Linke Pseudokritik an der Klimabewegung

Sagen, was ist

Der Klimawandel bedroht unsere Zivilisation. Wer das leugnet, steht nicht mehr in der Tradition der Aufklärung.

Einige Linke haben angesichts ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit in den neunziger und nuller Jahren die Kritik irrationaler Phänomene der kapitalistischen Gesellschaften zum einzig sinnvollen Zeitvertreib erhoben. Dabei haben sie den Anspruch, diese Gesellschaften praktisch umzugestalten, aufgegeben. Dennoch hat Ideologiekritik viel Scharfsichtiges hervorgebracht. Wenn etwa Slavoj Žižek über antisemitische Verschwörungstheori­en spricht, zitiert der slowenische Pop- und Feuilletonkommunist gerne ­Jacques Lacan, der irgendwo bemerkt, dass ein pathologisch eifersüchtiger Ehemann selbst dann pathologisch denkt, wenn seine Frau tatsächlich mit anderen Männern schläft. Das heißt natürlich auch, dass eine Wahnvorstellung kein Beweis für die Nichtexistenz des Objekts dieses Wahns ist. Beim Ehemann, um bei dem Beispiel zu bleiben, hat die Faktizität des Fremdgehens seiner Gattin zunächst nur jene Folgen, die er selbst daraus zieht. Es ist zumindest denkbar, dass er sich mit seiner Eifersucht auseinandersetzt, sie überwindet und vielleicht sogar den Wunsch seiner Frau nach Intimität mit anderen akzeptiert. So oder so, die Folgen bleiben auf wenige Personen ­beschränkt.

Zu behaupten, die Klimaproteste stünden in einer allzu unappetitlichen Tradition, ist von fataler Kurzsichtigkeit.

Geht es jedoch um Tatsachen über das Klima, um Treibhausgase, die Produktion und Konsumption umweltschädlicher Güter, dann werden diese Fakten nicht weniger folgenreich, nur weil die sie Aussprechenden sich auch mal irrational äußern und beispielsweise fordern, man solle in Panik verfallen oder »den Planeten« retten statt der Menschen auf ihm. Panik ist selbstverständlich immer ein schlechter Ratgeber – egal ob in einer Liebesbeziehung oder bei Schicksalsfragen der Menschheit. Doch im Fall der Klimafragen gibt es sehr gute Gründe anzunehmen, dass ohne entschiedenste Klimapolitik im 21. Jahrhundert ein Zivilisationskollaps droht. Während beim jüngsten Klimagipfel in Bonn wieder einmal die Logik nationaler Standortpolitik über die Rationalität notwendiger Klimapolitik obsiegte, kann man dem Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zufolge gerade den Polkappen, dem ersten Grundpfeiler des Erdklimasystems, beim Abschmelzen zusehen. Der Eisschild der Antarktis schmilzt seit drei Jahrzehnten immer schneller. Der Meeresspiegel wird daher vermutlich stark ansteigen. Zugleich ist am Nord­pol die Meereisbedeckung in den Sommermonaten mittlerweile dramatisch zurückgegangen, wodurch weniger Sonnenlicht reflektiert wird und sich die Erde weiter aufheizt.

Auch die NASA beobachtet seit geraumer Zeit eine dramatische Eisschmelze in Grönland.
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© NASA/Goddard/Maria-José Viñas

Das Ziel der Begrenzung der Erderwär­mung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau kommt nicht daher, dass dann keine Folgen zu befürchten wären. Hitze- und Dürresommer werden in Deutschland ohnehin häufiger auftreten. Vielmehr ist schon bei einer Begrenzung auf zwei Grad, dem vormalig ausgegebenen Ziel, die Gefahr, Kipppunkte, points of no return zu überschreiten und die Kontrolle über die Folgen der menschlich verursachten Erderwärmung vollends zu verlieren, wesentlich höher.

