Marcos Cáceres Amarilla, Journalist, über die Wahlen in Paraguay und die Lage der Linken

»Der Caudillismo ist immer noch präsent«

Interview Von Leander F. Badura

Marcos Cáceres Amarilla ist Redakteur der größten Tageszeitung Paraguays, »ABC Color«, und schreibt dort eine Kolumne, die sich mit dem Präsidenten und seinem Umfeld sowie der Regierungspolitik auseinandersetzt. Er lebt und arbeitet in Asunción.

Am 22. April finden in Paraguay Wahlen statt. Vom Präsidenten bis zu den Bürgermeistern wird das po­litische Personal neu bestimmt. Horacio Cartes, der amtierende Präsident, darf nicht mehr antreten. Gegen seine Partei, die rechte Asociación Nacional Republicana – Partido Colorado (ANR-PC, Colorado-Partei), tritt die Alianza Ganar an, ein breites Mitte-links-Bündnis der Opposition. Wer hat die größeren Chancen auf die Präsidentschaft Paraguays?
Die meisten Umfragen sagen einen Sieg des Kandidaten der Colorado-Partei voraus. Sein Name ist Mario Abdo Benítez, er ist der Sohn des Privatsekretärs des langjährigen Diktators Alfredo Stroessner und ein junger Unternehmer, nicht einmal 50 Jahre alt. Ich denke, sein wichtigster Beitrag, um Kandidat zu werden, war, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Er stellte sich als Alternative innerhalb der Partei dar und versammelte alle Kritiker des amtierenden Präsidenten Horacio Cartes.

Wie kommt es, dass innerhalb einer Partei ein Kandidat gegen den Präsidenten derselben Partei kämpft?
Das ist ein Phänomen, das in Paraguay seit dem Sturz der Diktatur häufig vorkommt. Die Diktatur Stroessners von 1954 bis 1989 baute auf die Unterstützung der Colorados. Die Mehrheit der Bevölkerung hängt dieser Partei an. Also gewann sie seitdem die Wahlen. Solange die Opposition schwach blieb, war die ANR wie Opposition und Regierung in einem. Die einzige Ausnahme von dieser Regel war die Mitte-links-Regierung von Fernando Lugo. Ihm war es 2008 gelungen, Präsident zu werden mithilfe der Alianza Patriótica para el Cambio (APC, Patriotische Allianz für den Wandel), einer Koalition aus linken Parteien und den Liberalen, des Partido Liberal Radical Auténtico (PLRA), der zweiten großen historischen Partei und größten Oppositionskraft. Er wurde allerdings 2012 per Amtsenthebungsverfahren entmachtet.

Seit die Colorados 2013 an die Macht zurückgekehrt sind, wiederholt sich dieses Szenario der inneren Dissidenz. Bei den internen Vorwahlen vom 17. Dezember vergangenen Jahres hat der Kandidat der innerparteilichen Opposition gewonnen, Benítez. Er gewann gegen eine Marionette von Cartes – allerdings nur die Präsidentschaftskandidatur, Benítez’ Unterstützer verloren fast alle anderen Kandidaturen für den Senat, Bürgermeisterämter und so weiter. Also musste er mit Cartes paktieren. Denn in der Praxis dominiert dieser immer noch die Partei. Die Mehrheit der Führungskräfte hört auf ihn. Es zeichnet sich also ab, dass Benítez kein starker Präsident sein wird. Die starke Figur wird Cartes bleiben.

Wie steht der Kandidat der Opposition, Efraín Alegre, da?
Der Oppositionskandidat hat nicht viel Charisma, kein sehr überzeugendes Programm und zudem eine gespaltene Partei. Er ist der Vorsitzende des liberalen PLRA. Bereits 2013 war er gegen Cartes angetreten. Während der Regierung von Lugo war er Minister für öffentliche Infrastruktur. Aber der PLRA stimmte damals für die Absetzung von Lugo. Was in dieser Zeit passiert ist, ist sehr kompliziert.

Aber es wird noch komplizierter. Obschon sie jetzt den Kandidaten des PLRA unterstützt, hatte die Linke zuletzt 2017 mit Cartes paktiert.
Ja, dabei ging es um die Möglichkeit der Wiederwahl. Diese ist laut Verfassung nicht vorgesehen. Also drängten der Frente Guasú (FG) (entstand 2010 aus Teilen der APC, Anm. d. Red.) und die ANR gemeinsam auf eine Verfassungsänderung, denn sowohl Cartes als auch Lugo wollten wieder antreten. Aber dazu ist es nicht gekommen, weil es eine Art Aufstand gab. Er wurde ein wenig vom PLRA gesteuert und hatte die Unterstützung der Presse. Der Kongress wurde angezündet, es gab einen Toten. Es wird davon ausgegangen, dass es subtile, aber eindeutige Interventionen der Vereinigten Staaten und des Vatikan gab.

Diejenigen, die gegen die Verfassungsänderung waren, waren Benítez und Alegre. Beide wussten, dass in diesem Fall Cartes und Lugo die Kandidaten gewesen wären. Das hätte viel mehr Spaß gemacht, es wäre ein echter Kampf gewesen.

Denn sie stehen tatsächlich für unterschiedliche Konzepte. Jetzt sehen die Menschen zwischen Benítez und Alegre keine großen ideologischen Unterschiede.

