Tausende junge Georgier protestieren gegen Razzien in Technoclubs

Raven gegen Repression

In Georgien protestierten nach Drogenrazzien der Polizei in zwei Clubs Tausende Menschen gegen die Regierung. Ihnen geht es nicht nur um eine liberalere Drogenpolitik, sondern allgemein um mehr Freiheiten in der extrem konservativen ehemaligen Sowjetrepublik.

Der Drop kam anders als gedacht. In der Nacht vom 11. auf den 12. Mai stürmten schwerbewaffnete Spezialeinsatzkommandos der georgischen Polizei zwei der bekanntesten Clubs in Tiflis, das »Bassiani« und das »Cafe Gallery«. Der offizielle Grund: Drogen.

Noch in derselben Nacht protestierte die Clubszene friedlich gegen die Razzien. Die Polizei ging mit Härte gegen die Versammlung vor und nahm Dutzende Personen fest. Am Tag darauf fan­den sich Tausende hauptsächlich junge Menschen vor dem georgischen Parlament ein, um Solidarität mit den Clubs und gegen die Repression der Polizei zu demonstrieren. Gegen Abend verwandelte sich der Protest in einen ausgelas­senen Rave, in dem sich das Bedürfnis einer jungen Generation nach Freiheit manifestierte.

Den Razzien waren fünf Todesfälle wegen Drogenkonsums in den vergangenen Wochen vorausgegangen – zwei der Verstorbenen hatten kurz vor ihrem Tod das Bassiani besucht. Die Verantwortlichen des Clubs hatten die Behörden sofort über das Auftauchen einer sogenannten Killerdroge informiert. »Es gibt keine exakte Verbindung zwischen den Todesfällen und den Clubs. Wir wis­sen zurzeit weder, wie die tödlichen Drogen in Umlauf gekommen sind, noch, um welche Substanz es sich handelt«, berichtet die Juristin Mariam Tutberidse. Sie hält die Razzien für eine Machtdemonstration der Regierung und zeigt wenig Verständnis dafür. Das Innenministerium rechtfertigte das Vorgehen auch mit der Fahndung nach acht mutmaßlichen Drogendealern. Wie sich später herausstellte, waren die gesuchten Personen bereits Stunden zuvor verhaftet worden, fernab der Clubs.

Seit Jahren setzen georgische Regierungen auf eine Null-Toleranz-Politik bei Drogenkonsum. Mehrjährige Gefängnisstrafen drohen bereits für den Besitz kleinster Mengen illegaler Substanzen. Für Tutberidse ist diese Strategie gescheitert: »Die Anzahl an Konsumenten sinkt dadurch nicht, außerdem gibt es für Inhaftierte keine Therapiemaßnahmen.« Auch die fehlende Unterscheidung zwischen Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit prangert sie an. »Konsumenten werden stigma­tisiert, es fehlt an Aufklärung und Kontrolle. Menschen wissen oft nicht, welche Substanzen sie erwerben und konsumieren. Sie können Gefahren von Drogen nicht abschätzen. Aus Angst vor Repression verzichten sie zudem häufig auf Notrufe«, so die Juristin.

Im konservativ, christlich-orthodox und nationalistisch geprägten Georgien gibt es kaum Spielraum für LGBT-Personen, nonkonforme Lebensentwürfe und Drogenkonsum. Die noch junge Clubszene in Tiflis vereint seit ihrem Entstehen Hedonismus und Widerstand. »Das Bassiani und andere Clubs, die Schwulenszene, die Darkrooms – sie sind Ausdruck eines neuen Freiheits­gefühls, das die junge Generation in Georgien prägt«, beschreibt der Philosoph Giorgi Maisuradse die Situation.

Dieser liberale Lebensentwurf stößt in Georgien vielerorts auf Feindschaft: Giorgi Tschelidse, der Anführer der Neonazigruppe »Georgische Nationale Einheit«, rief zu Protesten gegen »Junkies, LGBT-Propagandisten, Sodomiten und Soros-NGOs« auf. Das georgische Neonazimilieu pflegt gute Verbindungen zur orthodoxen Kirche, zu anderen faschistischen und ultranationalistischen Gruppen und auch zu einflussreichen Geschäftsmännern. Es eint sie der Hass auf Liberale sowie sexuelle, ethnische und religiöse Minderheiten. Das ideologisch schwer fassbare Re­gierungsbündnis »Georgischer Traum«, macht wenig Anstalten, sich von Rechts­extremen zu distanzieren.

