»Messer im Herz« von Yann Gonzalez

Halloween am Porno-Set

In seinem neuen Film »Messer im Herz« feiert der französische Regisseur Yann Gonzalez den Schwulenporno, das Underground-Kino der siebziger Jahre und die großartige Vanessa Paradis.

Von Beginn an ist Film auch Pornographie. Schauen und Voyeurismus liegen eng beieinander und das Grauen lauert unter der Oberfläche beziehungsweise an der nächsten Ecke. Der französische Regisseur Yann Gonzalez setzt diesen Zusammenhang bereits in der ersten Szenenfolge seines Films »Messer im Herz« ins Bild. Im Amateur-Erotikfilmchen-Look der siebziger Jahre gefilmt, strebt ein schwules Paar im Park dem Höhepunkt entgegen, durchs Grün beobachtet von einem verborgenen Dritten. Beim parallel dazu montierten Besuch des engelsgesichtigen Darstellers in einem in blaues Licht getauchten Fetischclub wiederholt sich die Dreierkonstellation. In der Clubszene jedoch entscheidet der Beobachtete, die Distanz zum Voyeur, der eine dunkle Maske trägt, aufzuheben. Wenig später wird der junge Darsteller von ihm beim Liebesspiel ans Bett gefesselt und mit einem Dildo ermordet, der kurz vor der Penetration eine Klinge freigibt und sich als tödliche Waffe erweist. Auf einer dritten Ebene ist zu sehen, wie an einem 16-Millimeter-Schneidetisch die Szenen aus dem Schmuddel­filmchen montiert werden.

Mit seinem schrägen Humor verweist »Messer im Herz« immer wieder auf die Unterschiede zwischen gegenwärtigem Filmemachen und den Praktiken des alten Underground-Kinos.

Schon im Vorspann kommen alle Themen vor, um die es in »Messer im Herz« geht: Begehren, Wahn, Mord und die Liebe zum abseitigen Kino aus der Zeit, bevor es Video und Internet gab. Dabei kontrastiert »Messer im Herz« durchgängig Suspense- und Horror-Elemente der Morde im Gay-Porn-Milieu mit spielerisch queeren Versatzstücken des Erotikfilms.

Paris, im Sommer 1979. Im Mittelpunkt der Filmerzählung steht die lesbische Pornoregisseurin Anne – perfekt besetzt mit einer zwischen Unnahbarkeit, Lebenslust und Verzweiflung oszillierenden Vanessa Paradis. Sie verdient ihr Geld mit Pornofilmchen für die in neuem Selbstbewusstsein erstarkende urbane Homosexuellenszene. Es ist die Ära vor der Aidskrise. Cast und Crew bilden in Annes Produktionsfirma eine große, glückliche und experimentierfreudige Familie. Zu ihr gehört auch die Cutterin Loïs (Kate Moran), Annes ehemalige Freundin. Dass Loïs die Beziehung beendet und sich unerreichbar für Anne im Schneideraum verbarrikadiert, lässt die von Liebeskummer gezeichnete Regisseurin Trost im Alkohol suchen. Mit einem großen neuen Werk will Anne das Objekt ihrer Begierde zurückgewinnen und erneut an sich binden, doch der Messermord an ihrem Haupt­darsteller durchkreuzt die ambitionierten Filmpläne. Der Mörder mit dem Dildo schlägt wieder und wieder zu und hat es offensichtlich auf das Filmteam abgesehen. Anne bemüht sich, mit souveräner Professionalität am Set und trotz nächtlicher Verzweiflung einen Weg zu finden, um ihre hochgesteckten Ziele zu verfolgen und die Pornowahlfamilie zusammenzuhalten.

Dafür muss nicht zuletzt die Produktion weiterlaufen. In ihren Filmen greift Anne die Schrecken der Morde ebenso auf wie die Absurdität der Polizeiarbeit und übersetzt beides in skurril erotisierte Szenen, die ihre psychologisierende Interpretation des Geschehens darstellen. Neben­bei ermittelt sie auf eigene Faust und findet schließlich den Mörder. Weil Cutterin Loïs jeden Kontakt mit ihr verweigert, kratzt sie die Nachrichten an die ehemalige Freundin ins Zelluloid der Filmstreifen, ­bevor das Material für Filme mit Titeln wie »Anale Wut«, »Der schwule Mörder« und »Pornoflüche« auf Loïs’ Schneidetisch landen.

