Proteste gegen die Silbermine El Escobal in Guatemala

Giftiges Silber

Reportage Von Nis Melbye

Seit Jahren gibt es Proteste der Anwohner gegen die Silbermine El Escobal in Guatemala. Die Auseinandersetzungen kosteten bereits mehrere Menschenleben. Zwar wurde die Abbaulizenz vergangenes Jahr entzogen, doch eine endgültige Gerichtsentscheidung steht noch aus.

Seit über neun Monaten ruht der Betrieb in der drittgrößten Silbermine der Welt. Am 22. Juni 2017 erklärte der Oberste ­Gerichtshof Guatemalas die Abbaulizenz der Silbermine El Escobal in San Rafael Las Flores im Südwesten Guatemalas für vorläufig ungültig. Er urteilte, dass bei der Erteilung der Abbaulizenz die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzt worden seien.

Angesichts der geringen Abgaben, die Bergbauunternehmen an den guatemaltekischen Staat zahlen, gebe es kaum positive Effekte für die Bevölkerung durch den Betrieb der Silbermine, argumentieren deren Gegnerinnen und Gegner. »Das ist aus unserer Sicht keine Entwicklung. Die internationalen Unternehmen kommen hierher, schaffen die Bodenschätze außer Landes und hinterlassen uns eine verschmutzte Landschaft«, sagt ein Minengegner im Dorf Casillas und erntet bei den Umstehenden Zustimmung. Um den Betrieb der Silbermine zu unterbinden, blockieren deren Gegnerinnen und Gegner seit Anfang Juni 2017 mit einem Protestcamp in Casillas die Zufahrtsstraße für Lastkraftwagen. Ausgerechnet am dem Tag, an dem der Oberste ­Gerichtshof die Lizenz der Silbermine entzog, wurde die Mahnwache in ­Casillas um zwei Uhr nachts von Bereitschaftspolizisten geräumt. Doch die Blockierer kehrten zurück. Eine erneute Räumung gab es einen Monat später, als die Polizei, trotz des Lizenzentzugs, einen Kraftstofftransporter zur Silbermine begleitete.

Auch nach dieser Räumung bezogen die Protestierenden wieder ihre Posten.

Als am 15. Februar dieses Jahres Vertreter des Minenunternehmens in der Gemeinde Ayarza auftauchten, kamen sie nicht weit. Gegnerinnen und Gegner der Mine setzten sie in ihren Fahrzeugen fest. Sie verlangten, dass die Vertreter ihre Streifzüge durch die umliegenden Ortschaften, um kleine Geschenke wie Düngemittel und Medizin zu verteilen, zukünftig unterlassen und dies in einer schriftlichen Vereinbarung festgehalten wird. Denn im ­Gegenzug für die Geschenke sollten die Beschenkten auf einer Liste unterschreiben. Damit hätten sie erklärt – zumeist ohne dies zu wissen –, dass sie den Betrieb der Silbermine befürworten. Gegenüber staatlichen Institutionen hätte das Bergbauunternehmen dann behaupten können, dass die Bevölkerung angeblich auf seiner Seite steht.

Beide Konfliktparteien riefen die Polizei. In Anwesenheit der Beamten unterschrieben die Minenvertreter eine entsprechende Erklärung. Die Lobbyisten konnten daraufhin ihren Weg fortsetzen. Die Minenbetreiber bezeichneten den Vorfall später als gewalt­same Entführung und fordern die Strafverfolgungsbehörden auf, gegen die Anführer des Widerstands vorzugehen. Denn die Gegend sei wegen der gewaltsamen Proteste nicht mehr sicher.

 

»Das ist aus unserer Sicht keine Entwicklung. Die internationalen Unternehmen kommen hierher, schaffen die Bodenschätze außer Landes und hinterlassen uns eine verschmutzte Landschaft.« Minengegner im Dorf Casillas

 

Tatsächlich wurden bereits bei Zusammenstößen zwischen Minen­gegnern und Beschäftigten der Bergbaugesellschaft Menschen verletzt oder sogar getötet, fast immer Minengegner; des Öfteren wurden Straßen blockiert, die Betreiber der Silbermine machen die Minengegner für Sabotageakte und das Inbrandsetzen von Eigentum der Minengesellschaft verantwortlich. Die Gegnerinnen und Gegner der Silbermine beteuern aber, ihr Widerstand sei ausschließlich friedlich.

