Heike Radvan über den CSD in Cottbus

»Etwas, was alle angeht«

Interview Von Carl Melchers

Soziologin Heike Radvan über die Bedeutung des Christopher Street Days in Cottbus.

Es heißt, der Christopher Street Day (CSD) in Cottbus sei das zentrale ­Ereignis für alle Menschen, die dort etwas gegen Nazis haben. Stimmt das?
Der CSD in Cottbus ist tatsächlich sehr politisch. Man erfährt dort aus verschiedenen Perspektiven, warum Homo- und Transfeindlichkeit in Cottbus, in Brandenburg und in Deutschland, aber auch international, in Europa und Osteuropa, ein Problem ist und wie sie sich manifestiert. Man erfährt, warum Homophobie nicht nur die unmittelbar Betroffenen gefährdet. Es wird ver­mittelt, dass Homophobie das demokratische Verständnis unserer ganzen Gesellschaft in Frage stellt.

Wer nimmt daran teil?
In Cottbus beteiligen sich tatsächlich verschiedene politisch Verantwortliche und Leute aus der Stadtverwaltung und beziehen Stellung. Das ist nicht nur ein Event der Lesbisch-Schwulen-Trans-Community. Sonst ist ja ein CSD oft so ein bisschen wie ein großes Geburtstagsfest. Aber wenn man mitläuft in dem Demonstrationszug, merkt man in Cottbus sofort, dass das tatsächlich zuallererst eine politische Demonstration ist. Da wird vermittelt: »Wir kämpfen hier für etwas, was alle angeht.«

Wie kann man sich das vorstellen?
Der CSD wird vor der Stadthalle eröffnet. Es spricht jemand aus der Stadtverwaltung. Es erzählt jemand über Brandenburg, über die Situation Gesamtdeutschlands und dann deklinieren die das international durch. Jemand spricht aus der sorbischen Community, es sprechen Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan, es spricht jemand aus Russland. Sie erzählen, wie es in ihren Herkunftsregionen ist.
Dementsprechend bindet der CSD verschiedene Gruppen ein, die in Cottbus leben und die interessiert sind. Da laufen selbstverständlich Geflüchtete, Migrierte und People of Color mit. Aber da laufen eben auch – und das sehr solidarisch – Leute mit, die nicht Teil der Community sind. Es ist ein breites Bündnis und ein Zeichen für ein demokratisches, friedliches Zusammenleben. Es ist eine Demonstration gegen Diskriminierung in jeder Form und ­gegen die Rechtspopulisten und die extreme Rechte.

Wie ist denn, was diese Kräfte angeht, die Situation in Cottbus?
Die sind in der Stadt recht stark. Wobei die Situation insgesamt komplex ist. Wir beobachten eine Entwicklung, die jetzt bei den Wahlen in den neuen Bundesländern, aber partiell auch in den alten Bundesländern kenntlich wird: Rechtspopulisten und Völkisch-Autoritäre werden stärker und kommen stärker durch mit ihren Positionen. In Cottbus erstarkte die rechtsextreme Szene schon in den späten achtziger Jahren. Der Rechtsextremismus ist dort nicht, wie oft behauptet wird, aus dem Westen gekommen. In den neunziger Jahren gab es ein gewalttätiges rechtsextremes Milieu, das eine Dominanz in der Stadt errungen hatte. Das beruhigte sich dann ein wenig in den nuller Jahren.
Seit 2015/2016 beobachten wir wieder eine stärkere Mobilisierung. Eine wich­tige Rolle spielt die Initiative »Zukunft Heimat«, ein Zusammenschluss verschiedener rechter Gruppen, bei dem sehr viele AfD-Sympathisanten, Abgeordnete und Parteimitglieder mitlaufen, aber auch besorgte Bürgerinnen und Bürger, wie sie sich selbst nennen, die Migration als das Problem ausmachen. 2017 und 2018 marschierte »Zukunft Heimat« relativ regelmäßig in der Stadt auf und bekam auch sehr viel Zuspruch. Das prägt die Atmosphäre in der Stadt.
Was aber oft vergessen wird, und daher möchte ich das betonen: Es gab in Cottbus schon in den achtziger Jahren eine starke Alternativszene, eine Punkszene und eine starke antifaschistische Szene. Das ist heute noch so. Das war all die Jahre so. Es gab außerdem Anfang 2018 eine Initiative von Geflüchteten, um Demonstrationen gegen Hass und gegen Rassismus in Cottbus zu organisieren. Das war eine große und erfolgreiche Demonstration und somit ein ähnliches Symbol wie der CSD. Das hat damit zu tun, dass es hier sehr engagiere Leute gibt, wenn auch nicht sehr viele, die sich für Menschenrechte, Demokratie und soziale Gerechtigkeit einsetzen.

