Argentinische Gewerkschaften protestieren gegen die Sparpolitik

Die Zeiten des Dialogs sind vorbei

In Argentinien suchen immer mehr Gewerkschaften die offene Konfrontation mit der Regierung, um soziale Rechte zu verteidigen. Diese sind durch die vom IWF geforderte strenge Sparpolitik gefährdet.

Es war ein Umbruch für die argentinische Gewerkschaftsbewegung: Die Transportarbeitergewerkschaft CATT verließ vorige Woche den größten ­argentinischen Gewerkschaftsdachverband Confederación General del ­Trabajo (CGT). Der Generalsekretär der CATT, Juan Carlos Schmid, bezeichnete sein Ausscheiden aus der Führung der CGT als »unumgänglich«. Dieser hatte er mit Héctor Daer und Carlos Acuña seit 2016 angehört. In der Frage, welche Strategie der Dachverband verfolgen solle, konnten die drei zuletzt keine Einigung mehr erzielen. Mit Schmid ­gehen auch die Transportarbeiter, die Streikmacht der CGT sinkt deutlich. Dank ihrer Mitglieder in Häfen, Flughäfen, im Schienen- und Straßenverkehr ist die CATT in der Lage, die Wirtschaft des Landes fast im Alleingang lahmzulegen.

Die Vorgaben des IWF sorgen dafür, dass die Ausgaben für die Zinstilgung der Auslandsschulden im kommenden Jahr höher sein werden als die Investitionen in soziale Bereiche.

Schon länger gibt es erhebliche Spannungen in der Gewerkschaftsbewegung. Beim Generalstreik vor gut zwei Wochen, dem vierten landesweiten Ausstand gegen die Regierung des rechtskonservativen Präsidenten Mauricio Macri, wurden die Meinungs­verschiedenheiten wieder einmal offensichtlich. Die Sektionen des Gewerkschaftsbunds Central de Trabajadores de Argentina (CTA), der sich 1992 von der CGT abgespalten hatte und sich später in CTA de los Trabajadores und CTA Autónoma aufteilte, verlängerten den Generalstreik von 24 auf 36 Stunden und riefen, anders als die CGT, zum »aktiven Streik« auf. Statt lediglich der Arbeit fernzubleiben, verhalfen sie ihren Forderungen mit Demonstrationen und Straßenblockaden zu mehr Nachdruck. Vielen Lohnabhängigen, die seit dem Amtsantritt der Regierung Macri besonders unter Druck stehen, war die Haltung der CGT schon lange suspekt. Insbesondere die mit Verweis auf den sozialen Frieden vielfach betonte Notwendigkeit eines Dialogs mit der konservativen Regierung schien vielen angesichts der verbreiteten Verarmung und Entrechtung wie blanker Hohn.

Der Austritt der Transportarbeitergewerkschaft treibt die Erosion der CGT weiter voran. Anfang des Jahres hatten sich die Metallarbeiter losgesagt, die Ärzte und die mächtige Kraftfahrergewerkschaft waren gefolgt. Letztere waren vor wenigen Wochen federführend an der Gründung des neuen Gewerkschaftsbündnisses Frente Sindical para el ­Modelo Nacional (Fresimona) beteiligt. Auch Schmids CATT wird sich wohl diesem Bündnis anschließen – wie es schon um die 70 andere Einzelgewerkschaften getan haben. Omar Plaini vom Gremium der Zeitungshändler sagte, man wolle durch gemeinsame ­gewerkschaftliche Kämpfe die politischen Verhältnisse neu ordnen. Das Ziel sei, breite Massen auf die Straße zu bringen und mit anderen Gewerkschaftsströmungen zusammenzuarbeiten. Damit sind vor allem die beiden CTA-Dachverbände gemeint, die sich seit dem Amtsantritt von Macri Ende 2015 in klarer Opposition zur Regierung befinden und ihren Protest regelmäßig auf die Straße tragen. So errichteten CTA-Mitglieder vergangene Woche ein Camp vor dem Kongress in Buenos Aires, um gegen die Sparpläne der Regierung zu protestieren.

Daer und Acuña, die nun als Duo die CGT anführen, rechtfertigten indes die wenig kämpferische Ausrichtung ihres Dachverbands. »Wir müssen auch ­sicherstellen, dass die Regierungsfähigkeit erhalten bleibt und die Regierung ihr Mandat beenden kann«, sagte Acuña jüngst im Gespräch mit der Tages­zeitung Página 12. Das sei man der ­Demokratie schuldig. Zudem habe es dem Willen der Basis entsprochen, ­keine Konfrontation mit der Regierung ein­zugehen.

