Der Kampf um die Demokratie ist transnational

Primat der Politik

Die extreme Rechte beweist, dass die bürgerliche Demokratie keine vom Großkapital kontrollierte Show ist. Wegen des politischen Bankrotts der Bourgeoisie fallen der Linken wichtige Aufgaben zu.

Übermut tut selten gut. Den »Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit und die weltweite Verbreitung der westlichen liberalen Demokratie als endgültige Form mensch­licher Regierung« postulierte der US-Politologe Francis Fukuyama 1989. In der Zeitschrift The National Interest noch mit einem Fragezeichen versehen, wurde die These vom »Ende der Geschichte«, der Fukuyama 1992 ein Buch widmete, schnell zum Slogan des Wirtschaftsliberalismus. Als vorrangige Aufgabe der Politik galt es fortan, möglichst günstige Bedingungen für die Kapitalverwertung zu schaffen. Über die Folgen musste man sich keine Sorgen machen, denn es gab ja keine Alternative zum Bestehenden.

Fukuyamas Analysen und Thesen waren nicht so plump, im Grunde erlag er nur dem Irrtum, der sich bereits in das Kommunistische Manifest eingeschlichen hatte: »Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. (…) Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt.« Tatsächlich zersetzte der Kapitalismus damals die Standesgesellschaft und drängte den Einfluss der Religion zurück. Auch politologisch erscheint es schlüssig, einem auf Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaftssystem zuzutrauen, dass es die dafür erforderliche kaufmännische Rationalität und ein ihr entsprechendes politisches System der checks and balances, die parlamen­tarische Demokratie mit Gewaltenteilung, gesamtgesellschaftlich und ­global durchsetzt.

 

Transnationale Demokratie und Globalisierung des Sozialstaats sollten daher zentrale linke Forderungen sein. Erste Schritte in diese Richtung können bereits im Kapitalismus unternommen werden.

 

Doch der Kapitalismus hat keineswegs alle vorbürgerlichen Hierarchien aufgelöst, er produziert überdies seine eigenen Wahnsysteme. Sie ergeben sich aus dem Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck, dem Nationen wie Individuen unterliegen und der anders gewendet werden kann, als es im Idealbild der Meritokratie vorgesehen ist. Fromme Schwärmerei wird dann zu religiösem Fanatismus, spießbürger­liche Wehmut zu völkischem Nationalismus. Oft geht es darum, den Vorteil der imaginierten Eigengruppe auf Kosten anderer zu suchen, doch kann der Homo oeconomicus auch auf der Strecke bleiben. Dann ist es wichtiger, anderen größeren Schaden zuzufügen, als man selbst erleidet; das eigene Leiden wird zum heroischen Opfer im Dienste einer großen Sache verklärt.

Die kapitalistische Gesellschaft kann diese Wahnsysteme nicht loswerden, da sie deren Grundlagen selbst reproduziert. Der Bürger soll sich ja dem Konkurrenzkampf der Nationen verschreiben, dabei allerdings Maß halten – ein schwieriger Balanceakt. Wird das Konkurrenzverhalten zu nationalistischem Hass, neigt die Linke dazu, dahinter ein Interesse der Bourgeoisie zu vermuten. Tatsächlich unterstützten in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts bedeutende Kapitalfraktionen völkisch-nationalistische Bewegungen.

Erfolg und Wesen des Faschismus lassen sich damit jedoch nicht erklären. Für die Analyse derzeitiger rechtsextremer Bewegungen taugt dieses Erklärungsmodell kaum noch.

Es fällt nicht schwer, einzelne Milliardäre aufzuspüren, die die extreme Rechte unterstützen. Viele binnenmarktorientierte mittelständische Betriebe haben zudem ein Interesse an nationaler Abschottung – aber nur sie. Unterstellt man den Bourgeoisien weltweit ein gemeinsames Klasseninteresse, so besteht es im Erhalt und Ausbau des Freihandelsregimes, inklusive der dafür erforderlichen Migrationspolitik. Man sollte daher etwas mehr Engagement bei der Verteidigung dieser Geschäftsgrundlage erwarten, die durch den »Brexit«, vor allem aber Donald Trumps Neomerkantilismus untergraben wird. Zu vernehmen sind jedoch bislang allenfalls Mahnungen.

