»Destroyer«, der jüngste Film der Regisseurin Karyn Kusama

Die Gewalt in den Körpern

Karyn Kusama inszeniert mit »Destroyer« einen weiblichen Polizeifilm mit einer herausragenden Nicole Kidman als traumatisierter ­Ermittlerin.

Wie in einer Versuchsanordnung zeigen die Filme der US-amerikanischen Regisseurin Karyn Kusama, was entstehen kann, wenn Genreregeln nach feministischen Kriterien verändert werden. Ihr Kinodebüt »Girlfight« (2000) erzählte den klassischen »Rocky«-Plot (ein Mann boxt sich von unten nach oben) mit einer Prota­gonistin, die den Mann, in den sie verliebt ist, im Kampf verdrischt. Die konsequentesten Umschreibungen hat Kusama bislang im Horrorgenre unternommen. »Jennifer’s Body« (2009) spielt mit der Angst vor der vagina dentata, wenn die Titelheldin ermordet wird und als Wiedergängerin ihre Mitschüler frisst. »Her Only Living Son«, Kusamas Beitrag zum US-amerikanisch-kanadischen Episodenfilm »XX«, eine Horroranthologie, deren sämtliche Beiträge von Regisseurinnen inszeniert wurden, lässt eine alleinerziehende Mutter gegen Satan antreten. Kusama zeigt, was aus Rosemarys Baby hätte werden können.

In den physisch schmerzhaften Action-Szenen wird spürbar, dass die ausgezehrt wirkende Frau ihre Energie nur noch aus ihrer ungeheuren Wut bezieht – einer Mischung aus Aggression und Selbsthass.

Ihr jüngster Film »Destroyer« nimmt sich den Polizeithriller vor. Der Film knüpft an die mythisch überhöhte Figur des einsamen Cops an, der mit den Mitteln des offiziellen Ermittlungsapparates nicht mehr weiterkommt und auf eigene Faust agiert. »Dirty Harry« ist das große Vorbild. Kusama schickt eine ungeschminkte Nicole Kidman in den Krieg gegen eine Gang von Bankräubern. Mit jeder Einstellung scheint Kidman daran zu erinnnern, wie selten Hauptrollen mit Frauen über 40 besetzt werden. Was zuerst wie ein straighter Rachefeldzug aussieht, ist am Ende näher an Abel Ferraras »Bad Lieutenant« als an Clint Eastwood: Die Polizistin Erin Bell (Kidman) ist nicht angetrieben von dem Wunsch, die Stadt aufzuräumen, weil es sonst niemand tut, sondern auf der Suche nach Vergebung. In stetem Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit entfaltet sich ihre Geschichte. Die Gang, auf die sie und ihr Partner Chris (Sebastian Stan) vor 18 Jahren undercover angesetzt wurden, taucht wieder auf. Erin marschiert los, alkoholisiert und übernächtigt, und macht sich im Alleingang auf die Suche. Schritt für Schritt kommt sie dem Anführer näher und bald wird klar, dass es ihr nicht nur um Rache geht, sondern um den Versuch, eine eigene, untragbare Schuld dennoch abzutragen.

Die Erinnerungen an ein traumatisches Geschehen suchen sie nachts im Schlaf heim. Je näher Erin Bell der Vergangenheit kommt, desto mit­genommener wirkt sie. Alkohol und Schlafmangel haben tiefe Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. In den physisch schmerzhaften Action-Szenen wird spürbar, dass die ausgezehrt wirkende Frau ihre Energie nur noch aus ihrer ungeheuren Wut bezieht – einer Mischung aus Aggression und ungesundem Selbsthass.