Mit vorwiegend in Blau, Rot und Blond gehaltenen Bildern huldigt Gonzalez dem cineastischen Pornofilm und – mehr noch – dem heute weitgehend bedeutungslosen Genre des Giallo, das in den siebziger Jahren im italienischen Kino seine Blüte erlebte. Vorwiegend in Italien ab Mitte der sechziger Jahre entstanden, diente diese Spielart des blutrünstig, aber stilvoll in Szene gesetzten Thrillers mit ausgefeilten Mordszenen in erster Linie dem gepflegten Grusel des Publikums. Schönheit und Exzess wurden gleichermaßen effektreich ausgebeutet und um Motive aus den Bereichen der Psychoanalyse oder der paranormalen Phänomene ergänzt.

Höhepunkte der für den Unterhaltungsmarkt konzipierten Kunstform – der Name Giallo leitet sich vom italienischen literatura gialla (gelbe Literatur), der Bezeichnung für einst gelb gebundenen Krimiheftchen, ab – sind etwa die Filme von Dario Argento, dem zuletzt Luca Guadagnino mit seinem komplexen Remake von »Suspiria« ein Denkmal gesetzt hat. Aber auch die Werke Brian de Palmas (»Blow Out«, »Dressed to Kill«) oder John Carpenters (»Halloween«) sind sowohl thematisch als auch ­ästhetisch deutlich vom Giallo-Film inspiriert.

Mit überzeugenden Darstellern gelingen Gonzalez Szenen, die – mal frivol, mal komisch, mal erschreckend – die ganze Bandbreite der Unterhaltungsfilmemotionen bedienen und zugleich den kurzen, aber heftigen Frühling einer künstlerischen Synthese aus freier Erotik, Horror und filmischem Anspruch feiern.

Wie in den als Vorbild dienenden Produktionen aus den Siebzigern ist alles ganz auf den Schauwert ausgerichtet. Ein Hinterfragen der Bilder nach Voraussetzungen oder Bedeutung, wie es etwa in der Nouvelle Vague entscheidend war, fehlt völlig. Plausibilität oder gar Kritik bleiben zugunsten der schillernden Oberfläche, die bereitwillig auch abstrus mystische Bestandteile integriert, weitgehend auf der Strecke; einige Motive, wie beispielsweise die immer wieder auftauchenden schwarzen Vögel, die Anne den Weg zum Mörder weisen, sind dekoratives Bildzitat, das nicht nur Giallo-Fans zu goutieren wissen werden. Andere, etwa das ebenfalls mehrfach wiederkehrende Motiv des heimlichen Beobachtens, zielen direkt auf den zugrundeliegenden Aspekt des ­Voyeurismus.

Seine Stärken entfaltet der Film, wo er lustvolle Huldigung ist. Dabei bemüht er sich, das Zitierte nicht einfach zu wiederholen, sondern es in der Aktualisierung auf einen neuen Stand zu bringen. So wirken die gezeigten Körper und die Clubszenen sehr heutig. Die Musik von M83 nutzt Codes und Synthie-Klänge, wie sie in Scores der siebziger Jahre für emotionale Schauer sorgten, und modernisiert sie behutsam.

Vor allem mit seinem schrägen Humor verweist »Messer im Herz« immer wieder auch auf die Unterschiede zwischen gegenwärtigem Filmemachen und den Praktiken des alten Underground-Kinos. Während es Ende der Siebziger um einen gemeinsamen Aufbruch von Unterhaltung, Kunst und sexueller Abweichung gegangen sein mag (der selbstverständlich gerade im Giallo und Porno von vornherein kommerziellen Zielen unterworfen war) und das Kino noch durchaus Abseitiges in den Mainstream transportieren konnte, hat es diese Funktion seither weitgehend verloren. Immer effizientere Produktions- und Distributionstechniken, allen voran durch Video- und Digitaltechnik, haben besonders im Erotik-, aber auch im Horrorfilmbereich zu einer vorher nicht gekannten Spezialisierung säuberlich von­einander getrennter Subgenres ­geführt.

Für bunte, grenzüberschreitende Familienaufbrüche, wie sie »Messer im Herz« zelebriert, scheint da kaum noch Raum zu sein. Unter diesen Umständen kann man Yann Gonzalez’ Versuch, dem Kino in Zeiten von Regression und Puritanismus sein ihm eigenes polymorph-perverses erotisches Begehren zurückzuerobern, als gelungen bezeichnen.

Messer im Herz (Frankreich 2018). Regie: Yann Gonzalez, mit Vanessa Paradis, Kate Moran, Jonathan Genet. Filmstart: 18. Juli