Die Gedenkpolitik in Dresden bleibt dem Opfermythos verhaftet

Täglich grüßt die Nazidemo

In Dresden trauern Neonazis und Normalbürger jährlich um die ­deutschen Kriegstoten und die zerbombte Frauenkirche. Der Opfer­mythos eint in Sachsen nahezu alle.

Sächsische Nazis sind zumindest nicht faul. Mit der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 befassen sich in diesem Jahr mindestens sechs rechte Veranstaltungen binnen einer Woche. Neben dem nach wie vor wöchentlich stattfindenden Pegida-Spaziergang präsentieren sich Holocaust-Leugner, Freie Kameradschaften, AfD und rechte Splittergruppen auf den Straßen der sächsischen Landeshauptstadt im täglichen Wechesl.

Wie schwer es Antifaschisten in Sachsen haben, hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt. Erinnert sei an die Ermittlungen und Prozesse gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König oder den fünf Jahre dauernden Prozess gegen den Berliner Antifaschisten Tim H. Vor Ort kennt jeder irgendwen, der in einem der Verfahren ­gegen den sogenannten »militanten Linksextremismus« in Sachsen schon mal im Visier der Ermittlungsbehörden stand. Zwischen 2010 und 2017 wurde wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (Paragraph 129 StGB) gegen mehr als 50 Menschen und deren Umfeld ermittelt, ohne dass es bis zum heutigen Tage zu einer einzigen rechtskräftigen Verurteilung kam.

 

Eine Ironie der Geschichte ist die Tatsache, dass es Linke waren, die den Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Jahr 1982 erst ins öffentliche Bewusstsein zurückbefördert haben.

 

Wer noch nie Gegenstand einer Funkzellenabfrage war, kann sich darauf verlassen, dass dies sich spätestens nach dem Besuch einer linken Demonstra­tion in Sachsen ändert. Sächsische Behörden haben in der Vergangenheit mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie diesbezüglich nichts anbrennen lassen. Trotzdem gibt es auch in Sachsen nach wie vor Menschen, die unter widrigsten Umständen an einer Gegenkultur arbeiten.

Untrennbar bleibt die radikale Linke in Dresden mit dem 13. Februar verbunden. Eine Ironie der Geschichte ist die Tatsache, dass es Linke waren, die den Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Jahr 1982 erst ins öffentliche Bewusstsein zurückbefördert haben. Die Förderung des Gedenkens in Dresden war nach 1965 weitgehend eingeschlafen, als sich am Abend des 13. Februar 1982 eine Gruppe von friedensbewegten Hippie-Jugendlichen an der Frauenkirche traf. In stiller Andacht, möglichst unangreifbar für die Staatssicherheit, legten sie Kerzen und Blumen ab, um gegen die Aufrüstung im Kalten Krieg zu demonstrieren. Ohne das Zutun der ursprünglichen Initiatoren wurde dieses Gedenken in den folgenden Jahren immer beliebter und gehört zu den Mythen über den Ursprung der sogenannten Friedlichen Revolution 1989. Die damit einhergehende Entkontextu­alisierung und Entpolitisierung des Datums wurde zum Katalysator für den Dresdner Opfermythos.

In den neun­ziger Jahren passte kein Blatt zwischen bürgerliche Mitte, Stadtverwaltung und Nazis bei der Frage, ob Dresden als unschuldige Stadt sinnlos zerstört worden sei. Um in Dresden ein Opfer des Bombardements zu sein, musste man den 13. Februar 1945 noch nicht einmal persönlich miterlebt haben. Ein chronischer Phantomschmerz wurde familiär weitergegeben und auf allen politischen Ebenen gepflegt.

Die meisten Dresdner und Dresdnerinnen nahmen das Angebot zur Schuldabwehr gerne an, denn ­damit war jede Diskussion über Täterschaft und Verantwortung für die Shoah schnell unter einem Haufen weißer Rosen für Dresden begraben. Die Stadt sah sich sogar in einer Reihe mit Au­schwitz, Buchenwald und anderen ­Orten nationalsozialistischer Barbarei. In einem Stelenkreis auf dem Heidefriedhof, der diese Deutung symbolisiert, legten seit den neunziger Jahren jedes Jahr Oberbürgermeisterin, Stadtratsfraktionen und Neonazis gemeinsam Kränze nieder. Die Bombardierung Dresdens stand, neben den Erzählungen über die Vertriebenen, exemplarisch für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges.