Seit wann gibt es den CSD in Cottbus?
Seit elf Jahren.

Und was für Leute organisieren ihn?
Das ist der CSD Cottbus e. V., ein Zusammenschluss von verschiedenen Leuten, die den CSD vorbereiten. Sonst machen sie Ähnliches wie LBTQ-Communities in Brandenburg generell: soziale Beratung, Coming-out-Beratung, kulturelle Angebote und Bildungsarbeit.
Was die sehr gut machen, ist Öf­fentlichkeitsarbeit, um Sichtbarkeit zu schaffen, so dass das Thema nicht als Randgruppenthema verstanden wird. Die schaffen es zum Beispiel seit Jahren, dass kleine Geschäfte und Unternehmer während der zwei CSD-Aktionswochen Regenbogenfahnen in die Geschäfte und Schaufenster hängen. Das machen tatsächlich viele von denen. Die Leute vom CSD Cottbus e. V. sprechen sie persönlich an und machen verständlich, warum das ein wichtiges Zeichen in der Stadt ist. Wenn man während dieser zwei Wochen nach Cottbus reinkommt, ist praktisch jedes Haus, jede Straßenecke, jedes Verwaltungs- und Universitätsgebäude beflaggt. Praktisch alle, die sich verantwortlich fühlen für die Stadt und die auch verantwortlich sind auf institutioneller Seite, zeigen mit der Regenbogenflagge Gesicht.
Es wurden in Cottbus Regenbogenflaggen auch schon zerstört und abgerissen, was vielleicht anderswo auch geschieht. Der CSD Cottbus reagierte darauf, indem er ankündigte, für jede heruntergerisse Regenbogenflagge werde man zwei neue aufgehängen. Und das wird auch gemacht. Das schafft in der Stadt eine entsprechende Atmosphäre.

Was kann gegen die Erfolge der ex­tremen Rechten gerade in Regionen wie Brandenburg getan werden? Würden Sie sagen, dass der Cottbusser CSD ein Beispiel ist, wie Antifaschisten eigene Themen setzen können, anstatt der extremen Rechten hinterherzulaufen, wenn diese ständig für alles Flüchtlinge und Einwanderung verantwortlich macht?
Naika Foroutan hat diese Debatte angestoßen: Wir brauchen strategische Bündnisse, um den Rechten oder der Diskursverschiebung etwas entgegenzusetzen. Der CSD ist ein Beispiel dafür, wie man etwas Progressives schafft, womit sich Leute identifizieren können: Wir Cottbusser stehen hier für die Gleichberechtigung aller und für Chancengleichheit auch für Lesben, Schwule und Transpersonen. Es konstituiert sich so eine offene Gesellschaft für alle, die von den Rechten als Feindbild ge­sehen werden.


Heike Radvan arbeitete von 2002 bis 2017 für die Amadeu-Antonio-Stiftung. Seit 2017 ist sie Professorin für Methoden und Theorien Sozialer
Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus. Mit der »Jungle World« sprach sie über den Cottbusser Christopher Street Day.