Wie steht der Frente Guasú heute da, sechs Jahre nach der Entmachtung Lugos?
Der FG ist jetzt viel stärker, viel strukturierter. Womit er nach wie vor hauptsächlich punktet, ist mit Lugo. Er ist Parteivorsitzender und die Nummer eins auf der Liste für den Senat. Bei vielen in der Bevölkerung ist er immer noch sehr beliebt, sie erinnern sich daran, dass seine Regierung im Kampf gegen die Armut Fortschritte erzielt hatte, vor allem im Gesundheitssektor.

Obwohl es ein Bündnis zwischen FG und PLRA für die Präsidentschaftswahlen gibt, sind die Senatslisten getrennt. Hier wird es interessant, denn die Umfragen sagen voraus, dass der FG die Liberalen schlagen, also zweitstärkste politische Kraft werden könnte.

 

Könnte es sein, dass die Erinnerung an die Regierung Lugo für die Linke nützlich, aber zugleich ungünstig ist, weil sie zwar ein historischer Bezugspunkt ist, aber praktisch das einzige, womit sie werben kann?
Ja, das stimmt. Leider gibt es in Paraguay eine lange Tradition des Caudillismo (eine Art Führerkult, Anm. d. Red.), die immer noch sehr präsent ist. Langsam, aber sicher versucht der FG sich über die Figur von Lugo hinaus zu strukturieren. Sollten die Umfragen zutreffen und der FG die zweitstärkste Kraft werden, kommt ihm wenigstens im Kongress eine entscheidende Rolle zu, weil er genug Senatoren haben wird, um mit allen Kräften zusammenzuarbeiten und vermitteln zu können.

Was ist das Vermächtnis der Regierung Cartes? In welchem Zustand hinterlässt er das Land?
Cartes hat hauptsächlich versucht, sich auf den Ausbau der Infrastruktur zu stützen, insbesondere den Bau von Straßen und Brücken. Dabei hat er die Auslandsschulden des Landes verdreifacht. Als er an die Regierung kam, betrug die Verschuldung 2,7 Milliarden US-Dollar und mittlerweile sind es mehr als sieben Milliarden. Aber diese Bauprojekte hatten nicht die Wirkung, die er sich gewünscht hatte. In der Armutsbekämpfung hat das Land kaum Fortschritte erzielt. Sie ist und bleibt eine Herausforderung; der Mangel an Wohnraum, die Migration der Landbevölkerung in die Städte, all diesen Phänomenen wurde während der Regierung Cartes keine Aufmerksamkeit geschenkt.

Paraguay ist immer noch eines der ärmsten Länder in Südamerika. ­Warum wählen viele Menschen weiterhin die Colorado-Partei?
Ich glaube, dass dies zum Vermächtnis der Diktatur gehört. Die Menschen sind sehr konservativ, sie fürchten Veränderungen. 35 Jahre lang hat die Propaganda Veränderungen als etwas Negatives dargestellt, sie wurden mit dem Kommunismus assoziiert. Das hat Stroessner geholfen, an der Macht zu bleiben. Leider wirkt das nach. Was unser Land braucht, ist eine Bildungsrevolution. Die Menschen haben immer noch Angst vor Veränderungen. Also stimmen sie für einen Kandidaten, der nicht all zu viel verändern wird. Dazu kommt: Der Einfluss der katholischen Kirche ist nach wie vor sehr stark. Es gibt eine Reihe von Dogmen, die von den Kanzeln der Kirchen gepredigt werden: Nein zur Abtreibung, nein zur gleichgeschlechtlichen Ehe – all das sind Themen, die nicht angetastet werden können. Der Kandidat der Colorados ist derjenige, der diesen Konservatismus am besten verkörpert.

Das ist die ideologische Seite. Welche Rolle spielt der Klientelismus?
Auch das hat mit der Diktatur zu tun. Damals wurde ein sehr paternalistischer Staat geschaffen. Die Menschen sind, was die Stimmabgabe angeht, Gefangene dieses Systems. Sie stimmen für die Colorados, weil sie es gewohnt sind, einen Parteifunktionär zu rufen, wenn sie etwas brauchen – seien es Medikamente oder einen Job. In Wirklichkeit ist die Colorado-Partei eine Wahlmaschine, die mal mehr, mal weniger effektiv funktioniert. Gibt es keinen attraktiven Oppositionskandidaten – wie diesmal –, setzen die Colo­rados ihre Struktur durch. Sie bringen die Menschen an die Wahlurnen, geben ihnen etwas Geld, bezahlen Personen, von denen sie wissen, dass sie gegen sie stimmen würden, damit sie nicht wählen gehen und so weiter. Sie haben viele Mechanismen, um die Not und die Arglosigkeit der Menschen auszunutzen.

Lugo hatte es geschafft, damit zu brechen. Manche hatten gar die Hoffnung, die demokratische Transition sei gelungen. Warum sind die Colorados wieder an die Macht gekommen?
Als die Opposition gewann, wusste sie nicht, wie sie mit der Macht umgehen sollte. 61 Jahre Colorado-Regierung – und plötzlich gewinnt die Opposition. Der gesamte öffentliche Dienst, die gesamte Struktur des Staats, lag in den Händen von Sympathisanten der ANR, die in dieser langen Zeit eingesetzt worden waren. Ein ehemaliger Präsident der Colorado-Partei, Juan Ramón Cháves, hatte das noch vor dem Sturz Stroessners vorausgesagt. Ein Oppositionspolitiker fragte ihn: »Was geschieht, wenn ein Kandidat der Opposition die Präsidentschaft gewinnt, wenn er den Staat übernimmt?« Juan Ramón Cháves antwortete: »Er wird wie eine Fliege im Netz sein.« Und das geschah mit Lugo, er war eine Fliege im Netz.