Die Beteiligung des Council of Ex-Muslims of Britain an der London Pride stört manche LGBT-Aktivisten

Ein Gläschen auf die Blasphemie

Am 7. Juli findet die London Pride in der britischen Hauptstadt statt. Der Council of Ex-Muslims of Britain will wieder dabei sein – manchen LGBT-Aktivisten gefällt das nicht.

»Allah is gay« – das kann niemand so ganz genau wissen. Keine Zweifel aber konnten eigentlich an der Berechtigung anderer Forderungen bestehen, die Mitglieder des Rats der Ex-Muslime Britanniens (CEMB) 2017 auf der London Pride erhoben. »Fuck Islamic homophobia«, »Make LGBT rights uni­versal« und »Celebrating apostasy« stand auf Plakaten und Bannern. Schließlich stehen die Lehren des Islam sowie dessen Praxis vielerorts im Widerspruch zur Anerkennung und Gleichberechtigung sexueller Minderheiten und zur Religionsfreiheit.

Der CEMB setzt sich aus Menschen zusammen, die dem Islam und seinen Zwängen abgeschworen haben. Er ­bietet auch eine Anlaufstelle für Muslime, die sich von ihrer Religion abwenden wollen, und setzt sich für Geflüchtete ein, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Atheismus in muslimischen Ländern kriminalisiert werden. Die Organisation versteht sich als atheistisch und kämpft für Menschenrechte, Säkularismus und das Recht auf Gotteslästerung – und gegen das Privileg der Glaubenshüter, jegliche Kritik als hasserfüllten Angriff zu diffamieren.

Manche LGBT in Großbritannien unterstellen dem CEMB Islamhass und sind sich darin mit konservativen ­islamischen Organisationen wie dem Muslim Council of Britain einig. So ­beklagte der Aktivist Amrou al-Kadhi am 19. Juni im Guardian neben dem kommerziellen Ausverkauf der London Pride den »militanten Säkularismus« einiger Teilnehmer und die »Islamophobie« des CEMB. Der sich selbst als queer, non-binär und muslimisch bezeichnende Autor und Künstler hält diesen Säkularismus, gepaart mit einer all­gemeinen Darstellung des kapitalistischen Westens als Oase für LGBT-Rechte, für problematisch. Als Begründung nennt er beispielhaft, dass 2017 viele schwule Männer in Frankreich Marine Le Pen gewählt hätten. Sie hätten sich, so al-Kadhi, von Le Pens antiislamischer Rhetorik überzeugen lassen. In diesem Zusammenhang seien die islamkritischen Plakate der CEMB-Aktivisten ungeachtet der düsteren Situation für viele LGBT in muslimischen Ländern Ausdruck von inakzeptabler »Islamophobie«.

Die Ex-Muslime wollen die eigene Freiheit von der Religion und ihr Recht auf Gotteslästerung feiern, sie haben selbst erfahren, was es heißt, reaktionären Formen des Islam ausgesetzt zu sein.

Al-Kadhi zufolge möchten auch viele Muslime bei der Pride mitlaufen, die Mehrheit der Muslime verurteile Homophobie. Bei einer Umfrage unter britischen Muslimen hatten 2016 allerdings 52 Prozent der Aussage zugestimmt, dass Homosexualität illegal sein sollte. Seine Rede vom »militanten Säkularismus« im Kontext der ­Pride halluziniert einen Angriff des CEMB auf Muslime herbei. Die Kritik am Islam wird als allgemeiner Angriff auf dessen Anhänger gedeutet. Maryam Namazie, eine Sprecherin des CEMB, wird nicht müde, immer wieder zu betonen, dass genau diese Gleichsetzung von lslamkritik und Hass auf gläubige Muslime eine perfide Strategie der konservativen und radikalen Strömungen im Islam sei.

Besondere Aufmerksamkeit erregte voriges Jahr ein Plakat mit der Aufschrift »East London Mosque incites murder of LGBT«. Die Moscheegemeinde im Londoner Stadtteil White­chapel wollte sich den Vorwurf, sie stachele zum Mord an LGBT an, nicht gefallen lassen. In einem öffentlichen Beschwerdebrief bewertete die East London Mosque das Plakat als Teil einer Hetzkampagne gegen Muslime im ­Allgemeinen – eine absurde Unterstellung, die offensichtlich den Zweck verfolgt, jegliche Kritik am Islam als eine Form von Rassismus und Menschenhass zu diffamieren. Es ist alles andere als überraschend, dass dieser Vorwurf im Fall des CEMB eine Gruppierung trifft, die sich selbst als Zusammenschluss von »Ungläubigen, Atheisten und Ex-Muslimen« bezeichnet. Denn der CEMB ist nicht nur ein unnachgiebiger Kritiker der islamischen Lehren, er ist als Gruppe für Apostaten, die dem Islam abgeschworen haben, auch eine besondere Herausforderung. Auf die Abkehr von der ­Religion steht in 13 Staaten die Todesstrafe.

