Jörg-Uwe Albigs Roman »Zornfried«

»Gruseleffekte und Angstlust«

Interview Von Steffen Greiner

Warum sind die Medien von der Neuen Rechten so fasziniert? Der Schriftsteller Jörg-Uwe Albig im Gespräch.

Schauplatz von Jörg-Uwe Albigs neuem Roman ist die im Spessart gele­gene Burg Zornfried, ein Treffpunkt der Vordenker einer Neuen Rechten. Ein raunender Dichter, ein völkisch philosophierender Waldgänger, ein Filmemacher, der sich als böses Genie inszeniert, kämpferische junge Männer und viele blonde Mädchen, die sich Kunigunde nennen, bevölkern den Roman »Zornfried«. Von der Aussicht auf eine spektakuläre Reportage werden auch Journalisten angelockt – die sich bisweilen gefährlich weit auf das Spiel der Burgbewohner einlassen. Albig, Jahrgang 1960, erkundete bereits den Germanenkult im China der nahen Zukunft (»Berlin Palace«, 2010) und den erotischen Reiz von Beton (»Eine Liebe in der Steppe«, 2017).

Sie haben einen satirischen Roman geschrieben, der sich mit der Neuen Rechten und dem Umgang der Medien mit ihren Vorden­kern beschäftigt. Namen und Schauplatz sind fiktiv, aber es gibt zahlreiche Parallelen zu prominenten Rechtsextremen, vor allem zum Verleger Götz Kubitschek, der in den vergangenen Monaten viel Beachtung in den Medien erfahren hat. Es gab Interviews, Porträts, Reportagen, Kubitschek zieht das Interesse vieler junger Journalisten auf sich. Vor allem sein völkischer Lifestyle, das Leben auf einem alten Rittergut als Selbstversorger mit einer großen Familie, fasziniert manche Leute. Die Wirklichkeit scheint die Parodie eingeholt zu haben.
Das war natürlich eine Herausforderung. Ich habe diese merkwürdige Faszinationsproduktion schon lange verfolgt, über Jahre: diese seltsame, halb freiwillige Kooperation von Journalisten mit Rechten. Dass dann i­rgendwann diese Annäherungen Schlag auf Schlag kamen, war natürlich einerseits bedenklich, als Rhythmusgeber für die Arbeit aber nicht schlecht.

Faszinationsproduktion ist ein treffendes Wort für die Homestorys über die Neuen Rechten.
Faszination ist einerseits eine Sache des Betrachters, des Faszinierten, andererseits desjenigen, der sie ausstrahlt. Auf dessen Seite ist sie strate­gisches Element. Ich versuchte, mich in beide Seiten hineinzuversetzen. Und es ist auf beiden Seiten eine Mischung aus Absicht und Versehen. Die Rechten setzen bewusst diese Gruseleffekte ein. Hitler schrieb 1923: »Die Leute wollen jemand, der ihnen bange macht, dem sie sich schaudernd unterwerfen.« Das ist deren Geschäftsgrundlage. Es ist bewusst gesetzt. Ich vermute aber, dass Journalisten, die dieses Angebot aufgreifen, nicht nur die Angstlust des Publikums bedienen, sondern sie sich auch zu eigen machen. In meinem Buch ist das auf der Kippe: Der Journalist Jan Brock erlebt zwar, dass die Inhalte beim Publikum erfolgreich sind, durchläuft aber selbst auch die ganze Bandbreite von Spukschloss-Emotionen.

Er hat den Ehrgeiz, mit seiner Geschichte in die Liga seiner Vorbilder wie Hunter S. Thompson oder Tom Wolfe vorzurücken. Während Ihrer Arbeit am Roman flog der »Spiegel«-Reporter Claas Re­lotius mit seinen Fälschungen auf. Das Augstein-Motto »Sagen, was ist« wird im Buch zitiert.
Ich könnte mir vorstellen, dass Claas Relotius den new journalism, der sich immersiv in die Situation begibt und dann Profit aus dem Grenzverlust zieht, zum Vorbild genommen hat.

