Klassenkampf - Probe für den Ernstfall

Falscher Alarm

<p>Der Leistungskurs ist genervt. Er ist ja – habe ich es hier schon erwähnt? – der charmanteste, fleißigste und freundlichste Leistungskurs, den man sich denken kann.</p>

Der Leistungskurs ist genervt. Er ist ja – habe ich es hier schon erwähnt? – der charmanteste, fleißigste und freundlichste Leistungskurs, den man sich denken kann. Verrückterweise befinden sich in ihm gleich sechs junge Menschen, die gerne ruhig herumsitzen und ungestört ein Buch lesen, und neun weitere, die einfach nur gerne herumsitzen, da kommt so ein Feueralarm natürlich ungelegen. Man muss dann nämlich hinausgehen auf den kalten Schulhof, drei Treppen runter, eine Viertelstunde später wieder drei Treppen rauf, vielleicht regnet es obendrein, und brennen, das wissen alle, tut es ­sowieso nicht wirklich.

»Aber nein«, sage ich, »wir müssen da jetzt raus, zur Sicherheit. Es könnte ja diesmal stimmen und wie würde ich das dann euren Eltern erklären, wenn ich mit 15 kleinen Häuflein Asche dastünde, und ­alles nur, weil ihr gerne sitzt?« Sie gucken dann entsetzt und ich sage: »Quatsch, es brennt nicht wirklich, aber wir müssen jetzt da raus«, und weil sie, wie erwähnt, sehr freundlich sind, raffen sie sich dann auf. Zum ungefähr sechsten Mal, seit jemand herausgefunden hat, dass man mit Hilfe eines einfachen Feuerzeugs und des Feuermelders die ganze Schule für eine halbe Stunde lahm­legen kann.

Die Mittelstufe reagiert ganz anders, hier werfen alle begeistert die Arme in die Luft und Stifte durch die Gegend, springen auf und rennen grölend in Richtung Tür, selbstredend alle auf einmal und nicht, wie wir es geübt hatten, geordnet in Zweiergruppen, so dass zum großen Spaß aller an der Tür der gewünschte Engpass entsteht und, wer will, sich ein bisschen prügeln kann. Egal, denke ich, es brennt ja nicht wirklich. Da mein Auftrag in dieser Situ­ation unter anderem ist, zu über­prüfen, ob irgendwer auf den Toiletten zurückgeblieben ist, habe ich, bis ich schließlich auf dem Schulhof an­gelangt bin, den größten Teil der Klasse verloren. Mit dem Rest laufe ich aber brav zu der vorgesehenen Sammelstelle, zähle ihn, und falls jemals tatsächlich wie vorgesehen ein Mitglied der Schulleitung erscheinen würde, könnte ich dann Meldung machen, dass beispielsweise aus der 7a acht Kinder anwesend seien, also der Verbleib von 24 Kindern ­ungeklärt sei, ich aber annehme, dass sie nicht mehr im Schulgebäude, sondern beim Bäcker um die Ecke seien. Die Schulleitung kommt aber ohnehin nie, vermutlich weil auch sie weiß, dass es nicht wirklich brennt.

Wir stehen also einfach herum, bis wir feststellen, dass alle wieder ins Schulgebäude zurückgehen. ­Gegen Ende der Schulstunde sind dann fast alle Kinder wieder im doch nicht ab­gebrannten Klassenraum und man kann noch kurz besprechen, was diesmal alles schlimm schief gelaufen ist und wie wir es besser machen können. Wir sind, kurz gesagt, an meiner Schule ausgesprochen gut auf den Ernstfall vorbereitet. Aber es brennt ja nicht ­wirklich.