In der Flüchtlingspolitik kommt der französische Präsident Emmanuel Macron den Rechten in Europa entgegen

Hand in Hand gegen Flüchtlinge

Der französische Präsident Emmanuel Macron kommt der europäischen Rechten in der Flüchtlings- und Migrationspolitik weit entgegen.

Auf den Streit folgte die Versöhnung. Vor etwa einem Monat war es noch zu verbalen Konflikten zwischen der französischen und der neuen italienischen Regierung gekommen. Nachdem Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini am 10. Juni dem Schiff »Aquarius« mit über 600 aus Seenot Geretteten an Bord das Einlaufen in Häfen seines Landes verweigert hatte, kritisierte der französische Präsident Emmanuel Macron den »Zynismus« der italienischen Behörden. Prompt grollte Salvini, es sei eine offizielle Entschuldigung Frankreichs fällig, er drohte mit einer Absage des Gipfeltreffens Macrons mit dem italienischen Ministerpräsidenten Guiseppe Conte.

Macrons Kritik galt wohl eher dem Bestreben Salvinis, sich der unerwünschten Flüchtlinge ohne Rücksicht auf andere EU-Länder zu entledigen, als dem Umgang mit diesen Menschen. Spaniens neuer sozialdemokratischer Ministerpräsident Pedro Sánchez lud die »Aquarius« ein, um »internationalen Verpflichtungen in einer humanitären Krise« nachzukommen. Bevor das Schiff am 17. Juni im Hafen von Valencia einlief, war es in nur sieben Kilometern Entfernung an der französischen Mittelmeerinsel Korsika vorbeigefahren. Frankreichs Staatsführung zog es jedoch vor, »Spanien unsere Hilfe anzubieten« – ein Anlegen in französischen Häfen kam nicht in Frage. Das war konsequent im Rahmen der Politik, die Frankreich seit dem Sommer 2017 gegenüber den im Mittelmeer operierenden Rettungsschiffen verfolgt.

Korsika wird von den korsischen Nationalisten unter Gilles Simeoni und Jean-Guy Talamoni regiert, seit ihre Liste bei den Regionalwahlen im Dezember 2017 eine Mehrheit von knapp 60 Prozent der Stimmen gewann. Die Inselregierung bot den Migranten an Bord eine Aufnahme in Korsika an. Dafür hat sie zwar keine Vollmacht, die Offerte war aber zur Abgrenzung von der Zentralregierung in Paris nützlich. Dort wollte man davon nichts wissen.

Eine Kriminalisierung der Seenot­rettung dürfte nicht möglich sein, da das Verfassungsgericht eine überraschende Entscheidung in der Tradition der Französischen Revolution traf.

Das Gipfeltreffen von Macron und Conte wurde nicht abgesagt, es fand am Vormittag des 15. Juni statt. Anschließend sprach Conte vor der Presse von einer »perfekten Eintracht«, Macron begnügte sich damit, den Verlauf des Treffens als »freundschaftlich« zu ­bezeichnen. Man arbeite »Hand in Hand«, sagte der französische Präsident, ausdrücklich nannte er dabei die Migrations- und die Währungspolitik. Am 25. Juni traf Macron den italienischen Ministerpräsidenten am Rande seines – in Frankreich wegen der Freiheiten, die der Präsident sich bei der Interpretation des staatsoffiziellen Laizismus herausnimmt, umstrittenen – Besuchs im Vatikan erneut. Beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel waren es wiederum Macron und Conte, die gemeinsam am Abend der langen Gipfelnacht den ersten Entwurf für die Abschlusserklärung formulierten.

Diese sieht »Aufnahmezentren« vor, in denen potentiell asylberechtigte Flüchtlinge und als illegal eingestufte Migranten getrennt werden sollen. Die Erklärung ist jedoch kryptisch formuliert und unverbindlich gehalten, so bleibt unklar, wo die Zentren errichtet werden sollen. Macron vertrat die Ansicht, Italien und andere Erstaufnahmeländer am Mittelmeer könnten mög­liche Standorte sein. »Macron war müde«, kommentierte Conte – die Verhandlungen dauerten bis vier Uhr früh am 29. Juni –, von Italien als Standort sei keine Rede gewesen. In italie­nischen Regierungskreisen ist man mehr an den ebenfalls beschlossenen »Ausschiffungszentren« in Nordafrika interessiert, die von den dafür in Frage kommenden Staaten jedoch abgelehnt werden. Am ehesten dürfte ein Abkommen über solche Zentren mit libyschen Warlords möglich sein.

