Die neuen Folgen der Serie »The Handmaid’s Tale«

Rote Roben, weiße Hauben

»This episode of The Handmaid’s Tale sucks«: So kommentierte ein Plakat auf dem diesjährigen Women’s March das erste Jahr von Donald Trumps Präsidentschaft. Bei seinem Besuch in Polen im Juli 2017 wurde der US-amerikanische Präsident von Frauen in roten Roben und weißen Hauben empfangen – also dem Kostüm der Frauen in der Serie »The Handmaid’s Tale«. So wurde die Handmaid zu einem Symbol des Widerstands gegen den Antifeminismus der neuen Rechten. In der Verfilmung von Margaret Atwoods dystopischem Roman findet sich aber auch eine Kritik am radikalen Feminismus.

Die Serie »The Hand­maid’s Tale«, die im April 2017 auf dem Videoportal Hulu veröffentlicht wurde, basiert auf dem gleichnamigen Roman Margaret Atwoods von 1985. Zu der mittlerweile preisgekrönten ersten Staffel gesellt sich ab Ende April eine zweite. Die Serie spielt in der Republik Gilead, einem totalitären Gottesstaat, den fundamentalistische Christen mit paramilitärischer Kraft auf den Trümmern der zerfallenen USA aufgebaut haben. Umweltkatastrophen und Bürgerkrieg haben ein Macht­vakuum geschaffen, das Paramilitärs für sich nutzen konnten.

Ein drastischer Rückgang der ­Geburtenrate ist das zentrale Element in Atwoods Erzählung. Die Christen sehen darin die Strafe Gottes für lasterhafte Sexualität und errichten eine Theokratie als Gegenentwurf zu der von Profit und Begehren geprägten Gesellschaft. Während viele Dystopien die Auflösung der Familie zur Voraussetzung eines totalitären Staats machen, kreist Atwoods Dystopie um eine bösartige Restauration der patriarchalen Familie.

Die neuen Menschen für Gilead werden nicht im Reagenzglas ­gezeugt, sondern im spießig eingerichteten Schlafzimmer. Gebär­fähige Frauen verwaltet die neue Gesellschaft als rare Ressource. Sie ­werden versklavt und verschleiert, ihr Zyklus wird überwacht und es wird versucht, ihre Gedanken zu kontrollieren. Als »Handmaids« werden sie nach dem Vornamen des Mannes benannt, der sie besitzt. Als Surrogatmütter werden sie zum ­Inventar des Haushalts dieser mächtiger Männer, über den die feind­selige Ehefrau ebenso wacht wie über die zum monatlichen Ritual erhobenen Vergewaltigungen. Wie es sich für einen Gottesstaat gehört, ist all dies über eine neue Lesart der heiligen Schrift legitimiert. Strenge und ­detaillierte Verhaltenskodes sollen jegliche Form von Begehren unterbinden.

Neben den expliziten Darstellungen von Gewalt – das Hängen von ­Abtreibungsärzten und sogenannten Gendertraitors etwa – ist es die sub­tilere Zeichnung einer neuen Normalität, die die Spannung der Serie ­ausmacht. Gilead wird größtenteils aus Sicht der Magd Offred (Elisabeth Moss) gezeigt. Es ist ein ängstlicher wie eingeschränkter Blick. Die Mägde tragen scheuklappenähnliche Hauben. Lesen und Radiohören ist ihnen verboten. Informationen beziehen sie durch stille Beobachtung und das Getuschel anderer Mägde. Offred ist ihre ständige Unsicherheit anzumerken. Es ist keine aufmüpfige  Natur, die sie in Konflikt mit den sozialen Konventionen bringen wird. Zur ­feministischen Heldin taugt sie kaum. Im Gegensatz zu ihrer Freundin ­Moira (Samira Wiley) ist sie keine ­Rebellin. Sie träumt auch nicht von einer herrschaftsfreien Gesellschaft, sondern schlägt sich durch, weil sie ihr Kind und ihren Ehemann, von denen sie in der Anfangsszene brutal getrennt wurde, wiedersehen möchte.

»The Handmaid’s Tale« lässt sich als Warnung nicht nur vor einer neuen rechten Konjunktur, sondern allgemeiner vor staatlicher oder kollektiver Bevormundung verstehen.

Das Buch schrieb Atwood unter dem Eindruck der iranischen Revolution, in deren Folge Frauen von den Universitäten verwiesen wurden, ihre Arbeitsplätze verloren und den Tschador tragend in ihre Häuser verbannt wurden. Auch die Situation von Frauen in der ehemaligen Sowjetunion mag Inspiration gewesen sein: Der Stalinismus hatte die in der russischen Revolution erstrittenen Rechte zu großen Teilen kassiert. Nicolae Ceaușescu hatte in Rumänien 1966 das Dekret 770 erlassen, eine Weisung, die die Geburtenrate ­er­höhen sollte und so wirkt, als entstamme sie dem fiktiven Gilead. Das Dekret erschwerte den Zugang zu Verhütungsmitteln, unterwarf gebär­fähige Frauen einer systematischen Kontrolle und verhängte Strafen für abtreibender Ärzte und Frauen. Das kostete bis 1989 über 11 000 Frauen, die illegal abtrieben, das Leben.