Witzig ist das alles nicht, wie eigentlich nie bei Kusama. Selbst der als Horrorkomödie vermarktete (und dramatisch gefloppte) »Jennifer’s Body« ist eine grimmige und komplexe Rape-Revenge-Story, beseelt von einer aggressiven Energie, die die ironische Tonlage der Dialoge immer wieder unterläuft. Die Frauen in Kusamas Filmen haben körperliche Gewalt erfahren und reagieren darauf mit Gewalt. Dieses Verhalten ist im Kino zumeist männlichen Figuren vorbehalten. Kusamas Erzählung erscheint stimmig: »Vielleicht ist das Leben ja tatsächlich nur ein Krieg«, sagt Michelle Rodriguez in »Girlfight«, als schon klar ist, dass die Protagonistin das Zuschlagen lernen muss, nachdem ihr Vater ihre Mutter in den Selbstmord geprügelt hat.

Die Menschen werden in Kusamas Filmen in ihrem Leiden so ernst genommen, dass es unmöglich wird, sie zu bemitleiden, zu verachten oder sich über sie zu stellen, egal, was sie tun. Kusama gelingt es, ihnen ihre Würde zu lassen, auch im andauernden Ausnahmezustand.

Es geht diesen Filmen nicht darum, die Gegengewalt als Befreiung zu zelebrieren. Die Wiedergängerin in »Jennifer’s Body« erbricht schwarzes Blut, die Boxkämpfe in »Girlfight« sind betont undramatisch gefilmt. Und die virtuos inszenierten Action­szenen in »Destroyer« vermeiden jede Katharsis. Überhaupt, virtuos inszeniert: Dass dieser Film bei der diesjährigen Oscar-Verleihung nicht einmal nominiert war, während ein ans Infame grenzender Blödsinn wie »Green Book« als bester Film aus­gezeichnet wird, lässt noch einmal deutlich werden, wie überflüssig diese Veranstaltung eigentlich ist.

Zerstörerinnen sind alle Protagonistinnen Kusamas. Ihre Filme nehmen insofern eine feministische Perspektive ein, als sie versuchen, die Entstehungsgeschichte der Gewalt zu erzählen. Es geht also nicht darum, männliche Subjekte schlicht durch weibliche zu ersetzen und dies als Ermächtigung zu feiern. Als positive Identifikationsfiguren sind die Frauenfiguren zu gebrochen; sie alle sind darüber definiert, was ihnen widerfahren ist und was sie anderen zufügen. Ihre Traumatisierung hat eine Geschichte und eine soziale Genese, die eng verbunden ist mit einer ­patriarchalen Ordnung. Aus ihr graduell (und meist nur temporär) auszubrechen, gelingt nur mit Gewalt, die sich mitunter gegen die Frauen selbst wendet. Die Mutter, die in »Her Only Living Son« ihr Kind umklammert, um es vor dem Teufel zu beschützen, hält es fest, bis ihre Knochen brechen.

Die stille Negativität von »Destroyer« wird durch den Einsatz von gedeckten Farben und verhangenem Licht, das durch vergilbte Vorhänge scheint, noch verstärkt. Los Angeles ist ein entrückt wirkender Ort. Ruhig und unerbittlich reiht der Film Katastrophe an Katastrophe.

In Kusamas Netflix-Produktion »The Invitation« (2015) wird die Katastrophe zum Thema der Erzählung. Ein getrennt lebendes Paar trifft sich zwei Jahre, nach dem der gemein­same Sohn zu Tode gekommen ist, auf einer Dinner Party wieder. Es gibt verschiedene Weisen, mit dem Unaushaltbaren umzugehen. Die zu töten, die einem nahe sind, gehört offenbar dazu. In der Sterbeszene am Ende von »The Invitation« taucht ein kurzer, fast schon glücklicher Moment der unzerstörbaren Verbundenheit auf. In »Destroyer« gibt es ein allegorisches Filmbild, das zu den schönsten gehört, die man in den letzten Jahren im Kino sehen konnte. Es zeigt eine Mutter mit ihrer Tochter im Schneesturm. Man bekommt in diesem Moment, der wie ein Versprechen aus dem ganzen Unglück hervorsticht, tatsächlich einen kurzen, tränentreibenden Schreck.

 

Destroyer (USA 2018). Regie: Karyn Kusama, Buch: Phil Hay, Matt Manfredi, Darsteller: Nicole Kidman, Sebastian Stan, Tony Kebbell. Filmstart: 14. März