Farage, Assange und das rechte Netzwerk in Europa, den USA und Russland

Das transatlantische Netzwerk

Was tat Nigel Farage (Ukip) bei Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft? Neue Recherchen legen nahe, dass eine rechte, gegen die EU gerichtete Bewegung in den USA, Europa und Russland aktiv ist.

Ein Mann tritt aus der Tür eines Hauses, in der Hand hält er einige Papiere. ­Allerdings lächelt er nicht in die Kamera, wie es Prominente normalerweise tun, sondern schaut die Fotografin unwirsch und leicht überrascht an. Der Mann auf dem Foto ist Nigel Farage.

Marie Le Conte, eine Reporterin des Medienportals Buzzfeed, hatte ihn am 9. März 2017 fotografiert, was Farage sichtlich unangenehm war, denn er kam gerade von einem Besuch bei Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft in London, was er offenkundig geheimhalten wollte. Auf Le Contes Fragen antwortete Farage, er könne sich nicht erinnern, was er in dem Gebäude getan habe.

Der kurze Bericht auf Buzzfeed offenbarte eine Verbindung, deren Brisanz erst anderthalb Jahre später klar werden würde. Dass Farage von der rechts­populistischen United Kingdom Independence Party (Ukip), einer der Hauptbetreiber des Austritts Großbritanniens aus der EU, und Assange, der mit der Veröffentlichung gehackter ­E-Mails der US-Demokraten kurz vor der Präsidentschaftswahl in den USA 2016 ­Donald Trump de facto unterstützte, Kontakt miteinander hatten, ist aufschlussreich. »Dies war der Moment, in dem plötzlich die Konturen sichtbar wurden«, sagte der Medienwissenschaftler David Golumbia von der Virginia Commonwealth University dem Guardian kurz nach der Veröffentlichung des Fotos auf Buzzfeed. Es gebe eine rechte, nationalistische, gegen die EU gerichtete Bewegung, die in den USA, Europa und Russland aktiv sei, so ­Golumbia.

Bis 2017 kam es zu mehreren Treffen der Anführer von »Leave EU« und russischen Diplomaten.

Einige Wochen später gab die britische Wahlkommission bekannt, dass sie ­gegen die Kampagne »Leave EU« ermittle, der Farage vorstand. Es bestehe der Verdacht, dass sich ausländische Firmen und Einzelpersonen in die britische ­Politik eingemischt hätten, was gesetzlich verboten ist. Mittlerweile wird auch gegen den Hauptfinanzier von »Leave EU« ermittelt. Gut acht Millionen Pfund investierte Arron Banks nach eigenen Angaben als Darlehen in die Kampagne. Dass es sich dabei wirklich um sein ­eigenes Geld gehandelt hatte, gilt als immer unwahrscheinlicher: In die ­Kreditvergabe ist mutmaßlich ein Unternehmen mit Sitz auf der selbstverwalteten britischen Isle of Man verwickelt, die als Steueroase berüchtigt ist.

»Leave EU« und vor allem die Anführer der Kampagne haben viele äußerst fragwürdige Kontakte: nicht nur zum skandal­trächtigen Datenanalyse-­Unternehmen Cambridge Analytica (CA), sondern auch zu russischen Diplomaten, Mitgliedern der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung, Wahlkampfhelfern Trumps, und vermutlich auch zu Banken, gegen die nun das FBI ermittelt.

Banks besitzt 37 Firmen, vermutlich, denn als Eigentümer wurden jeweils Personen eingetragen, deren Namen sich meist nur geringfügig von Banks’ Namen unterscheiden, die aber allesamt am selben Tag wie er geboren sind. In den »Panama Papers«, die Steuervergehen offenlegten, wird er allerdings mit seinem richtigen Namen erwähnt. Darin heißt es, er sei Mitinhaber von PRI Holdings Limited, einem auf den britischen Virgin Islands ansässigen Unternehmen. Banks’ Gesamtvermögen soll schätzungsweise 250 Millionen Pfund betragen.

Seit 2014 trat Banks immer wieder als Großspender der rechtspopulistischen Ukip in Erscheinung. Ein Jahr später engagierte er sich bereits für einen EU-Austritt Großbritanniens. Im Juni 2018 wurden zudem Verstrickungen von »Leave EU« mit russischen Politikern und Offiziellen bekannt. Der britischen Wochenzeitung Observer war Material zugespielt worden, das unter anderem E-Mails von Andy Wigmore enthielt, dem Sprecher von »Leave EU« und ­einem Geschäftspartner von Banks. Wigmore hatte demnach im August 2016 eine E-Mail an den russischen Diplomaten Sergej Fedichkin geschickt, der sechs Dokumente über die Verhaftung von George Cottrell durch das FBI beilagen. Cottrell, ein Berater Farages und Freund von Banks, wurden ­unter anderem Geldwäsche, Betrug, Erpressung und Bestechung vorgeworfen. Wigmore und Farage waren dabei, als Cottrell auf dem Flughafen von Chicago verhaftet wurde.