Zweifellos aber wäre der Geschäftswelt ein anderer Präsident lieber gewesen. Trump verdankt seinen Erfolg mehr als 60 Millionen Wählern und Wählerinnen, die Manipulationen konnten nur Wirkung entfalten, weil sie passend auf deren Ressentiments abgestimmt waren. Zweifellos auch wäre der Londoner »City«, der Finanzbranche, ebenso wie dem Großteil der britischen Geschäftswelt, ein Verbleib in der EU lieber gewesen. Es ist kaum feststellbar, ob dieses Versagen bei der Durchsetzung des Klasseninteresses die Folge einer laissez-faire-Haltung ist, die sich verbreitet hat, weil das Leben für Kapitalbesitzer in den vergangenen drei Jahrzehnten allzu bequem war. Denkbar ist auch, dass die Bourgeoisien in aller Welt sich doch noch zu entschiedenerem Handeln aufrafft. Derzeit kann nur konstatiert werden, dass mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie die Geschäftsgrundlage des globa­lisierten Kapitalismus verändert werden kann, weil die Bourgeoisie politischen Bankrott angemeldet hat.

 

 

 

Das ist an sich keine schlechte Nachricht, da dies auch der Linken nützen könnte – allerdings nur, wenn diese lernt, transnational zu handeln. Der Nationalstaat ist zu einem Hindernis für die weitere Entfaltung der Produktivkräfte geworden und verhindert die Lösung globaler Problem wie des Klimawandels. Doch kann er, wie sich an der Stagnation und dem drohenden Scheitern der EU zeigt, im kapitalistischen Rahmen nicht überwunden werden. Die durch das Freihandelsregime verschärfte Konkurrenz setzt die Lohnabhängigen und den Sozialstaat unter Druck. Die nationalstaatlichen Regulierungsmöglichkeiten dürften zwar größer sein, als es derzeit den Anschein hat, zentrale Probleme wie die Steuerflucht lassen sich aber nur transnational lösen.

Transnationale Demokratie und Globalisierung des Sozialstaats sollten daher zentrale linke Forderungen sein. Erste Schritte in diese Richtung können bereits im Kapitalismus unternommen werden. Damit werden erste Elemente der Infrastruktur für eine globale demokratische Wirtschaftsplanung geschaffen, andererseits sind solche Forderungen auch attraktiv für ein sozialdemokratisches und linksliberales Milieu. In der Auseinandersetzung mit der populistischen und extremen Rechten sind sie zudem die Kernpunkte eines Gegenprogramms.

Deren Ziele sind im vergangenen Jahr klarer geworden. In den USA steht ein Milliardär an der Spitze der Regierung, ein Oligarch, der sich als Renegat seiner Klasse gegen deren Geschäfts­interessen stellt. Das ist eine Rückkehr der – im Sinne des Kommunistischen Manifests – patriarchalen Herrschaft, der Patron-Klient-Beziehung, in neuer Form. Man erhofft sich vom Oligarchen, dass er die Wettbewerbsbedingungen ändert und die althergebrachte Hierarchie unter den Lohnabhängigen wiederherstellt, in der die weißen Männer die unangefochtene Spitzengruppe bilden. Dies ist den Anhängern Trumps wichtiger als eine Erhöhung des Lebensstandards oder angenehmere Arbeitsbedingungen – die zu fordern so schwer ja nicht ist. Deshalb kultivieren die Rechten nicht nur in den USA nun auch einen neuen heroisierenden Proletkult, der sich den Stahl- oder Bergarbeiter als Symbol für als weiß imaginierte Arbeit auserkoren hat.

Für Trumps Erfolg spielt aber auch das Gefühl des loss of empire eine bedeutende Rolle. »Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt«, heißt es im Kommunistischen Manifest über die damalige Bourgeoisie. Nun aber sind es wohlfeile chinesische Waren, die, welche Mauern Trump auch bauen lässt, auf den US-Markt strömen, wenn das Land sich nicht abschottet.

Aber die Fremdenhasser kapitulieren nicht, sie haben sich einen Repräsentanten ihrer Interessen gewählt, der sie derzeit darauf vorbereitet, dass ein Handelskrieg ihnen schaden kann. Das wird Trump wohl nicht schaden, da es seinen Wählerinnen und Wählern vornehmlich um Status geht, sie sich also mit einem geringeren Lebensstandard abfinden würden, wenn sie sich dafür über den Ruin Chinas freuen können.

Noch ist unklar, ob Trump den Primat der Politik durchsetzen kann. Gelingt es ihm, wird ihn die Ökonomie einholen – aber auch das kann ihm nutzen. Denn eine Weltwirtschaftskrise und ein Zusammenbruch des globalen Handels würden die nationale Abschottung zur neuen Geschäftsgrundlage machen. Wem die Rechten dann die Schuld am ökonomischen Desaster geben würden, ist nicht schwer zu erraten. Andere Staaten wären gezwungen, dem neuen Modell zu folgen – mit entsprechenden ideologischen Konsequenzen. Das Ende des Kapitalismus, dessen »ideale« Herrschaftsform sich nicht aus der kurzen und keineswegs in allen Staaten wirkmächtigen revolutionären Tradition des Bürgertums ergibt, wäre das nicht; wohl aber die Beseitigung des in den vergangenen 200 Jahren erkämpften sozialen und gesellschaftlichen Fortschritts.