenmeile forderte ihre Aufmerksamkeit. Seitdem werkeln die Besetzer unbehelligt in ihrem Haus. In den vergangenen Wochen nutzten sie die Zeit für Verschönerungen im Garten, den Einbau einer Küche und die Herrichtung des Ladenlokals im Erdgeschoss zu einem Veranstaltungsraum. Konzerte, Diskussionsveranstaltungen und Filme gab es bisher – das finden auch viele Nachbarn gut. Bianca*, eine der Besetzerinnen, erzählt von der Bewohnerin eines angrenzenden Hauses, die sich erst bitter beschwert habe, weil sie in einem Dreischichtenrhythmus arbeite und Lärm in der Nachbarschaft nicht gebrauchen könne. Dann habe man sich im Hof getroffen und die Besetzer hätten erklärt, was sie wollen. Daraufhin habe die Nachbarin sogar ihre Hilfe angeboten. Bianca strahlt, als sie das erzählt und sagt: »Ich hätte nicht gedacht, dass Leute ihre Meinung um 180 Grad ändern können.«

Stadtpolitisch engagierte Menschen im Ruhrgebiet freuen sich über die ­erfolgreiche Hausbesetzung in Bochum. Die Journalistin Alexandra Gehrhardt arbeitet beim Straßenmagazin Bodo regelmäßig zu Themen wie Mieten und kulturellen Freiräumen. Die Besetzung rufe »das Problem Wohnungsnot« ins öffentliche Bewusstsein, sagt Gehrhardt. In Städten wie Bochum oder Dortmund sei nicht die Gentrifizierung das zentrale Problem, sondern der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Für viele Sozialwohnungen sei in den vergangenen Jahren die Mietpreisbindung ausgelaufen. Der Neubau von Sozialwohnungen sei vernachlässigt worden. Solange die Städte im Ruhrgebiet schrumpften, sei das kein Problem gewesen, aber inzwischen wüchsen sie wieder. Gehrhardt sagt, die Verdrängung treffe dort nicht die Mittelschicht, sondern die »Ärmsten der Armen« – in der Dortmunder Nordstadt etwa Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien.

Martin Krämer engagiert sich im Netzwerk »Stadt für alle«. Auch er freut sich über die Besetzung. In den Ruhrgebietsstädten gebe es viele leerstehende Gebäude, die für Wohn- und Kulturprojekte genutzt werden könnten. Im Gegensatz etwa zu Hamburg oder Berlin lohne es sich hier ökonomisch oft nicht, sogenannte Schrottimmo­bilien aufzukaufen und aufwendig zu sanieren. Viele Häuser, auch das kürzlich besetzte in Bochum, gehörten Menschen, die finanziell nicht in der Lage seien, diese Gebäude instandzuhalten. Ein anderes Problem sei der »Konservatismus« von privaten, aber auch öffentlichen Vermietern, sagt Krämer. Diese seien häufig nicht offen für Zwischennutzungen oder Mieter mit ungewöhnlichen Konzepten. Sie erwarteten noch immer dauerhafte Gewerbemieter, beispielsweise Handwerksbetriebe. Für Bochum hofft Krämer in diesem Punkt auf Veränderungen durch den relativ jungen Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD). Der sei ein wenig »offener« für selbstorganisierte Projekte und wolle studentisch geprägte Kultur in in der Ruhrstadt etablieren.

Für Krämer ist aber noch etwas anderes wichtig. Er sagt, man könne nicht von »dem Ruhrgebiet« sprechen. Dafür seien die Städte viel zu unterschiedlich. Duisburg sei noch stärker von ­Industrie geprägt als Dortmund oder Bochum. Dort sei die Stadtverwaltung auch weniger flexibel. In den Städten im nördlichen Ruhrgebiet wie Gelsenkirchen oder Herne sei die Armut besonders groß. Wer im Ruhrgebiet erfolgreich Kampagnen für ein »Recht auf Stadt« machen wolle, der müsse es schaffen, die kreative Mittelschicht und die von Armut betroffene Bevölkerung unter einen Hut bekommen. »Das ist die Herausforderung in der Region«, so Krämer.
Ob das den Hausbesetzern in Bochum gelingt, ist offen. Für Donnerstag dieser Woche war eine Zwangsverstei­gerung angesetzt. Kurz vorher wurde das Haus überraschend verkauft. An wen, das müssen die Besetzer nun herausfinden. Durch die neuen Eigentumsverhältnisse könnte eine schnelle Räumung drohen.

* Name von der Redaktion geändert.