Der analoge Mann - Aus Kreuzberg und der Welt

Sommertag am See

Kolumne Von Andreas Michalke

Die Sonne scheint, die Welt geht unter.

38 Grad. Der bisher heißeste Sommertag. Am See. Im Wald. In Brandenburg. Mit Freunden. Der See ist tief. Beim Schwimmen erreichen die Beine kühles Wasser. Zwei alte Männer sitzen auf Klappstühlen im Schatten und politisieren:

»Ich wette, Trump wird wiedergewählt. Ist nur so ein Gefühl, aber ich glaube, das bleibt keine Episode, das wird eine Ära. Sowieso träumen die extremen Rechten immer von einem kompletten Wertewandel. Um alle progressiven Entwicklungen zurückzudrehen, brauchen sie mehr Zeit. Aber Geduld haben die Konservativen sowieso immer.«

»Glaub’ ich nicht. Trump hat ganz schlechte Werte. Der hat kaum mehr Rückhalt in der Bevölkerung.«

»Aber die Demokraten haben doch nichts zu bieten. Mit der Schlaftablette Joe Biden werden die nichts reißen. Die Demokraten haben genau dasselbe Problem wie die SPD: langweiliges Personal, das sich jahrelang durch die Bürokratie nach oben gekämpft hat und auf dem Weg jede Glaubwürdigkeit und Überzeugung verloren hat. Das sind alles so Verwaltungsangestellte. Eine typische Vertreterin dieses Systems war Andrea Nahles. Die hat Müntefehring geschasst und dann jahrelang alle gemobbt. Und dafür hat sie am Schluss eben die Rechnung bekommen.«

»Das Gleiche sagt mein Vater, ein alter Sozialdemokrat. Zum Glück hat auch die AfD bislang keine charismatischen und vor allem unterhaltsamen Politikdarsteller. Das sind ja alles so verkniffene, fiese Typen. Was wir aus der Entfernung immer vergessen ist, dass Trump bei ›The Apprentice‹ zehn Jahre lang jede Woche im Fernsehen auftrat. Dieser Unterhaltungswert hatte eine enorme Wirkung und war entscheidend für seinen Wahlerfolg.«

»Die SPD und die CDU haben ja das gleiche Problem. Ich habe es zuerst bei Ivo Bozic auf Facebook ge­lesen, dann haben es auch Gäste bei Anne Will wiederholt: Es gibt nur noch zwei Seiten. Nationale Identität oder unsere liberale, kosmopolitische Blase. Für die soziale Frage ist kein Platz mehr.«

»Das ist ein Riesenproblem. Wenn die zwei Fronten irgendwann auf­einanderprallen und sich dann der Geheimdienst und das Militär, die sowieso schon von Nazis unterwandert sind, entscheiden zu putschen: Wer beschützt uns dann? Da sehe ich schwarz.«

»Ach, nee. Da mache ich mir keine Sorgen. Wenn schon hunderttausend Leute bei der Unteilbar-Demo auf die Straße gehen oder gegen Mietwahnsinn, also ein breites Bündnis aus unterschiedlichen Lagern, dann gäb’s doch auch da Widerstand. Aber es fehlt ein bestimmter Typ, den wir früher noch kannten: den linksradikalen Proletarier. Tagsüber auf Arbeit und abends K-Gruppe oder Kampf auf den Barrikaden. Dieser Typ ist ausgestorben. Der politisierte Arbeiter ist heute bei der AfD oder gleich Nazi. Schwachbrüstige Comiczeichner wie ich werden einen rechten Putsch nicht aufhalten. Aber zur Zeit sehe ich da keine Gefahr.«

»Wenn’s so weitergeht, bricht sowieso alles zusammen. Stephen Hawking schreibt in seinem letzten Buch: Wenn es mit dem Bevölkerungswachstum so weiter geht, stehen die Menschen auf der Erde in hundert Jahren Schulter an Schulter. Super Buch übrigens, kurze Antworten auf große Fragen. Auch lesbar im Gegensatz zu seinen anderen Büchern. Also, wir reproduzieren uns zu schnell, produzieren zu viel Müll und betreiben an allen Enden der Welt gigantischen Raubbau, der am Ende zur Klimakatastrophe führt und die Welt auslöschen wird. Aber wer weiß, vielleicht ist das ja ein kosmischer Plan? Vielleicht war die Venus vor Milliarden Jahren auch mal so ein bevölkerter Planet wie unserer, der sich selbst vernichtet hat? Vielleicht müssen wir nur rechtzeitig einen anderen Planeten finden, auf dem wir siedeln können.«

»Ich sehe auch keinen Grund zum Optimismus. Denn wirklich etwas ändern, will niemand. Die Leute wählen die Grünen, aber wollen sich nicht radikal einschränken. Ihr wollt ja auf eure zwei Autos auch nicht verzichten und ich will im Urlaub nach Schweden fliegen. Die ganze Welt verhält sich wie ein Insolvenzverschlepper, der immer noch irgendwoher Geld auftreibt, um es fröhlich auszugeben und so zu tun, als ginge es ihm blendend. Wir sehen schon das Ende, aber verschwenden rücksichtslos den Rest.«

So quatschen wir stundenlang über die grauenhaften Verhältnisse auf der Welt und das unausweichlich schlimme Ende. Und dann sagt er irgendwann: »Wir ham’s ja noch ganz gut getroffen.« Und sofort ist die Luft raus, unsere Weltuntergangphantasien sind erschöpft. Ja, wir zwei alten Männer hatten es gut. Wir werden das Ende nicht erleben. Die Sonne scheint. Der See ist kühl. Die Kinder spielen. »Wollen wir noch mal ins Wasser?«