Proteste in Honduras

Die Angst schwindet

Vor zehn Jahren wurde in Honduras der demokratisch gewählte Präsident Manuel Zelaya gestürzt. Der Jahrestag des Putschs fiel in eine Phase landesweiter Proteste.

Versammlungen, Demonstrationen, Koordinationstreffen – Donny Reyes ist derzeit fast rund um die Uhr im Einsatz. Er sei »müde, unendlich müde«, sagt der 46jährige, der zu den Mitgliedern der Menschenrechtskoordination in Tegucigalpa gehört, der Hauptstadt von Honduras. Die Gruppe hilft bei der Koordination des Widerstands gegen die Regierung des konservativen Präsidenten Juan Orlando Hernández (Partido Nacional). Ende April begannen die Demonstrationen vor allem von Lehrerinnen und Lehrern sowie Angestellten im Gesundheitssystem, denen sich immer mehr Menschen anschlossen. Längst haben sich die Demonstrationen auf das gesamte Land ausgeweitet. »Die Regierung setzt auf die Privatisierung von allem, was sich zu Geld machen lässt. Gegen den Ausverkauf des Landes zu Gunsten einiger weniger gehen wir auf die Straße«, sagt Reyes, der auch Koordinator von Arcoíris ist, der größten LGBTI-Organisation des Landes.

Während im Sozialbereich gespart wird, hat die Regierung die Ausgaben für die Polizei und das Militär kontinuierlich erhöht.

Die Regierung Hernández hat einen miserablen Ruf. 2017 wurde der Präsident nach einer Wahl, die wie die vorherige von Manipulation geprägt war, im Amt bestätigt. Nicht nur der britische Economist bescheinigt der Regierung ein nahezu beispielloses Niveau von Korruption, umfassende Straflosigkeit und das Fehlen administrativer Gewaltenteilung. Was die Menschenrechte angehe, rangiere das mittelamerikanische Land der Organisation Alliance for Global Justice zufolge auf dem 28. von 30 Plätzen in der Region, sagt Joaquín A. Mejía, Jurist und Analyst des jesuitischen Forschungszentrum Eric.

Proteste gab es in den vergangenen Jahren immer wieder, nur blieben sie lokal begrenzt, vor allem auf die großen Städte wie Tegucigalpa und die Industriemetropole San Pedro Sula. Derzeit protestieren in San Pedro Sula und Choluteca im Süden, nahe der Grenze zu El Salvador, viele Menschen gegen die drohende Privatisierung des Bildungs- und Gesundheitssystems. Konzessionen für den Betrieb von Krankenhäusern werden seit einigen Monaten genauso vergeben wie für den von Autobahnen. Das Gesundheitsbudget ist zwischen 2010 und 2019 ebenso geschrumpft wie der Bildungs­etat. Während 2017 noch 32,9 Prozent des Haushalts für Bildung und 14,3 Prozent für Gesundheit ausgeben worden seien, seien es 2019 noch 19,9 Prozent beziehungsweise 9,7 Prozent, berichtet Mejía.

Während im Sozialbereich gespart wird, hat die Regierung die Ausgaben für die Polizei und das Militär kontinuierlich erhöht. »622 Millionen US-Dollar wendet die Regierung für Militär und Polizei und deren Bewaffnung auf, auf 607 Millionen belaufen sich die Aus­gaben für Gesundheit«, sagt Mejía. ­Dagegen, aber auch gegen die Polizei­gewalt, werde der Widerstand immer stärker. Rund 30 Tote und mehrere Dutzend Verletzte habe es seit dem Auftakt der Proteste Ende April gegeben, die Militärpolizei habe mehrfach Schusswaffen eingesetzt.