Am Anfang beschreiben Sie eine Motivation des Journalisten, wenn Sie ihn von einer »Erinnerung an eine schaurige Vergangenheit, die ich nicht erlebt hatte«, reden lassen, »ein Versäumnis, das mir, wie jedes nicht erlebte Ereignis, manchmal als eine Lücke im Leben erschien«.
Ich glaube tatsächlich, dass es so etwas wie nachholende Neugier gibt. Ich zum Beispiel hatte das mit 1968: Das hätte ich gerne mit erwachsenem Bewusstsein erlebt. Vielleicht ist diese rückwirkende Neugier umso stärker, je klarer ist, dass die Vergangenheit nicht identisch nacherlebt werden kann. Dann sucht man sich Ersatzobjekte. Natürlich sind die heutigen Rechten nicht eins zu eins Wiedergänger der Nazis. Aber sie bieten ein Echo dieses Grusels.

Allerdings sind die Bewohner der Burg Zornfried allesamt gar nicht so dämonisch, sondern eher banal – das kennt man, wenn man einmal tatsächlich in die Schriften hineinliest, die Kubitschek verfasst. Das ist alles weder besonders intellektuell noch von abgründigem Reiz.
Ja, das ist alles nicht besonders schneidig, Götz Kubitschek ist ein Schwabe, der da so vor sich hin schwäbelt, alles sehr behäbig. Ich bin das wie eine Untersuchung angegangen. Ich stand da vor einem Phänomen: dem selt­samen Eifer, mit dem Journalisten sich diesen Figuren näherten, dieser Hartnäckigkeit, dieser Intensität, die die Bedeutung der Szene völlig übersteigert. Ich habe versucht, mir die Entstehung dieser Faszination zu erklären, in dem ich verschiedene Geschichten durchgespielt habe, die mir plausibel vorkamen: Dass man vielleicht eine dämonische, schillernde Mephisto-Gestalt sucht, einen Hannibal Lecter, einen Bösewicht mit schneidendem Verstand. Dann ist es nicht so – und wie macht man das weiter? Biegt man es sich zurecht? Modifiziert man Eindrücke? Modi­fiziert man das eigene Schreiben? Ich habe versucht, mich hineinzuver­setzen, ich war ja auch selbst lange genug Journalist: Wie würde ich das machen?

Sie haben sich aber auch in die Rechten hineingedacht: Wie leicht ist Ihnen das gefallen?
Die Rechten bieten den Vorteil, dass sie die Tastatur nicht halten können und das Internet vollschreiben, ein reicher Materialschatz. Man lernt sehr schnell, wie sie reagieren, wie sie intern miteinander sprechen. Da gibt es ja auch eine Art Debatte. Man muss ein paar Referenzpunkte verstehen, die Konservative Revolution, man muss ein paar Heldenfiguren kennen, dann kommt man da recht leicht rein. Ich habe mich damit aber natürlich mehr beschäftigt, als es vielleicht gesund ist.

Eine Figur im Buch ist der rechtsextreme Dichter Storm Linné, der völkische Gedichte mit Titeln wie »Höllenheil« schreibt. Mussten Sie beim Schreiben nicht selbst darüber lachen?
Es hat schon Spaß gemacht, einen perversen Spaß. Das ist zwar kein sonniges Vergnügen, aber doch, schon Spaß. Stefan George hat geholfen. Wenn man zehn Gedichte von George gelesen hat, dann ist man drin. Ich habe Neo-Folk-Texte gehört, von Bands, die auch in rechten Kreisen unterwegs sind, wie Death in June, die todessüchtig und martialisch sind. Dann musste ich eigentlich nur noch die Inhalte einspeisen. Die Form hat sich von selbst gefügt. Und ich hatte da schon meinen Anspruch, ich wollte nicht einfach stümperhaft diese Ästhetik verlachen. Das sollte formal korrekt sein, sauberes Versmaß, echte Reime.

Der Burgdichter von Zornfried, dessen Schriften die ganze Handlung erst auslösen, ist eine Gestalt, zu der es kein wirkliches Pendant im Panoptikum der Neuen Rechten zu geben scheint: Wie ist die Figur entstanden?
Storm Linné ist das Phantom, das leere Zentrum dieser Burg, um das sich alles gruppiert. Ich habe mir überlegt, welche rechten Dichter es gibt und fand nur in obskuren Mini-verlagen tatsächlich rechte Lyrik. Aber wenn ich so geschrieben hätte wie die, hätte man mir gesagt: Das ist aber jetzt wirklich eine sehr billige Art, sich über die Rechten lustig zu machen.

Jörg-Uwe Albig: Zornfried. Klett-Cotta, Stuttgart 2019, 159 Seiten, 20 Euro