Die italienische Regierung hat das »Bürgereinkommen« beschlossen

Wie Hartz IV, nur schlimmer

In Italien wurde die Einführung des »Bürgereinkommens« beschlossen. Die Regierung spricht von der »Abschaffung der Armut«, in Wirk­lichkeit handelt es sich um eine Grundsicherung nach dem Vorbild von Hartz IV, aber mit weniger Geld und strengeren Sanktionen.

»Willkommen zurück, Wohlfahrtsstaat, bye bye, elitärer Staat.« Mit diesen Worten begrüßte der italienische Arbeitsminister Luigi Di Maio im Januar in ­einem Beitrag auf dem Blog seiner Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) die Verabschiedung des sogenannten Bürgereinkommens und eine Rentenreform, die einen früheren Renteneintritt ermöglicht.

Das »Bürgereinkommen« war das zentrale Wahlversprechen des M5S. Nun wird dieses erfüllt, und der Zeitpunkt ist nicht zufällig. Denn der Wahlkampf für die Europawahlen läuft bereits. Schon ab April sollen die ersten Berechtigten über ihr »Einkommen« verfügen. Dieses soll auf eine Debit-Karte überwiesen werden, die ab März beim Postamt oder online beantragt werden kann. Di Maio stellte Anfang der Woche einen Prototyp vor, indem er eine Glaskuppel enthüllte, unter der die Karte wie eine Reliquie präsentiert wurde. »Es ist die Nummer eins«, sagte der stellvertretende Ministerpräsident strahlend, »ein bisschen wie die Münze von Onkel Dagobert.«

Dass der M5S dieses Modell der Grundsicherung, das sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Europa als ein Programm zur Verwaltung und nicht zur Bekämpfung der Armut erwiesen hat, als innovativ, gar »revolutionär« verkaufen kann, liegt daran, dass Italien eines der wenigen EU-Länder ist, in dem es bisher keine vergleichbare Grundsicherung gibt – besser als nichts, lautet die Devise.

Inszeniert wurde dabei etwas recht Unspektakuläres. Denn das, was die italienische Regierung »Bürgereinkommen« nennt, ist nichts anderes als eine vorübergehende Grundsicherung, deren zentrales Element der Zwang zur Arbeitsaufnahme ist – ein Modell, das in anderen europäischen Ländern, allen voran Deutschland, bereits besteht.

Bedürftige Alleinstehende sollen maximal 780 Euro monatlich, Familien bis zu 1 330 Euro zur Verfügung haben, Geld wird aufstockend zum Einkommen des Empfängers gezahlt, wenn dieses darunter liegt. Nach Schätzungen der Regierung wird die Unterstützung etwa 1,4 Millionen Familien beziehungsweise 4,6 Millionen Menschen zugute kommen. Mindestens ein Drittel der in Armut Lebenden in Italien sind allerdings nicht arbeitslos, sondern working poor – prekär beschäftigte Menschen, die abwechselnd arbeiten und arbeitslos sind oder unfreiwillig in Teilzeit ­arbeiten.

Während nach Angaben der Regierung die durchschnittliche Unterstützung für Berechtigte 500 Euro pro Monat betragen wird, zeigten Schätzungen unabhängiger Institute, dass der durchschnittliche Transfer rund 391 Euro betragen dürfte und damit nur etwas höher wäre als der des von der Vorgängerregierung eingeführten »Inklusionseinkommens«, einer Ar­t ­Sozialhilfe. Auch das italienische Statistikamt warnt davor, dass die Maßnahme es weder schaffen wird, die gesamte Bevölkerung, die in absoluter Armut lebt, zu unterstützen, noch die Lebensbedingungen der relativ Armen zu verbessern – deren Zahl 2017 auf über neun Millionen Menschen anstieg.

Über die Beträge, die die Finanzierung des »Bürgereinkommens« ermöglichen sollen, wird derzeit heftig gestritten. Fest steht, dass dafür in diesem Jahr statt der zunächst veranschlagten 17,5 Milliarden Euro nur knapp sieben Milliarden zur Verfügung stehen. Das war das Ergebnis des wochenlangen Streits mit der EU, nach dem Italien einen neuen Haushaltsplan für 2019 vorlegen musste und sich verpflichtete, das ­Defizit auf 2,04 statt 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen.

