David Abud, Community Organizer, im Gespräch über die Kampagne »ICE out of LA«

»Die ICE ist außer Kontrolle geraten«

Interview Von Janina Dobrusskin

David Abud ist Organizer im Bereich Einwanderungsgerechtigkeit, er kommt aus San Luis Potosí (Mexiko) und arbeitet nun in Los Angeles. Die »Jungle World« sprach mit ihm über die Migrationspolitik und die Proteste gegen Familientrennungen in den USA.

Im Zuge der Null-Toleranz-Politik von US-Präsident Donald Trump wurden Kinder von Migranten getrennt von ihren Eltern inhaftiert, teilweise Hunderte von Kilometer entfernt. Sind das neue Maßstäbe in der US-amerikanische Migrationspolitik?
Migration und die Trennung von Familien haben nicht gerade erst angefangen. Die Trennung von Familien hat schon immer in vielen unterschied­lichen Ausprägungen stattgefunden und stellt ein Instrument der US-­Regierung dar, um Menschen zu kontrollieren. Es gibt eine lange Geschichte dieser Praxis, die zurückgeht auf die Zeiten der Sklaverei und weiter über den Genozid an den Native Americans. Auch in anderen Kontexten, wie im Gerichtssystem, findet diese Praxis alltägliche Anwendung.

»ICE out of LA« heißt eine Koalition, die dem Wortlaut nach die Immig­ration and Customs Enforcement (ICE), also die bundesstaatliche ­Einwanderungs- und Zolldurchsetzungsbehörde der USA, aus Los ­Angeles entfernt wissen möchte. Worum kämpft ihr in Los Angeles?
»ICE out of LA« ist eine Koalition von Menschen aus dem Landkreis von Los Angeles, die sich gegen Deportationen und die Kriminalisierung von Migration richtet. Die Kampagne »Shut down ICE« zielt darauf ab, die Einwanderungsbehörde stillzulegen. Wir wollen be­tonen, dass die ICE eine staatliche Einrichtung ist, die außer Kontrolle geraten ist. Die Behörde bedient sich ihrer Macht, um Dinge zu tun, die der Verfassung und den Menschenrechten ­widersprechen. Sie ist eine Behörde, die nicht existieren sollte und die wir schließen wollen. Wir wollen gegen die Zusammenarbeit der Abschiebebe­hörde und der Polizei vorgehen. Wir tun das beispielsweise durch die Politik ­einer sanctuary city, indem wir mehr juristische Beratung zur Verfügung stellen und durch direkte Aktionen.

Welche Rolle spielen Forderungen nach »sanctuary cities« bei eurer Arbeit?
Damit meinen wir Aktivitäten, die darauf abzielen, die Zusammenarbeit ­zwischen der bundesstaatlichen Einwanderungsbehörde und der lokalen Polizei zu unterbinden. Unser Fokus liegt darauf, weil die meisten Personen als Folge von einer Begegnung mit den Vollzugsbehörden abgeschoben werden. Lokale Polizei und Polizeichefs werden dafür als Einwanderungs­beamte eingesetzt. Wir versuchen, genau das Gegenteil zu erreichen und den ­Informationsfluss zwischen der ICE und der Polizei zu unterbinden.

»Wenn wir Familientrennungen verhindern wollen, müssen wir nicht nur die ICE ausschalten, wir müssen auch über Alternativen zu Polizei und Haft nachdenken.«

Wie gestaltet sich dieser zivilgesellschaftliche Protest?
An unterschiedlichen Orten kommt der Protest unterschiedlich zum Tragen. In New York City blockieren Menschen die Zugänge, wenn Menschen aus Gefangenenlagern kommen oder dorthin gebracht werden. In Portland gibt es – was typisch für kleinere Städte ist – ein zentrales Gebäude, in dem alle Tätig­keiten der ICE stattfinden. Dieses ICE-Gebäude wurde von Protestierenden stillgelegt. Die Einrichtung hier in Los Angeles ist dagegen nicht nur eine ICE-Einrichtung. Dort befinden sich auch der Polizeichef, bundesstaatliche Gefängnisinsassen und andere Teile des Gerichtssystems. Uns hilft das zu verstehen, was hier vor sich geht: Alle diese Agenturen arbeiten zusammen. Wenn wir Familientrennungen verhindern wollen, müssen wir nicht nur die ICE ausschalten, wir müssen auch über Alternativen zu Polizei und Haft nachdenken.

In Portland hat eine Blockade die zentrale ICE-Einrichtung stillgelegt. Wie ist das gelungen?
Die Blockade begann mit einem Protest vor dem ICE-Gebäude, der einfach hartnäckig fortgeführt wurde. Die ­Protestierenden haben die Zufahrten und Türen blockiert und niemandem erlaubt, hinein- oder hinauszugehen. Dank der großen Medienaufmerk­samkeit konnten die Protestierenden durchsetzen, dass sie dort bleiben konnten.