 

Die französische Regierung hat klargestellt, dass sie keine Aufnahmezentren errichten will, da das Land geographisch nicht in der »ersten Linie« der Einreisezone liege. An sich passt diese Haltung schlecht zu Macrons osten­tativ proeuropäischer Rhetorik. Am 22. Juni kritisierte er bei einer Ansprache im westfranzösischen Quimper den stärker werdenden nationalen Egoismus als »die Lepra, die sich ausbreitet«. Viele Linke und Liberale fanden es problematisch, dass der Präsident ein politisches Phänomen als Krankheit bezeichnet. Weitaus stärker aber wurde er von der extremen Rechten angefeindet, wo man sich seitdem in einer Umkehrung des Stigmas stolz und ­ironisch selbst als »leprös« bezeichnet und der EU eine Verbreitung der Krankheit verspricht.

Macron beklagte, dass einige EU-Staaten sich einer »gerechten Lastenverteilung« entzögen. Das gilt für die osteuropäischen Länder der so genannten Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei), aber auch für die neuen Regierungen Italiens und Österreichs. Letztere spricht sich in einem inoffiziellen Papier, das für ein Expertentreffen der Mitgliedsländer der EU am 2. und 3. Juli in Wien vorbereitet worden war, dafür aus, dass Asylanträge künftig ausschließlich in diploma­tischen Vertretungen außerhalb der EU gestellt werden dürfen. Eine offizielle Abschaffung des Asylrechts auf europäischem Territorium ist zwar nicht vorgesehen, doch entfielen damit de facto sämtliche rechtlichen Verfahrensgarantien.

So weit geht die französische Staatsführung nicht. Allerdings stimmte sie Ende Juni den Gipfelbeschlüssen zu, die den Vorstellungen der autoritären Rechten sehr weit entgegenkommen, und übt sich längst in einer Strategie der Externalisierung der Migrationspolitik. Seit Dezember 2017 etwa prüft das französische Asylamt OFPRA Anträge für aus Libyen ausgeflogene ­Migranten auf dem Boden der mittelafrikanischen Staaten Tschad und Niger, was als Pilotprojekt dargestellt wird.

Zudem hat sich Macron den verbalen Angriffen auf die Seenotretter angeschlossen. Am 26. Juni ereiferte er sich über NGOs wie die deutsche Organisation Lifeline, die die Seenotrettung nicht der – wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen berüchtigten – libyschen Küstenwache überlassen. Diese betrieben »das Geschäft der Schlepper«.

Eine Kriminalisierung der Seenotrettung dürfte jedoch nicht möglich sein, da das Verfassungsgericht am Freitag voriger Woche eine überraschende Entscheidung in der Tradition der Französischen Revolution traf. Das »Prinzip der Brüderlichkeit« habe Verfassungsrang, es verbiete die Strafverfolgung von Menschen, die aus uneigennützigen Motiven Migranten in einer illegalen Aufenthaltssituation helfen. Ein solches délit de solidarité (Solida­ritätsvergehen) beging in jüngerer Zeit eine wachsende Zahl von Migrantenhelferinnen und -helfern, vor allem im Alpenraum des französisch-italienischen Grenzgebiets.

Am Samstag traf der »Solidaritätsmarsch«, der drei Monate lang ehrenamtlich Engagierte von Ventimiglia an der Grenze Frankreichs und Italiens durch das ganze Land bis nach Calais führte, in der Stadt am Ärmelkanal ein. Wegen der Besetzung einer Fähre, die von Calais ins britische Dover fährt, wurden mehrere Dutzend Personen festgenommen. Am Dienstag befanden sich fünf von ihnen, die keinen Aufenthaltstitel haben, in Abschiebehaft. Auch dieses Vorgehen ist neu: In der Vergangenheit hatte die Staatsmacht auch unter konservativen Regierungen politische Protestaktionen von sans papiers (»Papierlosen«, illegalisierten Migranten) geduldet. 1997 konnte ihr damaliger Sprecher Ababacar Diop noch den konservativen Ministerpräsidenten Alain Juppé auf einer Buchmesse öffentlich zur Rede stellen. Mittlerweile weht ein rauerer Wind.