 

Die Stadt der deutschen Opfer

 

Diesen Opfermythos griffen antideutsche Gruppen bereits ab Ende der neunziger Jahre an, indem sie versuchten, ihn mit teilweise provokative Aktionen zu durchbrechen. Mit Installationen, Texten und Demonstrationen wurde auf Dresdens Rolle im Nationalsozi­alismus hingewiesen. Das stille Gedenken an der Frauenkirche wurde mit Konfetti, Leuchtraketen und knallende Sektkorken gestört. Den seit 20 Jahren jährlich stattfindenden Neonazi-Aufmarsch sahen die Protestierenden nur als Symptom der revisionistischen Programmatik in der städtischen Geschichtspolitik. Trotzdem versuchten sie immer wieder, ihn zu stören oder zu verhindern. Aber bis auf eine er­folgreiche Sitzblockade im Jahr 2006 blieben sie erfolglos.

 

Im Gegensatz zur Situation vor etwa zehn Jahren kommen auch die offiziellen Repräsentanten der Stadt heut­zutage nicht mehr umhin, die Bombardierung Dresdens im Kontext der Geschichte der Stadt als nationalsozialistische Hochburg zu thematisieren

 

Vielmehr entwickelte sich der Neonazi-Aufmarsch zu einem der größten in Europa. Bis zu 8 000 Menschen nahmen teil. Bemühungen der Zivilgesellschaft, mit Gegendemonstrationen und sogenannten Demokratiemeilen eine größere Menge von Menschen zu mobilisieren, blieben erfolglos.

Erst mit Hilfe bundesweit agierender antifaschistischer Gruppen konnten ab 2009 größere Bündnisse geschlossen werden. In der Folge entstand 2010 »Dresden nazifrei« als Plattform für Massenblockaden. Mit dem Bündnis wurde eine neue Ära des Protests gegen den Naziaufmarsch eingeläutet. Tatsächlich haben diese Blockaden dazu geführt, dass sich die Teilnehmerzahlen der jährlichen Neonazi-Aufmärsche deutlich verringerten. Selbst rabiate staatliche Repression, die 2011 zu schweren Ausschreitungen führte, konnte den Erfolg der antifaschistischen Blockaden nicht verhindern. Eine Zeitlang schien es fast, als würde der jährliche Aufmarsch Geschichte.

Die Bombardierung Dresdens dient innerhalb der Neonaziszene nach wie vor als sinnstiftendes Element völkischer Identität. Am 10. Februar 2018 nahmen rund 600 Neonazis am traditionellen Gedenkmarsch teil. AfD-Anhänger legten am 13. Februar in der Innenstadt Kränze nieder. Regionale Antifa-Gruppen störten diese Zeremonie. Am kommenden Samstag werden wenige Hundert Neonazis zu einer Demonstration des Holocaust-Leugners Gerhard Ittner in Dresden erwartet. Sie wollen vom Postplatz in den Stadtteil Neustadt marschieren.

Angesichts der rückläufigen Teilnehmerzahlen auf den jährlichen Neo­nazi-Demonstrationen hatten linke Gruppen mehr Kapazitäten, inhaltlich zu arbeiten. Auch wenn das Bündnis »Dresden nazifrei« seinen Zenit inzwischen weit überschritten hat, konnte ein von ihm organisierter jährlicher Täterspurenmahngang regelmäßig über 1 000 Menschen mobilisieren. Täterschaft und Verantwortung wurden so als zentrale Punkte der Auseinandersetzung mit dem 13. Februar gesetzt. Im Gegensatz zur Situation vor etwa zehn Jahren kommen auch die offiziellen Repräsentanten der Stadt heut­zutage nicht mehr umhin, die Bombardierung Dresdens im Kontext der Geschichte der Stadt als nationalsozialistische Hochburg zu thematisieren. Die Kranzniederlegung auf dem umstrittenen Heidefriedhof ist kein offi­zieller Staatsakt mehr, sondern lediglich eine von vielen dezentralen Ver­anstaltungen. Die kontinuierliche linke Kritik und die Bemühungen der vergangenen 20 Jahre waren zumindest in dieser Hinsicht durchaus erfolgreich.

Die Veränderungen im städtischen Gedenken bleiben jedoch nicht unwidersprochen. Der amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) musste im vorigen Jahr sein Wohnhaus über mehrere Wochen von Polizisten schützen lassen, weil er als erster Bürgermeister in der Geschichte der Stadt gesagt hatte, dass »Dresden keine unschuldige Stadt« gewesen sei. Solche Äußerungen rufen noch immer viel Hass hervor. Die offizielle städtische Linie setzt inhaltlich inzwischen auf ­pazifistische Elemente und proklamiert Frieden und Versöhnung als Lehren des 13. Februar. Pazifismus ausgerechnet im Kontext einer Stadt zu beschwören, deren Bombadierung für die Niederschlagung Nazideutschlands steht, ließe genügend Raum für eine neue linke Kritik. Zwischen Freital, Heidenau, Bautzen, Wurzen und Plauen ist der Spielraum für eigene Impulse linker Gegenöffentlichkeit allerdings sehr knapp bemessen.