Die Verhaftung hatte nichts mit dem EU-Austritt zu tun: Cottrell hatte Undercover-Agenten des FBI 2014 verschiedene Methoden der Geldwäsche erklärt und betont, dass er Kontakte zu mehreren Banken habe, die für Offshore-Konten sorgen könnten, mit deren Hilfe das Geld wieder legal zurückfließen könne. ­Einer dieser Kontakt könnte die Moldindconbank sein, eine moldawische Bank, die im Zentrum des Geldwäschenetzwerks »Russian Laundromat« steht, das vom ­Rechercheverbund Organized Crime and Corruption Reporting Project und der Nowaja Gaseta aufgedeckt wurde. Cottrell ist auf Linkedin jedenfalls einer von 100 Netzwerkern dieser Bank gewesen – und weiterer Banken wie der zypriotischen FBME und der russischen Alfa und VTB, gegen die derzeit das FBI ermittelt. Es geht dabei um einem möglichen ­Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Trump wegen russischer Ein­mischung in die Präsidentschaftswahl 2016.

Die Kampagne »Leave EU« sieht sich nach wie vor als von ruchlosen Austrittsgegnern verfolgt, die Verschwörungstheorien und Lügen benutzten, um die Kampagne zu diskreditieren. Mitte November wurde allerdings ­bekannt, dass Banks den Untersuchungsausschuss des Unterhauses zum Thema »Fake News«belogen hatte. Der Observer veröffentlichte E-Mails, die zeigen, dass der Geschäftsmann bereits 2015 Kontakt zu Stephen Bannon hatte. »Leave EU« hätte gern, schrieb Banks unter anderem, dass Cambridge Analytica eine Fundraising-Strategie für die USA entwickle, mit der Unternehmen und Interessengruppen, die vom Freihandelsabkommen TTIP betroffen sein könnten, angesprochen werden. Auch US-Bürger, die Verwandte in Groß­britannien hätten, kämen als Spender in Frage, schrieb Banks weiter, Cambridge Analytica möge sich bitte darum kümmern, wie »wir Kontakt zu Personen mit familiären Beziehungen in das Vereinigte Königreich herstellen und dann Geld sammeln und Social-Media-Aktivitäten entwickeln könnten«. In derselben E-Mail an Bannon schrieb er auch, dass er Cambridge Analytica gern im Team haben wolle, und dass dieses vielleicht schon einmal einen ersten Blick auf die bereits gesammelten Daten werfen könne.
Damian Collins, der Vorsitzende des Parlamentskomitees, das Fehlinformationen untersucht, ist sicher, dass diese E-Mails, die der Öffentlichkeit von ­einer ehemaligen Mitarbeiterin von Cambridge Analytica zugänglich ­gemacht wurden, neue Fragen nach der Finanzierung der Kampagne für den EU-Austritt aufwerfen: »Sie legen nahe, dass die Rolle von Bannon und Mercer viel tiefgreifender war als bisher angenommen.« Nun müsse untersucht werden, ob Geld des US-Amerikaners Robert Mercer, eines vehementen Unterstützers Trumps, an »Leave EU« geflossen sei, was illegal wäre.

Die Journalistin Emma Briant, die an der University of Essex lehrt, bekam diese E-Mails ursprünglich zugespielt. In einer Nachricht vom 24. Oktober 2015 schrieb Banks an mehrere Empfänger, unter anderem Bannon, von drei Präsentationen, die am 17. und 18. November für Presse, Politiker und potentielle Spender veranstaltet ­würden. Am 18. November waren Banks und Wigmore in der russischen Botschaft in London zu Besuch. Der Botschafter stellte die beiden Austrittsbefürworter unter anderem einem russischen Geschäftsmann vor, der ihnen von der Möglichkeit erzählte, eine russische Goldmine zu kaufen – ein, wie der Guardian später schrieb, »Multimilliarden-Angebot«.

Im Februar 2016 reiste Banks nach Moskau, um sich unter anderem mit Bankvertretern zu treffen und weitere Details des Geschäfts zu besprechen. Insgesamt kam es zwischen November 2015 und 2017 zu mehreren Treffen von Anführern der Kampagne »Leave EU« mit hochrangigen russischen Diplomaten.

Für Briant steht fest: »Die E-Mails bringen all die unterschiedlichen Personen zusammen – und sie zeigen deutlich, dass ausländische Geldgeber, transatlantische Interessen, Ukip, Bannon, Geld und Daten Themen waren.« Frappierend sei, »wie das Bedürfnis der Beteiligten, die Politik zu beeinflussen und gleichzeitig ihr Drang, Geld zu verdienen, sich komplett miteinander decken«.

Cambridge Analytica mag zwar nach den Enthüllungen über die gezielte Einflussnahme auf die Politik und Wahlen in diversen Ländern aufgelöst ­worden sein, einen ebenfalls auf »Wahlkampf« spezialisierten Nachfolger hat das Unternehmen aber trotzdem bereits: Data Propria, für das mindestens vier ehemalige Beschäftigte von Cambridge Analytica arbeiten. Im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt unter an­derem Brad Parscale, der freundschaftliche Kontakte zur Alt-Right pflegende Digital Media Director in Trumps Wahlkampfteam. Seine Firma Giles-Pars­cale war im August 2017 für neun Millionen US-Dollar vom Unternehmen Cloudcommerce gekauft worden. Im Juni 2018 wurde bekannt, dass Data Propria einen Vertrag mit dem Republican National Committee, dem Orga­nisationsgremium der Republikaner, abgeschlossen hatte, in dem es um ­Serviceleistungen für die Midterm-Wahlen ging. Auch für Trumps möglichen Wahlkampf 2020 wurde die Firma bereits verpflichtet.