In Leipzig wird über den Umgang mit der BDS-Bewegung diskutiert

Boykott des Boykotts

In Leipzig wird diskutiert, wie der Kulturbetrieb auf die antiisraelische Boykottbewegung BDS reagieren soll. Der Druck, den die Kampagne ausübt, macht Künstlern und Institutionen immer mehr zu schaffen.

Die antiisraelische BDS-Kampagne kann immer mehr Erfolge für sich verbuchen. Bislang ist es BDS zwar nicht gelungen, die israelische Wirtschaft durch Aufrufe zum Konsumboykott merklich zu schwächen. Im kulturellen Bereich gelang den Aktivisten, die Israel als »Apartheidstaat« dämonisieren, aber bereits der eine oder andere Coup. Auch kleinere Kulturzentren wie das Conne Island bekommen immer wieder Probleme wegen der Kampagne oder Künstlern, die mit ihr sympathisieren. Am vorvergangenen Mittwoch diskutierte man daher dort über die richtige Reaktion auf den Druck, den BDS auf Kulturinstitutionen ausübt. 

Volker Beck wies in der Diskussion darauf hin, dass der Boykott von Kulturveranstaltungen dem israelischen Staat deutlich größeren Schaden zufüge als ein Konsumboykott.

Neben dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) und zwei Veranstaltern aus dem Berliner Technoclub About Blank saß auch Christian Morin, der musikalische Leiter der Berliner Volksbühne, auf dem Podium. Im August vorigen Jahres musste Morin fast alle Bands aus dem arabischen Raum vom Lineup des von ihm kuratierten Musikfestivals »Popkultur« streichen. Einen Monat später sagte die britische Rapperin Kate Tempest ein von ihm geplantes Konzert an der Volksbühne ab. Anlass war eine Unterkunfts- und Reisekostenzuschuss in Höhe von 500 Euro, den die israelische Botschaft in Berlin der israelischen Musikerin Riff Cohen gewährt hatte. Dass das Logo der israe­lischen Regierung auf dem Festivalplakat zu sehen war, genügte Anhängern von BDS, um einen Shitstorm auszulösen. Letztlich sagte sogar einer der Headliner des Festivals, die britische Band Young Fathers, ihre Teilnahme ab. Ihrem Management zufolge cancelte auch Tempest ihr Konzert, weil BDS sie dazu genötigt hatte. Statt der vielen Absagen hätte sich Morin lieber einen Dialog mit den Bands und der Künstlerin gewünscht. Eine Gelegenheit dazu bekam er nie.

Auch im About Blank kennt man das Problem. Als das queere Kollektiv »Room 4 Resistance« sich auf Facebook mit BDS solidarisierte, geriet der Club in eine ähnliche Kontroverse wie die Volksbühne und das Popkultur-Festival. Nachdem es vor allem im Internet viel Streit gegeben hatte, sagte er im September eine von »Room 4 Resistance« geplante Party ab. Noch immer, so die Veranstalter, belaste der Streit mit der queeren Gruppe interne und externe Strukturen des Clubs. 

Offiziell verschreibt sich BDS dem friedlichen Protest gegen die israelische »Besatzungspolitik«. Die Auseinandersetzungen um das Popkultur-Festival in Berlin und die abgesagte Party im About Blank zeigen, welche Probleme die Bewegung im Kulturbetrieb provozieren kann. Die Kampagne erzwingt Absagen von Popkonzerten oder Technopartys zum Teil sogar dann, wenn sich gar keine israelischen oder palästinensischen Künstler an den Veranstaltungen beteiligen. Beck wies darauf hin, dass der Boykott von Kulturveranstaltungen dem israelischen Staat deutlich größeren Schaden zufüge als Kampagnen zum Konsumboykott, die verschwindend geringe Auswirkungen auf die israelische Wirtschaft hätten. Wenn Künstlerinnen und Akademiker wie Sinéad O’Connor und Stephen Hawking öffentlichkeitswirksam Besuche in Israel annullierten, habe dies ­einen enormen symbolischen Charakter. Dass die Kulturboykotte nun auch außerhalb der Staatsgrenzen Israels stattfänden, sei eine neue Qualität.

Wie weitreichend die Wirkung der BDS-Kampagne ist, machte Morin deutlich. Insbesondere Künstler aus dem arabischen Raum müssten in ihren Heimatländern Auftrittsverbote und Anfeindungen fürchten, wenn sie den Eindruck erweckten, auf Festivals zu spielen, die von der israelischen Regierung gesponsert werden. Es sei aber nicht zwangsläufig der Fall, dass arabische Künstler sich tatsächlich mit BDS solidarisieren, wenn sie ihre Teilnahme an einer Veranstaltung absagen, zu deren Boykott die Kampagne aufruft.

Nun wollen Leipziger Kulturschaffende Strategien gegen BDS entwickeln. Auch die Leipziger Politik will gegen BDS vorgehen. Am 5. November legten SPD, CDU und Grüne im Leipziger Stadtrat einen Antrag mit dem Titel »Gegen jeden Antisemitismus!« vor. Darin heißt es: »Leipzig erteilt allen antisemitischen Boykottaufrufen eine klare Absage. Das gilt auch für die BDS-Kampagne (›boycott, divestment and sanctions‹).« Die drei Fraktionen fordern, keine finanziellen Mittel oder Räumlichkeiten für Veranstaltungen der Kampagne bereitzustellen.

Dies dürfte Veranstaltungsorten wie dem Conne Island wenig nützen. Seit ­einiger Zeit schon versucht der Club, BDS nahestehenden Künstlern das Gespräch anzubieten. Der Erfolg war ­bislang gering: Oft erhält das Zentrum, wie 2016 im Fall des US-amerikanischen Rappers Talib Kweli, keine Antwort auf Nachfragen zu Verbindungen der Künstler zu BDS und sagt Veranstaltungen unter Verzicht auf Einnahmen ab. Kweli hatte zuvor auf Twitter über die Kampagne geschrieben: »Es ist ein friedlicher Boykott, um auf die Apartheid aufmerksam zu machen.«

Eine Bühne für BDS-Propaganda wollen die Veranstalter nicht bereitstellen. »Mit denen ins Gespräch zu kommen, ist wichtig. Aber solange sie nicht bereit sind, kritisch zu reflektieren, was diese Kampagne ist, solange würde ich sie mir auch nicht aufs Po­dium einladen«, sagte einer der Veranstalter des About Blank. Der antiisraeliche Charakter von BDS spielt bei sämtlichen Shitstorms anscheinend ohnehin kaum eine Rolle. »Klar uneindeutig« nannte Beck die Haltung von BDS zum Existenzrecht Israels. Die politischen Implikationen der Kampagne könnten nur darauf hindeuten, dass ein mehrheitlich jüdischer Staat nicht existieren soll. Dass es vielen BDS-Anhängern nicht um eine friedliche Beilegung des Israel-Palästina-Konflikts geht, beweist ihre praktische Militanz.