Von dieser Sachlage unbeeindruckt zu behaupten, die Klimaproteste stünden in einer unappetitlichen Tradition, und ihnen daher Gehör und Zuspruch zu verwehren, ist von fataler Kurzsichtigkeit. Manchmal werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste von »Fridays for Future« diskreditiert, indem sie schlicht in die Nähe der naturverklärenden Modernitätsfeinde anderer Ökobewegungen oder der Konsumhasser mit ihrer verkürzten Kapi­talismuskritik gerückt werden. Sicher, die Debatten etwa über Gentechnik und Atomenergie ließen sich rationaler führen, als dies häufig geschieht. Im Interesse einer radikalen Verringerung der Treibhausgasemissionen ­wären längere Laufzeiten zumindest der modernsten Atomkraftwerke durchaus attraktiv. In Deutschland gesellschaftliche Mehrheiten dafür gewinnen zu wollen, ist jedoch illusionär. Wenn immer wieder frei nach Wolfgang Pohrt die Kämpfe gegen das Waldsterben in den achtziger Jahren und gegen das Ozonloch in den neunziger Jahren angeführt werden, um gegen »Fridays for Future« zu polemisieren, lässt vermeintliche Ideologiekritik einem blanken Wissenschaftsanalphabetismus freien Lauf. Zwar gab es auch bei diesen Kämpfen Überreaktionen und irrationale Deutungsmuster, aber ihr Wald ist den Deutschen nun einmal ein mythisches Identifikationsobjekt. Doch waren dies erwartbare Ausreißer in einer ­berechtigten Debatte. Ohne Rauchgasentschwefelung und das Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen wären diese Umweltschäden zu ernsthaften Problemen geworden.

Der menschengemachte Klimawandel, eine ungleich größere Bedrohung, wird nun eben­so berechtigt als Katastrophe bezeichnet. Den Willen zur Selbstkasteiung einiger weniger Leute – denen jeder Anlass recht ist, um Verzicht zu predigen – hin oder her, wird diese Tatsache nahezu jeden gesellschaftlichen Gestaltungsraum im 21. Jahrhun­dert bestimmen. Wegen des gegebenen Zustands von kapitalistischer Ökonomie und Staatlichkeit, führt kurzfristig an Verboten und Besteuerung kein Weg vorbei.

FFF

Fridays for Future. Schülerinnen und Schüler protestieren vor dem Reichstag in Berlin.

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Archiv 2. Juni

Sicherlich wird sich auch ein Ideologiekritiker finden, der die zahmen Parteitagsbeschlüsse der Grünen als überbordende Bevormundung oder gar, wiederum frei nach Pohrt, die Schüler und Studierenden auf den Straßen als eine Vorstufe zum völkischen Fackelzug bezeichnet. Anderen ist indessen die »Fridays for Future«-Bewegung zu staatstragend. Dass die Klima­streiks bislang vor allem die Politik ansprechen sei naiv oder konformistisch. Doch wen sonst sollten sie ansprechen? Die Bevölkerung? Diese erreicht die Bewegung vergleichsweise gut und sie erfährt stetig wachsende Solidarität. Außerdem gilt es derzeit dem kapitalistischen Staat, jedes Quantum an ökologischen Handeln abzuverlangen, das dieser etwa gegen die Interessen der Kohle- und Automobilindustrie durchzusetzen bereit ist. Das alles wird die Ausgangslage für eine vernünftige Ordnung bestimmen und jeder Schritt in diese Richtung zählt.

Frei nach Ferdinand Lassalle war für Rosa Luxemburg »zu sagen, was ist« die revolutionärste Tat. »Sagen, was ist«, das tut die Klimaforschung ohnehin, dem Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke zufolge aber auch die »Fridays for Future«-Bewegung. Die Behauptungen und Forderungen der Streikenden sind fundiert. Bei aller auf- und abgeklärten Lust- und Luxusbejahung sollte man sich und den Adressaten linker Politik daher die Wahrheit sagen und einige Dinge akzeptieren: Flugreisen sollte es bald seltener geben, und nur wenn sie im gesellschaftlich ausgehandelten Allgemeininteresse stattfinden, nicht für den Urlaub. Automobilen Individualverkehr, auch den auf Batterie- oder Wasserstoffbasis, sollte es nur noch auf dem Land geben. Fleisch, Milch und Leder sollten demnächst entweder aus der Petrischale stammen oder Ersatzstoffen aus Erbsen, Hafer und Mycelien weichen. Zum Schluss eine gute Nachricht: Je schneller die Gesellschaft das akzeptiert und ihr politisches Handeln daran ausrichtet, desto geringer werden die Entbehrungen ausfallen. Und das Leben wird immer noch sehr angenehm sein können – zumindest ohne Kapitalismus, versteht sich.