Berliner Mietpreisbremse

Mietendeckel für die Mietnation

Die nächsten fünf Jahre soll es in Berlin verboten sein, die Mieten zu erhöhen. Der »Mietendeckel« kommt bei der Bevölkerung gut an, doch rechtlich ist er umstritten.

»Mieter, alle mal Lompscher knutschen«, titelte die vor allem im Ostteil Berlins gelesene Boulevardzeitung Berliner Kurier, als Anfang Juni das erste Eckpunktepapier zum geplanten »Mietendeckel« in den Medien zirkulierte. Eine derart freundliche Schlagzeile hatte Katrin Lompscher (Linkspartei), die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, noch nie bekommen. Noch vier Tage vorher hatte dieselbe Zeitung die Senatorin in einem Artikel über Beliebtheitswerte von Landespolitikern als Dauersorgenkind bezeichnet. Sie hatte wieder einmal den vorletzten Platz eingenommen.

Sogar Gegner staatlicher Mietpreisbeschränkungen wie die »Deutsche Wohnen« und die CDU bringen mittlerweile eigene Vorschläge für »Mietendeckel« vor.

An ihrer Parteizugehörigkeit allein lag das nicht, das zeigt ihr Parteifreund, der Kultursenator Klaus Lederer, der wieder einmal die Spitzenposition einnahm. Dafür, dass die Beliebtheitswerte vor allem mit dem von der jeweiligen Person verwalteten Ressort zusammenhängen könnten, spricht das Schlusslicht: Es ist die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Schlechte, überlaufene und baulich marode Schulen sowie die immer weiter steigenden Mietpreise in allen Berliner Bezirken und die offensichtliche Wohnungsnot trotz Baustellen im ganzen Stadtgebiet werden den Senatorinnen Scheeres ­sowie Lompscher zugerechnet. Dabei hatte gerade der rot-rot-grüne Senat behauptet, gerade diese Missstände beseitigen zu wollen.

Die Verabschiedung des Berliner »Mietendeckels« durch die Landesregierung am 18. Juni war für Lompscher ein wahrer Segen. Formal heißt das Papier »Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz«. Es soll nach der Sommerpause zur Grundlage eines Gesetzes werden, das wiederum noch in diesem Jahr beschlossen werden und im Januar 2020 in Kraft treten soll. Um zu verhindern, dass Vermieter die verbleibenden Monate nutzen, um noch schnell Mieten zu erhöhen, soll das Gesetz rückwirkend zum Stichtag 18. Juni gelten.

Das könnte für Vermieter ein Anlass sein, gegen das Gesetz zu klagen. Mögliche Kläger bereiten sich schon vor, beispielsweise der neue Trikotsponsor des Bundesligaaufsteigers 1. FC Union Berlin, das Immobilienunternehmen Aroundtown. Dessen Geschäftsführer Andrew Wallis kündigte im ­Interview mit dem Tagesspiegel an, er werde den »Beschluss rechtlich anfechten«. Auch die FDP als Partei der Immobilienlobby erwägt, eine Normenkontrollklage beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin einzureichen.

Um was geht es bei dem »Mieten­deckel« genau? Fünf Jahre lang soll es bei den 1,5 Millionen nicht preisgebunden Mietwohnungen in Berlin verboten sein, die Mieten zu erhöhen. Bei Neuvermietung gilt die Miete des Vormieters. Zugleich soll eine generelle Miet­obergrenze eingeführt werden. Liegen bestehende Mieten deutlich über der Mietobergrenze, können Mieter ­einen Antrag auf Senkung der Miete stellen. Modernisierungen, die zu ­einer Mietsteigerung von maximal 50 Cent pro Quadratmeter führen, müssen lediglich angezeigt werden. Höhere Kosten­umlagen sind möglich, bedürfen aber einer Genehmigung. Bei Verstößen droht ein Bußgeld in Höhe bis zu 500 000 Euro, zudem wird das Personal in den zuständigen Verwaltungen aufgestockt, um Vermieter, die sich nicht an die Vorgaben halten, ­belangen zu können. »Keine Regulierung ohne Kontrolle«, wie Lompscher auf einer Veranstaltung des linken ­Bildungsvereins »Helle Panke« zur Vorstellung des »Mietendeckels« sagte.