Es sind derartige Aussagen, die Unverständnis bei vielen Mitgliedern her­vorrufen. Deutlich wurde die Ablehnung der konzilianten Haltung der CGT-Führung schon bei einer Kundgebung im März 2017. Nachdem die Dreierspitze erst einen für den Tag geplanten Generalstreik ­abgesagt und dann – entgegen einer entsprechenden Ankündigung – keinen neuen Termin für den Ausstand bekanntgegeben hatte, kam es zu tumultartigen Szenen vor der Bühne: Schmid, Acuña und Daer mussten vor der wütenden Menge unter »Generalstreik jetzt!«-Rufen und vereinzelten Flaschenwürfen in Sicherheit gebracht werden.

Offenbar streben weite Teile der ­Gewerkschaftsbewegung künftig eine verbandsübergreifende Zusammen­arbeit und organisierten Widerstand ­gegen die Angriffe auf ihre sozialen Rechte an – und das tut auch not. Macri hat das Land in den knapp drei Jahren seiner Amtszeit an den Rand des Bankrotts geführt, die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession und die Lage vieler Argentinierinnen und Argen­tinier wird von Tag zu Tag prekärer. Fast jeder Dritte lebt derzeit in Armut – Tendenz steigend. Von Macris Versprechen, die galoppierende Inflation zu beenden und die Armut zu überwinden, ist mittlerweile nichts mehr zu hören. Um die Pleite des Landes abzuwenden, musste er in den vergangenen Monaten zweimal den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe bitten. Nachdem die argentinische Regierung erst im Juni einen Kreditvertrag über 50 Milliarden US-Dollar mit der Finanzinstitution unterschrieben hatte (Jungle World 37/2018), wurde dieser Ende September noch einmal um weitere 7,1 Milliarden aufgestockt. Das sei die größte Zahlung in der Geschichte des IWF, kommentierte dessen Direktorin Christine Lagarde stolz. Nötig geworden war sie, weil die Zentralbank die im Juni gewährte erste Tranche des 50-Milliarden-Kredits über 15 Milliarden ­US-Dollar bei dem Versuch, die eigene Währung zu stabilisieren, verloren ­hatte. Der Präsident der argentinischen Zentralbank, Luis Caputo, trat daraufhin Ende September zurück, angeblich aus persönlichen Gründen.

Pino Solanas, der Gründer der links-grünen Oppositionspartei Proyecto Sur, bemerkte zum Abkommen mit dem IWF: »Wir brauchen keinen Wirtschaftsminister mehr, wir haben ja jetzt den IWF.« Macri habe sich mit dem Abkommen wie ein Kolonialbeamter verhalten und das Land seiner Souveränität beraubt.

Tatsächlich haben die IWF-Ökonomen die Ausgabenpolitik für die nächsten Jahre vorgegeben. Ihre Devise: rigide Sparmaßnahmen und weitere Sozialkürzungen. So darf der Haushalt im kommenden Jahr kein Defizit auf­weisen und die Notenbank vor Juni 2019 kein neues Geld drucken. Zudem ist es dem Staat verboten, seine Dollar-Reserven zur Stabilisierung der Währung zu nutzen. Insgesamt sorgen die Vorgaben des IWF dafür, dass die Ausgaben für die Zinstilgung der Auslandsschulden im kommenden Jahr höher sein werden als die Investitionen in soziale Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wissenschaft und Kindergeld.

Der IWF-Kredit hat Macri und seiner Regierung etwas Spielraum verschafft. So ist wieder wahrscheinlicher geworden, dass der Unternehmersohn die Zeit bis zu den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 im Amt übersteht. Wie diese ausgehen werden, ist derzeit gänzlich ungewiss. Die Zusammen­arbeit mit dem IWF hat Macri weitere Sympathien gekostet, zu präsent ist die Erinnerung an die Interventionen des IWF nach dem Wirtschaftscrash 2001.

Unterdessen bereitet sich die Opposition auf die Wahlen vor. War sie zuvor sehr gespalten, hat das Regierungshandeln der vergangenen Monate für mehr Pragmatismus und Geschlossenheit gesorgt. Noch ist nicht klar, wen die oppositionellen Peronisten ins Rennen schicken. Aussichtsreichste Kandidatin für die traditionell stärkste Kraft im Land ist die umstrittene ehemalige Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Zuspruch erhielt sie kürzlich von Diego Maradona. Der ehemalige Fußballspieler, der seit geraumer Zeit vor allem durch Drogenexzesse von sich Reden macht, sagte, er würde die Kandidatur Fernández’ unterstützen – und bot sich im Zuge dessen gleich für den Posten ihres Stellvertreters an.