Dass »The Handmaid’s Tale« nicht in einer islamischen Republik oder einem fernen Land spielt, verweist einerseits darauf, dass der westlichen Zivilisation männliche Herrschaft nichts Äußerliches oder Fremdes ist. Andererseits wurden in den USA der achtziger Jahre die Errungenschaften der Frauenbewegung von mehreren Seiten in Frage gestellt. Unter Ronald Reagans Präsidentschaft wurden das bundesstaatliche Budget gekürzt und staatliche Schutzeinrichtungen geschlossen, mehrere Bundesstaaten schränkten die Möglichkeiten legaler Abtreibung ein. Während radikale Abtreibungsgegner Anschläge auf Abtreibungskliniken verübten, zog sich das Gesundheitsfürsorgeprogramm Medicaid aus der Bezahlung legaler Abtreibungen zurück. Die sogenannet Lebensschutzbewegung erstarkte, Evangelikale und Rechte gewannen öffent­liche Präsenz.

Gegenwärtig ist mit Mike Pence ein Lebensschützer Vizepräsident. Die Veröffentlichung der Serie fällt in eine Zeit, in der der mächtigste Mann der Welt seine Misogynie unverhohlen zum Ausdruck bringt und seine pro-life-Regierung dafür sorgt, dass Planned Parenthood empfind­liche Kürzungen hinnehmen muss. Überhaupt scheint »The Handmaid’s Tale« in einer Welt nach Donald Trump zu spielen, in der die »Dekonstruktion des Verwaltungsstaats«, die Stephen Bannon versprochen hat, realisiert wurde und der Präsident nicht nur die Größe seines Atomknopfs gepriesen, sondern diesen auch bedient hat.

Margaret Atwood wollte kein feministisches Propagandastück schreiben. Vielmehr sieht sie sich als kritische Beobachterin, die bisweilen auch mit dem Feminismus hart ins Gericht geht. Angesichts des Themas der Serie mag es überraschen, dass Atwood ­ihren Roman rückblickend in eine literarische Werkphase einsortiert, in der es ihr weniger um das Verhältnis zwischen Frauen und Männern als vielmehr um jenes der Frauen untereinander gegangen sei. Unter den Frauen von Gilead gibt es kaum ein Anzeichen von Freundschaft, ­geschweige denn Solidarität. Im Gegenteil: Sie sind Mittäterinnen, Ver­räterinnen, Konkurrentinnen, missgünstige und neidische Kreaturen. Die Struktur männlicher Herrschaft beruht darauf, dass Frauen sich ­gegenseitig kontrollieren dass eine jede sich als Sittenpolizistin engagiert.

Während Krieg und Wirtschaft männliche Domänen sind, unterstehen der Haushalt sowie das Handmaid-System weiblicher Kontrolle.

 

So ist es die Aufgabe der relativ mächtigen Aunts (Tanten), die gebärfähigen Frauen zu Handmaids zu ­erziehen. Aunts sind mütterliche und äußerst harte Mentorinnen. Aunt ­Lydia (Ann Dowd) lehrt die Handmaids nicht nur, ihre Reduktion auf wandelnde Eierstockträgerinnen als Zeichen neuen Respekts vor dem weiblichen Geschlecht zu deuten, sondern auch, mit mitleidiger Verachtung auf die Ehefrauen herabzu­blicken, weil diese nicht fähig zu dem sind, was jenen zur einzigen Bestimmung geworden ist: zu gebären. Wo Indoktrination nicht durchdringt, behelfen sich die Aunts mit dem Elektroschocker.

Eine weitere Figur ist die konservative Feministin Serena Joy Waterford (Yvonne Strahovski). Sie war einst eine Vorkämpferin von Gilead. Da die Revolution jedoch gründlicher war als ihre Fürsprecherin, haben ihre Bücher kein Publikum mehr. Aus der reaktionären Politikerin wurde so eine Hausfrau. Offred ist die Magd ihres Mannes; sie zu schikanieren, ist Serenas Entschädigung für ihren Verlust an gesellschaftlicher Bedeutung.