Doch selbst das hält den Widerstand nicht auf, der von der Plattform zur Verteidigung der öffentlichen Gesundheit und Bildung (Plataforma de la ­Salud y Educación) koordiniert wird. »Die Leute haben die Angst verloren«, ist sich Meja sicher. Diese Einschätzung teilt auch Donny Reyes. Er kann sich noch gut an den Staatsstreich gegen Manuel Zelaya erinnern, mit dem die Oligarchie der Großgrundbesitzer und Unternehmer einen Präsidenten entmachtete, den sie als Gefahr für ihre Interessen sah: »Am Morgen des 28. Juni 2009 machten Gerüchte über einen Putsch die Runde, wenig später gab es die ersten ­Informationen im Fernsehen und wir sind zum Präsidentenpalast gezogen, um zu protestieren.« Mit zahlreichen LGBTI-Aktivisten habe er den ganzen Tag vor dem Präsidentenpalast ausgeharrt und gegen die Putschisten und die gewaltsame Abschiebung Zelayas nach Costa Rica protestiert. »Am nächsten Tag, dem 29. Juni, gingen Polizei und Militär dann gegen uns in die ­Offensive. Tränengas, Schlagstock und Pfefferspray kamen zum Einsatz, um die Menge zu zerstreuen. Nachts patrouillierten Militärpolizisten in den Straßen. Die Situation war bedrohlich geworden.«

»Ein Vorgeschmack auf die folgenden Jahre«, sagt Reyes rückblickend. ­Angriffe auf soziale Organisationen und deren Führungspersonen seien häufiger geworden, das Regime sei erst unter dem Interimspräsidenten Roberto Micheletti, dann unter Porfirio Lobo Sosa (2010-2014, Partido Nacional) und dessen Nachfolger Juan Orlando Hernández immer repressiver geworden. Das bestätigt auch die Menschenrechtlerin und Journalistin Dina Meza. »In den vergangenen Jahren wurde der Polizeiapparat weiter ausgebaut, die Repressionsinstrumente wurden verfeinert. Doch die sozialen Organisationen haben sich in den letzten zwei, drei Jahren reorganisiert, sie sind stärker geworden und agieren direkt in den Stadtvierteln. Das ist neu«, berichtet Meza, die das Nachrichten- und Menschenrechtsportal Pasos de Animal Grande leitet. Es unterstützt diskriminierte Minderheiten wie LGBTI und indigene Gruppen sowie unter anderem Frauenrechtlerinnen und berichtet über Repression. Finanziert wird diese ­Arbeit aus dem Ausland, denn in Honduras gibt es kaum privates Interesse, derartige Projekte zu unterstützen. »Hier ist der Staat über die Vergabe der Werbeetats der wichtigste Kunde, und den verärgert man nicht«, erklärt Meza das Mediensystem des Landes. Das sorgt dafür, dass nur wenige alternative Medien existieren – außer kommunalen Radiosendern. Diese bilden den wichtigsten Gegenpol.

Zu diesen Sendern gehört Radio Progreso, bei dem Joaquín A. Mejía eine Menschenrechtssendung mitgestaltet. Für ihn ist das Land mit dem Putsch 2009 in eine permanente Krise geraten. »Die Hoffnungen auf eine sozialere ­Regierung wurden mit Manuel Zelaya weggeputscht. Die USA haben das gebilligt, weil sie die Hinwendung Zelayas zur Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) fürchteten«, kritisiert der Jurist. Das von ­Venezuela initiierte Bündnis sollte eine Alternative vor allem zu der von den USA seinerzeit geplanten Freihandelszone ALCA schaffen. Mejía wirft den USA vor, noch in den Denkweisen des Kalten Kriegs gefangen gewesen zu sein und mit der von Korruption und Vetternwirtschaft durchsetzten Regierung von Juan Orlando Hernández paktiert zu haben. Das erregt mittlerweile auch in den USA Unwillen. Einige Kongressabgeordnete haben ein Gesetz initiiert, das den Namen der ermordeten Menschen- und Umweltaktivistin Berta Cáceres trägt und die Waffen- und Ausrüstungshilfe für Polizei und ­Armee in Honduras beenden soll.

In Honduras wenden sich auch Kräfte gegen die Regierung, auf die diese glaubte zählen zu können. So habe eine Unternehmenskammer im Norden des Landes, wo die Industriemetropole San Pedro Sula liegt, den Umgang der Regierung mit den Protestierenden kritisiert, sagt Mejía, auch die katholische Kirche sei in einer kritischen Stellungnahme merklich von der Regierung ­abgerückt.

Die »Plattform für die Verteidigung der öffentlichen Gesundheit und der Bildung« setzt sich nun für einen »Diá­logo Alternativo« ein, zu dem auch Gespräche mit der Regierung gehören sollen – dass diese darauf eingehen wird, halten allerdings sowohl Mejía als auch Reyes für unwahrscheinlich. Doch die Proteste gehen weiter, so dass die Regierung sich zum Dialog gezwungen sehen könnte.