Die Anfälligkeit der georgischen Gesellschaft für reaktionäre Ideologien hat nach Maisuradses Meinung mehrere Gründe: »Die Vergangenheit wurde nicht verarbeitet, weder die sowjetische Diktatur noch die traumatischen Ereignisse der vergangenen drei Jahrzehnte.« Nach dem Zerfall der Sowjetunion stürzten Nationalismus und Separatismus das kleine Land im Südkaukasus in einen blutigen Bürgerkrieg, die Wirtschaft kollabierte. Nach der »Rosenrevolution« 2003 wurde unter Präsident Micheil Saakaschwili ein radikal wirtschaftsliberales Reformprogramm durchgesetzt. »Armut und soziale Ungleichheit prägen nach wie vor das Land. Verbesserungen sind zwar an der Oberfläche sichtbar, sämtliche Errungenschaften sind jedoch nur für eine kleine Schicht zugänglich«, so Maisuradse. Dass die Regierung eine Eskalation beim Thema Drogen auch nutzen könnte, um von strukturellen Problemen in der ehemaligen Sowjetrepublik abzulenken, hält der Philosoph für plausibel. »Die Regierung hat aber nicht mit einer derart starken Reaktion der ›Generation Bassiani‹ gerechnet.«

 

Während am 13. Mai erneut Tausende vor dem Parlament gegen Polizei­repression protestierten, wurde der Platz von gewaltbereiten Neonazis und deren Sympathisanten umzingelt. Ein enormes Polizeiaufgebot trennte die beiden Gruppen. Erinnerungen an den 17. Mai 2013 wurden wach, als es am ­Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie zu einem von orthodoxen Priestern angeführten Pogrom kam: Ein Mob aus 20 000 Anhängern des Klerus attackier­te eine Kundgebung gegen Homophobie, mehr als 20 Menschen wurden teils schwer verletzt. Dieses Mal konnte die Polizei nur mit Mühe die Durchbruchsversuche der sichtlich blutrünstigen Neonazis verhindern.
Am 14. Mai kurz nach Mitternacht traf Innenminister Giorgi Gacharia zu Verhandlungen mit der Antirepressionsbewegung ein. Um Deeskalation be­müht versprach er, mögliche Verstöße der Polizeikräfte zu untersuchen und die Drogengesetze neu zu verhandeln. Er entschuldigte sich für etwaige Verstöße der Polizei, im Gegenzug sollten die Protestierenden vorerst abziehen. Diese willigten ein und ließen sich evakuieren.

Mittlerweile hat sich die Ansicht verbreitet, dass die Regierung den Neo­naziaufmarsch zugelassen hat, um den Antirepressionsprotest zu beenden. »Im ersten Moment haben viele von uns über die Ansage des Innenministers gejubelt, doch jetzt fühlen sich viele von uns betrogen«, erzählt Dato ­Subeliani, ein Mitglied der Bewegung »Weißes Rauschen«, die sich seit fünf Jahren für eine liberale und risikomini­mierende Drogenpolitik einsetzt. Subeliani betrachtet auch die Versprechen des Innenministers mit Skepsis: »Die Untersuchung von Fehlern der Behörden sollte eigentlich Routine sein.

Außerdem liegen unsere Gesetzesvorschläge seit einem Jahr dem Parlament vor, warum sollten sie ausgerechnet jetzt ihre Meinung ändern?«

Zeigt sich das Innenministerium in den Verhandlungen wenig kooperativ, will die Bewegung erneut auf die Straße gehen. Subeliani beschreibt die Lage aber als kompliziert: »Wir sind stets der Bedrohung von gewalttätigen Gegenprotesten ausgesetzt, egal ob wir für LGBT-Rechte, eine liberale Drogen­politik oder gegen staatliche Repression protestieren. Die Ereignisse vom Wochenende waren sehr aufwühlend für uns alle und drohen, uns zu entzweien. Wir dürfen dies nicht zulassen und müssen vereint bleiben. Nur so haben wir eine Chance.«

Wie es mit den Clubs weitergeht, ist unklar. Das Bassiani bleibt vorerst verriegelt. Nadscha Oraschwili, eine Mitgründerin des Clubs, gibt sich jedoch kämpferisch: »Letzte Woche haben sie uns unsere Träume genommen, aber wir werden unsere Freiheit nicht aufgeben. Wir werden zurückkommen!«