 

Der Widerstand dauert an

Die Probleme begannen im Dezember 2006, als das kanadische Unternehmen Goldcorp Inc. erste Lizenzen zur Exploration für das Gebiet der heutigen Silbermine El Escobal erwarb. 2010 gründeten Vorstandsmitglieder von Goldcorp Inc. dann das Tochterunternehmen Tahoe Resources Inc., an dem die Muttergesellschaft 40 Prozent der Anteile hält. Das neu gegründete ­Unternehmen begann sodann damit, Grundstücke im Bereich des Lizenz­gebietes aufzukaufen.

»Da die ausländischen Käufer für die Grundstücke Preise deutlich über ­deren Wert zahlten, wurden wir aufmerksam und fanden bald heraus, ­dass sie die Grundstücke für eine Silbermine kauften«, erinnert sich Moises Divas. Er ist der Leiter der Umweltorganisation Comisión Diocesana de ­Defensa de la Naturaleza (Codidena, Kommission für den Erhalt der Natur), die mit Unterstützung der katholischen Diözese Santa Rosa 2011 gegründet wurde.

Derzeit ist Divas an einem Protestcamp vor dem Verfassungsgericht in Guatemala-Stadt beteiligt. Im vor dem Verfassungsgericht verhandelten Verfahren über den Entzug der Ab­baulizenz hat das Gericht am 5. November 2017 die Urteilsverkündungsfrist ablaufen lassen, eine Entscheidung des höchsten guatemaltekischen Gerichts steht so weiterhin aus. Die Gegnerinnen und Gegner der Silbermine errichteten daher Anfang November 2017 jenes ­zusätzliche Protestcamp in der Hauptstadt. »Wir fordern die endgültige und bedingungslose Schließung der Silbermine. Nach all der Gewalt gegen die Widerstandsbewegung und ihrer Diffamierung sehen wir keinen Rahmen mehr für Verhandlungen über eine mögliche erneute Inbetriebnahme der Silbermine«, fasst Divas die ­Position der Protestierenden zusammen.

Die von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgebenen Anlagen der ­Silbermine sind nur wenige Hundert Meter von der ­Ortschaft San Rafael Las Flores entfernt. Die Anwohnerinnen und Anwohner der Silbermine leben zum Großteil von der Landwirtschaft. Sie fürchten Umweltschäden, wie sie bereits von anderen Bergbaupro­jekten in Guatemala bekannt sind. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der ­betroffenen Gemeinden organisierten sich vor Jahren gegen die Silbermine und es entstand unter anderem das Bündnis Zivilgesellschaft von Mataquescuintla (SCM).

Trotz des Protests der Bevölkerung erteilte das Ministerium für Energie und Bergbau am 3. April 2013 der Firma Tahoe Resources Inc. eine auf 25 Jahre befristete Abbaulizenz für die Silbermine El Escobal auf einer Fläche von zunächst 19,9 Quadratkilometern. Für den Betrieb der Silbermine selbst gründete Tahoe Resources Inc. die Tochtergesellschaft Minera San Rafael S.A. Dass die Sorgen der Bevölkerung nicht unbegründet waren, konstatierte die Umweltorganisation Madre Selva bereits im Jahr 2013, kurz nach Inbetrieb­nahme der Mine. Sie entnahm im Zeitraum von Oktober 2012 bis Februar 2015 in einem Abstand von je drei Monaten Wasserproben an sechs verschiedenen Stellen. Bei Untersuchungen der ­Wasserqualität stellte sie insbesondere dort, wo die Abwasser der Silbermine in den Fluss geleitet wurden, erhöhte Werte an Blei, Arsen, Sulfaten und ­Aluminium fest. »Mittlerweile müssen die vorwiegend Tomaten und Zwiebeln anbauenden Bauern aus San Rafael Las Flores feststellen, dass sie ihr Gemüse auf dem zentralen Gemüsemarkt kaum loswerden und ihnen schlechte Preise gezahlt werden, sobald sie angeben, wo ihr Gemüse herkommt«, schildert ein Bauer aus Nueva Santa Rosa das Problem. Auch die Kaffeebauern der Region fühlen sich durch ­kontaminiertes Wasser in ihrer Existenz bedroht.