Die East London Mosque bemühte sich, den Vorwurf zu entkräften, sie stachele zum Mord an LGBT auf. Die Gemeinde führte in einer Pressemit­teilung die Verurteilung homophober Aufkleber in ihrem Stadtbezirk an. Doch der CEMB sieht darin nur ein Lippenbekenntnis. Denn dieser Verur­teilung stehen unter anderem eine Reihe von Veranstaltungen mit homo­phoben Rednern in der Moschee gegenüber. Wie der CEMB mitteilte, veranstaltete die Moschee noch in derselben Woche, in der sie die homophoben ­Sticker kritisierte, ein Dinner mit dem Prediger Uthman Lateef. »Wir akzep­tieren Homosexualität nicht«, lehrt dieser. »Wir hassen sie, weil Gott sie hasst.«

 

In der Antwort auf den Brief der Moscheegemeinde lud der CEMB zudem die Verantwortlichen sowohl des Muslim Council of Britain als auch der East London Mosque ein, die Hinrichtung von Homosexuellen und Apostaten in allen Ländern unter islamischem Recht (Sharia), ein ideales islamisches Kalifat eingeschlossen, zu ­verurteilen. Bisher sind beide Organisationen dieser Einladung nicht nachgekommen. Dennoch verteidigte ­al-Kadhi die East London Mosque.

Al-Kadhi beklagt sich in seinem ­Artikel zudem über den Alkoholkonsum im Rahmen der Pride. Er weist darauf hin, dass die Organisatoren explizit keine betrunkenen Veranstaltungsteilnehmer haben möchten, es aber viel Alkohol auf dem Umzug gebe. Das sei, so al-Kadhi, »schwierig« für abstinente oder fastende Muslime. Das läuft auf die Forderung hinaus, die Pride solle sich den religiösen Praktiken und ­Gefühlen von Gläubigen und Glaubensgemeinschaften unterordnen.

Hier zeigt sich der Wunsch nach Gängelung der anderen mit Rücksicht auf Religion, Tradition und Identität und ein autoritäres Weltbild, das beansprucht, nach Maßgabe willkürlicher religiöser Präferenzen individuelle Freiheiten einzuschränken. So werden jene Unterdrückungsmechanismen (samt ihrer Rechtfertigung) reproduziert, unter denen auch LGBT leiden mussten und leiden. Deren Abschaffung in vielen westlichen Demokratien ist dem langen politischen Kampf der Homosexuellen- und anderer emanzipatorischer Bewegungen zu ver­danken.

Was al-Kadhi sich für alle LGBT mit seinem Artikel erhofft – dass sie un­abhängig von Weltanschauung und ethnischer Zugehörigkeit stolz sein können –, spricht er den säkularen und religionskritischen unter ihnen de facto ab. Deren Kritik am Islam als einer homophoben politischen Doktrin dürfte, ginge es nach ihm, nicht geäußert werden, weil Gläubige sich dadurch verletzt fühlen könnten. Diversität scheint für al-Kadhi öffentliche Religionskritik, gar Blasphemie, nicht einzuschließen. Der CEMB hat hingegen niemals gefordert, muslimische LGBT sollten ihre religiöse Zugehörigkeit verschweigen oder diese nicht zeigen dürfen. Maryam Namazie und ihre Mitstreiter verfolgen lediglich das Ziel, die islamische Religion als das zu kennzeichnen, was sie vielerorts ist: eine teilweise tödliche Unterdrückungs- und Diskriminierungsideologie. Und sie wollen die eigene Freiheit von der Religion und ihr Recht auf Gotteslästerung feiern, schließlich haben die meisten von ihnen selbst erfahren, was es heißt, reaktionären Formen des Islam ausgesetzt zu sein.

Vergleichbare Debatten wie in Großbritannien gibt es auch anderswo, etwa im Umfeld der alternativen CSD in Berlin. Der Universalismus wird in Frage gestellt, da er angeblich gegen Muslime instrumentalisiert wird. Auf der diesjährigen London Pride wird der CEMB jedoch wieder vertreten sein – allen Empfindlichkeiten und Beschwerden reli­giöser Gruppen und ihrer Verbündeten zum Trotz. Es gibt auch Unterstützung. Die Beteiligung des CEMB sei »unerlässlich«, sagte Pragna Patel, Direktorin der Southall Black Sisters. Der Menschenrechtler Peter Tatchell bezeichnete den CEMB als »wertvollen Verbündeten« der LGBT sowie »aller fortschrittlichen Menschen überall«.

Der CEMB hat auf seiner Website angekündigt, in London unter dem Motto »Love is not a crime – in 15 countries they have the death penalty for homosexuality« (Liebe ist kein Verbrechen – in 15 Ländern gibt es die Todesstrafe für Homosexualität) abermals auf die tödliche Gefahr für LGBT unter islamischer Herrschaft hinzuweisen und für Säkularismus und Universalismus auf die Straße gehen. Dazu werden einige, ohne Rücksicht auf religiöse Befindlichkeiten und Verbotsforderungen, vermutlich auch ein Gläschen trinken.