Um die Zahl der Berechtigten ein­zuschränken, wurde ein komplexes System an Ausschlusskriterien und Einschränkungen geschaffen, das auf sozialer Kontrolle und Sanktionen fußt. Als berechtigt gilt, wer ein Jahreseinkommen unter 9 360 Euro und nicht mehr als 6 000 Euro an Ersparnissen hat. Um die Grundsicherung zu beantragen, darf man zudem keine Immobilie im Wert von mehr als 30 000 Euro besitzen, die man nicht selbst bewohnt, und in den vergangenen zwei Jahren kein neues Auto mit 1 200 und kein Motorrad mit 250 Kubikzentimetern ­Hubraum oder mehr gekauft haben.

Ausländer, die nicht mindestens zehn Jahre offiziell in Italien gelebt haben – und damit ein Großteil der in ­Armut lebenden EU-Ausländer und Migranten –, sind vom Bürgereinkommen ausgeschlossen, ebenso Familien, in denen ein Mitglied in den vergan­genen zwölf Monaten eine Stelle gekündigt hat. Nicht nur sind die Voraussetzungen für den Erhalt der Grundsicherung sehr streng. Auch frei verfügen dürfen die Empfänger nicht über das Geld, das monatlich auf die Debit-­Karte überwiesen wird. Es muss bis zum Monatsende für einen nicht näher ­definierten »Grundbedarf«, die Miete oder eine Hypothek komplett ausge­geben werden, sonst verfällt die Restsumme. Ausgaben für Glücksspiel oder Luxusgüter sind nicht erlaubt. Höchstens 100 Euro dürfen bar ab­gehoben werden.

Die Grundsicherung ist außerdem an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, die die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt fördern sollen – die »Anti-Couch-Vorkehrungen«, wie Di Maio sie genannt hat: Arbeitslose müssen während der gesamten Zeit des ­Bezugs aktiv nach Arbeit suchen. Dazu verpflichten sie sich mit ihrer Unterschrift unter den »Arbeitspakt«. Dieser sieht vor, dass der Bezieher täglich auf der offiziellen Online-Plattform der Regierung nach neuen Stellenangeboten sucht. Wer in den ersten sechs Monaten eine bis zu 100 Kilometer entfernte Stelle ablehnt, kann wegen Verdachts der Schwarzarbeit kontrolliert werden. Nach sechs Monaten gelten bis zu 250 Kilometer als zumutbar, nach einem Jahr ein Umzug innerhalb Italiens. Wer drei Mal ein Stellenangebot ablehnt, bekommt kein Geld mehr. Zu den »Anti-Couch-Vorkehrungen« gehört zudem die Verpflichtung zu acht Wochenstunden gemeinnütziger Arbeit. Und die Sanktionen, die bei falschen Angaben drohen – sowohl über die ­eigenen Einkommensverhältnisse als auch bei Schwarzarbeit –, haben es in sich: Vorgesehen sind Haftstrafen von zwei bis sechs Jahren.

Dass der M5S dieses Modell der Grundsicherung, das sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Europa als ein Programm zur Verwaltung und nicht zur Bekämpfung der Armut erwiesen hat, als innovativ, gar »revolutionär« verkaufen kann, liegt daran, dass Italien eines der wenigen EU-Länder ist, in dem es bisher keine vergleichbare Grundsicherung gibt – besser als nichts, lautet die Devise.

So treten der disziplinierende Aspekt sowie die stigmatisierende, sozialchauvinistische Rhetorik, mit der der neue »Wohlfahrtsstaat« bejubelt wird, in den Hintergrund. Der Arbeitslose wird als auf der Couch liegender Sozial­schmarotzer imaginiert, dem der Staat auf völlig willkürliche Weise Lebens- und Verhaltensregeln diktieren und von dem er Demut, Gehorsam und Dankbarkeit erwarten kann.

Dankbare Wählerinnen und Wähler braucht der M5S dringend, denn der Wahlkampf für die Europawahl hat in Italien längst begonnen. Voriges Jahr hat sich gezeigt, dass die flüchtlingsfeindliche und souveränistische Rhetorik der rechten Lega erfolgreich ist. Ob mit einem »besser als nichts« dagegen anzukämpfen ist, bleibt fraglich.