 

Geleugnete Existenz

Die in der Region lebenden Xinka, eine der indigenen Bevölkerungsgruppen Guatemalas, sahen sich durch die Erteilung der Abbaulizenz in ihren Be­teiligungsrechten verletzt. Denn nach dem in Guatemala bereits 1995 ratifizierten »Übereinkommen über indigene und in Stämmen lebende Völker in ­unabhängigen Staaten«, der Konvention 169 der Internationalen Arbeits­organisation (ILO), müssen sie vor der Bewilligung eines Projekts in den von ihnen bewohnten Territorien durch ­einen Volksentscheid zu diesem befragt werden. Die Konvention 169 verpflichtet den ratifizierenden Staat dazu, eine gesetzliche Grundlage für die Abhaltung solcher Volksentscheide zu schaffen. Da die guatemaltekische Regierung dies nicht getan hat, stellte sich die Verwaltung auf den Standpunk, dass ein Referendum nicht erforderlich sei. In Artikel 46 der guatemaltekischen Verfassung ist jedoch geregelt, dass die von der Regierung ratifizierten internationalen Verträge und Kon­ventionen über der nationalen Gesetzgebung stehen. Das guatemaltekische Verfassungsgericht entschied daher am 26. Mai 2017 in einem Urteil über das Wasserkraftwerk in Oxec, aus der ­Konvention 169 der ILO folge unmittelbar, dass die Abhaltung eines Volks­entscheids erforderlich sei.

Im Fall der Silbermine El Escobal argumentierte das Ministerium für Bergbau und Energie, ein Referendum sei nicht erforderlich, da es im Gebiet der Silbermine gar keine indigene Bevölkerung gebe. Der juristische Kampf der Xinka gegen die Silbermine begann daher mit einem langwierigen Verfahren, in dem sie vor Gericht erstritten, dass ihre Existenz als indigene Gruppe ­bestätigt wurde. Im derzeit vor dem Verfassungsgericht verhandelten Ver­fahren machen sie geltend, dass die Leugnung ihrer Existenz eine unzu­lässige Diskriminierung sei und zugleich einen schweren Verfahrensfehler im Rahmen der Lizenzerteilung darstelle.
Da der Staat sich weigerte, über die geplante Silbermine Volksentscheide abzuhalten, organisierte die Bevölkerung diese selbst. Die erste sogenannte consulta fand in Mataquescuintla am 11. November 2012 statt. In diesem und weiteren Volksentscheiden lehnten ­jeweils weit über 90 Prozent der Beteiligten den Betrieb der Silbermine ab. Lediglich in der Gemeinde San Rafael Las Flores, in der sich die Hauptan­lagen von El Escobal befinden, gelang es dem Unternehmen, mit Hilfe von ­finanziellen Zuwendungen und Versprechungen an die Bevölkerung und den Bürgermeister, eine knappe Mehrheit für die Silbermine zu gewinnen.

 

Im Ausnahmezustand

Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen auf Minengegner und deren Unterstützer. Nachdem vier Mitglieder des Parlaments der Xinka am 17. März 2013 als Beobachter an einem Volksentscheid in der Gemeinde Los Volcancitos teilgenommen hatten, wurden sie auf ihrem Heimweg entführt. Einer der Entführten, Exaltación Marcos Ucelo, wurde am Folgetag tot in einem Hotel aufgefunden. Während einer Protestversammlung vor den ­Toren der Silbermine in San Rafael Las Flores ereignete sich nur einige Wochen später am 27. April ein weiterer Übergriff. »Auf einmal öffneten sich die Tore der Silbermine, die Sicherheitskräfte traten heraus und begannen auf uns zu schießen«, erinnert sich Luis García, der damals unter anderem Schussverletzungen im Gesicht erlitt und den Angriff nur knapp überlebte. Neben García verletzten die Sicherheitskräfte der Silbermine sechs weitere Versammlungsteilnehmer, einige von ihnen schwer. Die Minenbetreiber hatten zunächst behauptet, die Sicherheits­kräfte hätten lediglich Gummigeschosse verwendet.

Die Art der Schussverletzungen und aufgefundene Patronen widerlegten ­jedoch diese Darstellung des Vorfalls. Außerdem belegte ein Mitschnitt ­eines Telefonats, dass der Leiter des Sicherheitsdienstes, Alberto Rotondo Dall’orso, die Schüsse auf die Demonstrierenden angeordnet hatte. Das Unternehmen änderte daraufhin seine Version und behauptete, Rotondo habe eigenmächtig und unter Verstoß gegen die Dienstvorschriften gehandelt. Rotondo, der ­zunächst unter Hausarrest gestanden hatte, setzte sich nach Peru ab, als die Vollstreckung der Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet wurde. Dort wurde er kurze Zeit später gefasst, er wartet derzeit auf seine Auslieferung. Es waren die zu seiner Überwachung eingesetzten Polizeibeamten, die ihm die Flucht ermöglichten.