 

Ist ein solches Stilllegen von ICE-Einrichtungen auch in Los Angeles oder anderen Städten der USA vorstellbar?
Es ist ein bisschen schwieriger, weil das ICE-Gebäude hier in Los Angeles einen gesamten Wohnblock umfasst, mit mehreren Gebäuden und Eingängen. Aber auch wir haben am Montag einen Fahrzeugeingang dieses Gebäudes lahm­gelegt, den für die wichtigsten Dienstleistungen. Diese Einfahrt haben wir seit Freitag blockiert. Allerdings gibt es auch andere Zugänge zum Gebäude. Wir hatten leider nicht die Kapazitäten, sie alle zu besetzen. Um die Einrichtung komplett stillzulegen, braucht es mehr Leute auf der Straße,

Wer gehört zur »ICE out of LA«-Koalition?
Die Personen, die die Besetzung geplant haben und jetzt Koordinierungsaufgaben wie beispielsweise Spendensammlungen organisieren, sind Teil der Koa­lition. Insgesamt wechselt die Koa­lition gerade von der Aktivität von Mitgliedsorganisationen zu einer breiter geöffneten Gruppe aktiver Einzelpersonen.

Seid ihr mit anderen Gruppen vernetzt?
Es gibt viele ähnlich agierende Gruppen in Kalifornien. Die »ICE out of LA«-­Koalition bildet eine der radikalsten dieser Gruppierungen. Wir organisieren uns innerhalb des gesamten Landkreises von Los Angeles, über Kalifornien und über die gesamte USA. Wir sehen, was die anderen Gruppen machen, ­koordinieren Treffen und Strategien, tauschen Informationen aus und ­arbeiten an Projekten wie beispielsweise an gemeinsamen Kommunikationsnetzwerken. Es gibt einen sehr intensiven Austausch.

Erlebt ihr auch Aktivitäten, die sich explizit gegen eure Arbeit richten?
Es gibt viele Politiker, die sich gegen unsere Arbeit richten, und auch viele rassistische Gruppierungen und Orga­nisationen. Ich bin überrascht, dass sich diese Gruppen bei unserem derzeitigen Protest noch nicht gezeigt haben. Sie kommen oft zu unseren Aktionen und versuchen, diese zu stören.

Was hat sich im Umgang mit Migrantinnen und undokumentierten ­Personen unter der Präsidentschaft Donald Trumps im Vergleich zu der Barack Obamas geändert?
Es haben sich viele Dinge geändert. Grundsätzliche wollte sich die Obama-Regierung gern als Pro-Einwanderung zeigen, obwohl sie weiterhin in großem Maße abgeschoben hat. Die Regierung von Trump ist sehr viel unverfrorener in Bezug auf ihre Antieinwanderungspropaganda. Weil alle wissen, dass Trump gegen Einwanderung ist, wird es einfacher, dagegen zu agieren. Der Wille wird entfacht, diese Position zu bekämpfen. Andererseits geht das ­Wissen darum auch mit mehr Ängsten einher. Der Slogan »Undocumented and unafraid« (undokumentiert und unerschrocken) gilt unter Trump nicht mehr.

Den Aufschrei, den es jüngst wegen der getrennten Familien gab, hätte es also unter Obama nicht gegeben?
Es hätte ihn vielleicht schon gegeben, aber es wäre sehr viel schwerer gewesen, Menschen für Proteste dagegen zu mobilisieren. Die Menschen wollten nicht wirklich sehen, wie schrecklich die Dinge waren. Sie denken, es ist ­etwas ganz Neues und passiert nur jetzt und hier. Dabei passiert es schon seit langer Zeit. Es gibt in den USA eine lange Geschichte von Familientrennungen – auch außerhalb des Migrationskontexts. Hier braucht es mehr Bewusstsein.

Protestieren Sie heute also für offene Grenzen?
Die Linke darf sich nicht nur für Einwanderung einsetzen. Es gibt grundlegende Ursachen, weshalb Menschen hierher kommen. Personen fliehen nicht einfach so. Krieg und Gewalt werden oft durch westlichen Imperialismus und Interventionen verursacht. Die Linke sollte also nicht nur darüber sprechen, dass Migration etwas Positives und Natürliches ist. In Lateinamerika gibt es so viel Gewalt, weil diese Länder jahrhundertelang kolonial ausgeplündert wurden und die US-Regierung in der Vergangenheit dort rechte Dikaturen an die Macht gebracht und unterstützt hat. Bis heute werden diese Länder mit Waffen aus den USA überflutet.