Eine Gewerkschaftsdiskussion über Israel-Boykott erwies sich als ernüchternd

»Gewerkschaftlich irrelevant«

Raucherecke Von Martin Brandt

RauchLöblich klang zunächst die Ankündigung der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) Berlin, sich bei einer Veranstaltung in den eigenen Räumen kritisch mit der grassierenden Solidarisierung internationaler ­Gewerkschaften mit der antisemitischen Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions«, kurz BDS, auseinanderzusetzen. Das Thema stand am Freitagabend voriger Woche nicht ohne Grund auf der Tagesordnung, haben sich doch kürzlich einige jener Gewerk­schaften, mit denen die FAU kooperiert, den Forderungen nach einem Boykott Israels angeschlossen. Einem Bericht von Martin Hauptmann in der Jüdischen Allgemeinen zufolge sind es nun sieben der 340 im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) zusammen­geschlossenen Organisationen.

Zur Diskussion geladen hatte die »Antisemitismus-AG« der FAU die Bloggerin Detlef Georgia Schulze und Mark Richter von der ­Bremer Gruppe der internationalen »Industrial Workers of the World« (IWW). Richter wies allerdings sogleich dezent darauf hin, er vertrete keine Gruppenposition, als er den kontroversen Diskussionsverlauf seiner Gewerkschaft zu BDS rekapitulierte.
Schulze erinnerte im Zusammenhang mit der Bewertung der BDS-Kampagne zunächst an die syndikalistischen Statuten, nach denen jeder Nationalismus abzulehnen sei, und kritisierte die von BDS geforderte Rückkehr der 1948 vertriebenen oder geflüchteten Araber als »Einstaatenlösung durch die Hintertür« und als »Revanchismus«. Israel sei als bürgerlicher Staat nicht rassistischer als andere bürgerliche Staaten, der von BDS gezogene Vergleich Israels mit Südafrika sei unangemessen. Die »einseitige« Forderung nach der Aufgabe der 1967 von Israel besetzten Gebiete sei nur dann legitim, wenn auch die »Feindseligkeit« gegenüber Israel aufhöre.

Die Freude der Moderation darüber, dass in einem anarchosyndikalistischen Rahmen Schulze »sieben Mal Lenin« zitiert habe, ­wurde jedoch dadurch geschmälert, dass das Wort Antisemitismus an diesem Abend nicht häufiger als drei Mal fiel – davon bereits zwei Mal im Kontext mit der Nennung des AG-Namens. Wo die »Leninistin« Schulze Antisemitismus stillschweigend als Rassismus ­kategorisierte, tat der Privatmensch Richter den Israelboykott einfach als »Quatsch« ab.

Wer aber nur über einen rudimentären Begriff von Antisemitismus verfügt und diesen für die gewerkschaftliche Debatte über BDS als irrelevant erachtet, »weil man als Gewerkschaft ja auch keine Positionierung zum ADAC« haben müsse, wie ein anderes FAU-Mitglied aus dem Publikum sagte, der darf sich nicht wundern, dass seine Veranstaltung alsbald von einer Handvoll alerter BDS-Aktivisten samt israelischem Kronzeugen als authentischem Kritiker des israelischen »Apartheidregimes« ohne größeren Widerstand gekapert werden kann. Diese brachten verschiedenste antisemitische Verschwörungstheorien von der Brunnenvergiftung bis zur Gründung der Hamas als Erfindung des israelischen Geheimdienstes vor, ohne dass die Moderation, entgegen ihrer Ankündigung zu Beginn der Veranstaltung, dagegen eingeschritten wäre. Lieber ließ man sich zu einem entspannten Kaffee in die BDS-Räumlichkeiten einladen, um sich dort ein »eigenes Bild« von der Kampagne zu machen.