Von diesen Frauen kann Offred keine Solidarität erwarten. Sie ist einsam, um sie herum ist es still. Auch unter den Handmaids gibt es kaum Freundschaft. Da sie uninformiert sind und Gefahr laufen, von der ­jeweils anderen bespitzelt zu werden, folgt ihr Austausch untereinander größtenteils einem öden Muster. Die meisten von ihnen fügen sich ein. Moira flieht nach Kanada, eine andere leistet Widerstand, der aber scheitert; sie wird gefasst und beschnitten und läuft schließlich Amok. Eine andere wird verrückt.
Weibliche Zusammenarbeit gelingt, so die bitterironische Pointe, nur in zwei Situationen: in der Vorbereitung der nächsten Geburt und wenn es darum geht, einen – vermeintlichen – Vergewaltiger zu lynchen. Die Geburtszeremonien sind ein verstörendes Spektakel, bei dem eine Ehefrau spielt, dass sie gebärt, während ihre Magd tatsächlich das Kind zur Welt bringt. Dies passiert im Kreis der anderen Mägde, eine seltsame Harmonie entsteht.

Während die Handmaids ihre monatliche Vergewaltigung still zu ertragen haben, befiehlt Aunt Lydia ihnen bei einer Versammlung auf einem Appellplatz die Tötung eines vermeintlichen Vergewaltigers. Ein stiller Reigen von Handmaids schlägt auf diesen ein. Das Ganze sieht aus wie eine einstudierte Choreographie. Der Mann spuckt Blut und geht zu Boden. Ist es bloß Gehorsam oder haben die Mägde Spaß? Während die Geburtszeremonien die Handmaids am gesellschaftlichen Glanz der ­Geburt teilhaben lassen, dienen die gemeinsamen Hinrichtungen der kollektiven Triebabfuhr.

Der Lynchmob der Handmaids steht für Atwoods Kritik am radikalen ­Feminismus, der den Mann pauschal zum Gegner erkläre. Die Darstellungen der Frauen von Gilead bricht mit dem Mythos von der netten und sanftmütigen Frau. In den Beziehungen der Frauen Gileads spiegelt sich Atwoods Wahrnehmung des Feminismus um 1968 wider. In Rangeleien feministischer Grüppchen untereinander, ihrem Separatismus und ­Radikalismus, sah sie die größte Gefahr für die feministische Sache. ­Atwood ging dabei sogar so weit, den radikalen Feminismus für eine mög­liche Regression der Gesellschaft verantwortlich zu machen.

Ähnliche Befürchtungen erneuerte sie kürzlich hinsichtlich der »Me too«-Debatte, die sie als Symptom eines zerrütteten Rechtsstaats deutet. Die Kampagne habe sich zwar als ein effektives Mittel erwiesen, sexuellen Missbrauch auch da zu thematisieren, wo er nicht justitiabel sei. Allerdings sieht Atwood die Gefahr, dass aus Beschuldigungen Urteile werden und aus Verdacht falsche Gewissheit. Die Profiteure eines zerfallenen Rechtsstaats würden nicht die Feministinnen sein, sondern Extremisten von rechts oder von links. »The Handmaid’s Tale« lässt sich vor diesem Hintergrund als Warnung nicht nur vor ­einer neuen rechten Konjunktur, sondern allgemeiner vor staatlicher oder kollektiver Bevormundung verstehen und als Mahnung, dass indi­viduelle Freiheit und Menschenrechte vor großen Ideen bisweilen in Schutz genommen werden müssen.

Das totalitäre Gilead vermag Freundschaften und Momente der Solidarität nicht gänzlich zu unterbinden. Meist bleiben letztere zwar auf kleine Gesten oder spontane ­Hilfestellungen beschränkt. Am Ende der ersten Staffel verweigern sich die Handmaids allerdings kollektiv der Weisung von Aunt Lydia. Diese hatte sie erneut auf den Appellplatz bestellt und von ihnen verlangt, eine andere Handmaid zu steinigen, weil diese ihr Kind entführt habe und damit drohte, sich und dem Kind das Leben zu nehmen. Die schwangere Offred stellt sich schützend vor ihre Leidensgenossin. Damit wird sie zur Anführerin der Handmaids.

Die erste Staffel endet damit, dass Offred abgeführt wird. Sie lässt, der Buchvorlage folgend, ihr Schicksal offen. Das Nachwort des Buchs besteht aus dem Vortrag eines Professors für Gilead-Studien auf einer Konferenz, die etwa 200 Jahre nach dem Ende Gileads stattfindet. Der Vortragende zeigt sich gegenüber den Gräueltaten Gileads akademisch distanziert und wertneutral, geradezu zynisch. Die Geschichte wird nicht mehr aus der Perspektive Offreds ­erzählt, sondern es wird über sie berichtet. Ihr Protokoll des Leidens ist zum Forschungsobjekt des Professors geworden. Ende April läuft die ­zweite Staffel in den USA an. Sie beginnt da, wo das Buch aufhört.