Aufsehen erregte der Fall, als die Geschädigten des Angriffs im Juni 2014 eine zivilrechtliche Klage in Kanada gegen Tahoe Resources Inc. einreichten. Kurz nach dem Angriff des Sicherheitsdienstes verhängte der damalige Staatspräsident Guatemalas, Otto Pérez Molina, im Mai 2013 den Ausnahme­zustand in der Region und ein Großaufgebot von 500 Polizisten und 3 000 Soldaten nebst Panzern rückte in die ­Gegend der Silbermine ein.

 

Schmutzige Geschäfte

Aufsehen erregte auch das Attentat auf Alex Reynoso und seine 16jährige Tochter Topacio Reynoso am 13. April 2014. Topacio Reynoso hatte bereits im Alter von 14 Jahren begonnen, sich am Protest gegen die Silbermine zu ­beteiligen und bewegte auch ihre Eltern dazu, sich in der SCM zu organisierten. An jenem Abend am 13. April hatte das Mädchen einen Auftritt mit ihrer Marimbaband in Mataquescuintla. Als sie gemeinsam mit ihrem Vater auf dem Heimweg war, eröffnete ein Unbekannter von hinten das Feuer auf die beiden. Topacio erlag wenig später den Folgen der Schussverletzungen im Krankenhaus, ihr Vater lag einige Tage im Koma und überlebte den Mordanschlag nur knapp.

Im folgenden Jahr, am 17. Oktober 2015, wurde Alex Reynoso erneut Opfer eines Attentats, als er sich mit drei ­weiteren Mitgliedern der SCM auf einer Autofahrt befand. Adrián Juárez Pérez, der sich zusammen mit Reynoso im Fahrzeug befunden hatte, wurde einen Monat später, am 15. November, zu­sammen mit Áxel Juárez Donis in Mataquescuintla ermordet.

Reynoso glaubt nicht, dass die Staatsanwaltschaft in den Fällen ernsthaft ­ermittelt. »Bisher hat die Staatsanwaltschaft in beiden auf mich verübten ­Attentaten keine Ermittlungsergebnisse erzielt. Aber solange die Staatsanwaltschaft dieselben Kriminalbeamten einsetzt, die auch an der Kriminalisierung der Protestbewegung beteiligt sind, rechne ich auch nicht damit, dass die Ermittlungen vorankommen«, sagt er.
Für Moises Divas von Codidena liegt nahe, dass die vielen gewaltsamen Übergriffe auf das Konto der Minenbetreiber gehen: »Natürlich haben wir keine Beweise, dass all diese Aggressionen unmittelbar von den Betreibern der Silbermine ausgehen. Die Tatsache, dass es eine Vielzahl von Übergriffen auf Menschenrechtsverteidiger gibt, die sich gegen die Silbermine engagieren, legt aber natürlich einen entsprechenden Zusammenhang nahe.«

Die deutsche Nichtregierungsorganisation Facing Finance machte im Februar 2017 auf die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Silbermine El Escobal aufmerksam und wies zugleich auf die Beteiligungen ­internationaler und deutscher Banken an dem Bergbauunternehmen hin. Den Angaben von Facing Finance zufolge wurde Tahoe Resources Inc. noch im Juli 2017 ein unter anderem von der britischen Großbank HSBC ­getragener Überbrückungskredit in Höhe von insgesamt 300 Millionen ­US-Dollar gewährt. Auch deutsche Banken sind ungeachtet der hinlänglich bekannten Menschenrechtsverletzungen im Konflikt um die Mine an dem Projekt beteiligt. So befindet sich die Deutsche Bank noch immer unter den zehn wichtigsten Anlegern des Unternehmens; die Commerzbank hat ihre bisherige Beteiligung im dritten Quartal 2017 sogar noch um 221,7 Prozent erhöht.

Der niederländische wie auch der weltweit größte Pensionsfonds, der Norwegens, haben ihre Beteiligungen an Tahoe Resources Inc. wegen des ­Verdachts schwerer Menschenrechtsverletzungen hingegen aufgegeben. Der Wert der Aktien von Tahoe Resources Inc., das auch Bergwerke in Kanada und Peru unterhält, sank zuletzt deutlich, vor allem wegen des Entzugs der Abbaulizenz. Auch in Peru erhebt sich gegen das Bergwerk Shahuindo Protest der Bevölkerung wegen befürchteter Umweltschäden.