Das Vorhaben ist derart beliebt in der Öffentlichkeit, dass sogar Gegner staatlichen Mietpreisbeschränkungen wie das Wohnungsunternehmen Deutsche Wohnen und die CDU eigene Vorschläge für »Mietendeckel« vorbringen. Diese Vorschläge laufen allerdings im Wesentlichen auf freiwillige Selbstverpflichtungen anstelle gesetzlicher Vorschriften hinaus.

Verlierer der Debatte ist, wie zurzeit immer, die SPD. Dabei hatten die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl, der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Julian Zado und Kilian Wegner, ein Sprecher der SPD Berlin-Mitte, als Erste die Idee eines »Mietendeckels« in die politische Diskussion gebracht. Die SPD zielte damit im Januar 2019 auch auf das Volksbegehren »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, das durchaus Chancen auf Erfolg hat. Mit dem »Mietendeckel« wollte die SPD den Enteignungsplänen eine weniger radikale Alternative entgegenstellen. Die Hoffnung war vermutlich, dass staatlich begrenzte Mieten die Zustimmung zu einem Enteignungsverfahren mit ungewissem Ausgang und vermutlich erheblichen Kosten für den Landeshaushalt deutlich senken würden. Tatsächlich dürfte vielen Mietern egal sein, an wen sie ihre Miete zahlen. Ihnen geht es darum, dass diese nicht ständig steigt. In der Berichterstattung über den »Mietendeckel« tauchten SPD-Politiker dann aber kaum noch auf – höchstens als Quertreiber, die entgegen der Parteilinie kurz vor der Abstimmung noch Stimmung gegen das Vorhaben machten.

Der bayerische Bundestagsabgeordnete und FDP-Wohnungspolitiker Daniel Föst schimpfte über »Mietenregulierungswahnsinn«, »sozialistischen Unfug«, »rot-rot-grüne Verbots- und Regulierungspolitik« und »reine Symptomdoktorei«. Ein Blick in die Geschichte würde solchen Kritikern nicht schaden. Im bundesdeutschen Mietrecht der fünfziger Jahre wurde die Höhe der Mieten staatlich festgelegt. Auch die Wohnraumvergabe an Wohnungs­suchende wurde staatlich organisiert und die Möglichkeit für Vermieter, Verträge zu kündigen, war stark eingeschränkt.

Zwei historische Gründe waren ausschlaggebend für dieses robuste Mietrecht. Zum einen fehlten in der Nachkriegszeit etwa 5,5 Millionen Woh­nungen für ungefähr 21 Millionen Wohnungssuchende – eine gewaltige Größenordnung. Wichtiger noch als die Wohnungsnot war als Motiv aber, dass diese Wohnungspolitik die Export­orientierung der deutschen Industrie absicherte. Zu hohe Mieten hätten die Gewerkschaften vielleicht dazu bewegt, ihre zurückhaltende Lohnpolitik aufzugeben, weil dann die Reproduktion von Arbeitskraft teurer geworden wäre.

Der soziale Wohnungsbau in Deutschland war eben auch eine indirekte Subvention des Exportkapitals, wie der Politikwissenschaftler Philipp Metzger von der Universität Wien der Jungle World sagte: »Das harte Mietrecht in Verbindung mit dem sozialen Wohnungsbau konnte die Probleme auf dem Wohnungsmarkt lösen. In nur wenigen Jahren wurden sechs Millionen neue Wohnungen gebaut.« Wegen der eigentumsähnlichen Rechte für Mieter, der guten Qualität der neu gebauten Wohnungen und der niedrigen Preise sei das Wohnen zur Miete die vorherrschende Wohnform geworden, so Metzger. Seither hat sich für Mieter viel verschlechtert. Doch »bis heute wohnen in Deutschland über 50 Prozent der ­Bevölkerung zur Miete. Das ist für einen OECD-Staat ein sehr hoher Wert und unterstreicht die Besonderheit des hiesigen Wohnungsmarkts. Deutschland ist eine Mietnation.« Die Struktur des Wohnungsmarkts in Deutschland ist also ein weiterer Grund, warum der »Mietendeckel« über verschiedenen Einkommensgruppen hinweg derart großen Anklang findet.