Der analoge Mann - Aus Kreuzberg und der Welt

Einbrecher!

Was tun, wenn zwei Ganoven im Haus auftauchen? Die Polizei zu rufen, bringt in Kreuzberg herzlich wenig.

An einem warmen Sommertag sitzen meine Freundin und ich mit einer Besucherin nachmittags in der Küche und unterhalten uns, als es klingelt. Ich gehe zur Gegensprechanlage. »Ja, hallo, könnten Sie bitte öffnen? Wir wollen zu Yildirim.« Ich öffne. »Wer war’s?« fragt meine Freundin. »Keine Ahnung«, antworte ich und schicke gleich hinterher: » … aber Yildirims sind im Urlaub. Außerdem haben die keine Freunde, die im vierten Stock klingeln würden, um eingelassen zu werden. Merkwürdig.« »Warum hast du dann aufgemacht? Andi, geh’ mal runter und guck, wer das ist!« sagt meine Freundin alarmiert.

Widerwillig nehme ich den Schlüssel in die Hand und gehe. Schon im dritten Stock höre ich Stimmen, die aber verstummen, als ich näherkomme. Auf dem Treppenabsatz zwischen dem ersten und dem zweiten Stock sehe ich zwei Männer stehen. Der eine mit schlecht rasierter Glatze und fleckigem, abgeschnittenen ­T-Shirt, der andere mit längeren, speckigen Haaren und einer Lederweste, ein Bier in der Hand. In der anderen hält er einen kleinen struppigen Hund an der Leine. Auf dem Boden zwei halbleere Beutel, in denen ­etwas Schweres liegt. In unserem bürgerlichen Haus wirken sie deplatziert.

»Einbrecher!« denke ich sofort. Langsam gehe ich an ihnen vorbei und mustere sie. Versuche mir Details zu merken. »Guten Tag«, sage ich. »Hallo«, sagt der Glatzköpfige. Im Erdgeschoss schließe ich den Briefkasten auf und tue so, als würde ich ihn leeren, obwohl meine Freundin das schon beim Nachhausekommen gemacht hat. Sehr langsam gehe ich wieder an den beiden Männern vorbei und mustere sie erneut. Bevor ich sie am Treppenabsatz zum dritten Stock aus den Augen verliere, drehe ich mich noch einmal demonstrativ nach ihnen um.

»Und? Wer ist da?« fragt meine Freundin. »Einbrecher! Ich glaube, ich hab zum ersten Mal Einbrecher direkt vor der Nase gehabt!« antworte ich und berichte, was ich gesehen habe. Die Männer sehen aus wie viele der Drogenabhängigen, die in der nahen Methadonpraxis versorgt werden und dann tagsüber im gegenüberliegenden Park rum­hängen. Gelegentlich werden sie mal lauter, sind im Allgemeinen aber harmlos.

»Kreuzberg! Ha!«

»Wo sind die denn jetzt?« fragt unsere Freundin. »Auf dem ­Absatz zwischen dem ersten und dem zweiten Stock«, sage ich. »Andi, du musst die Polizei anrufen«, meint meine Freundin, zückt auch schon ihr Smartphone, wählt die Nummer und drückt es mir in die Hand. »Ja, hallo, hier ist Andreas Michalke, bei uns sind Einbrecher im Haus. Könnten Sie da mal jemanden vorbei schicken?« »Wie sehen die denn aus? Warum glauben Sie denn, dass es sich um Einbrecher handelt?« »Das sind zwei verstrahlte Vögel, so speckige Typen, die hier im Haus offensichtlich nichts zu suchen haben. ­Außerdem haben die leere Taschen dabei und Werkzeug.« – »Vögel? Das ist ja keine genaue Beschreibung. Woran erkennen Sie denn einen Einbrecher?« fragt der Mann von der Polizei. Ich beschreibe die Männer erneut, so genau ich kann. »Wo wohnen Sie denn?« – »In Kreuzberg.« – »Kreuzberg! Ha!«, lacht der Mann, »na, da müssen Sie sich aber nicht wundern, da laufen überall irgendwelche ›Vögel‹ rum. In Kreuzberg wird andauernd eingebrochen.« Er belehrt mich, als wäre ich gerade erst frisch nach Berlin gezogen.

Direkt in unserer Straße befindet sich ein großes Polizeirevier. Leider geht der Anruf nicht dort ein, sondern in der Zentrale, in der Kreuzberg ­offensichtlich einen kriminellen Ruf genießt. »Ich wohne seit 20 Jahren in diesem Haus. Solche Typen wie die, die jetzt im Treppenhaus stehen, habe ich bei uns noch nie gesehen. Hier wohnen nur Familien«, ver­suche ich zu erklären. »Tut mir leid«, sagt der Polizeimann, »da können wir leider nichts machen. Nur weil sich bei ihnen im Haus in Kreuzberg zwei unbekannte Personen aufhalten, schicke ich keinen Peter­wagen los.« Ich komme nicht weiter. Gespräch beendet. »Und, was hat die Polizei gesagt?« will meine Freundin wissen. »Sie wollen niemanden schicken.« »Sind die Typen denn noch im Haus? Geh’ doch mal zum Nachbarn und guck mit dem«, sagt sie und öffnet die Wohnungstür. Ich klin­gele an der Tür gegenüber, erkläre kurz die Situation und dann laufen wir auch schon die Treppen runter. Er ist Musiker. Bei ihm im Keller wurde vor kurzem eingebrochen und ein großes Keyboard gestohlen. Das Treppenhaus ist leer. Wir laufen in den Hinterhof und auf die Straße. Nichts. Die Männer sind weg.

Zwei Wochen später spricht mich Herr Yildirim an. Er ist aufgeregt. Bei ihm wurde eingebrochen. Im Keller. Aber es wurde nichts gestohlen. Im Gegenteil. Irgendjemand hat seinen Keller mit Autoreifen und Farbeimern vollgestellt. Er hat sich schon beschwert, aber die Hausverwaltung reagiert nicht. »Wenn da nicht bald was passiert, stell’ ich den ganzen Schrott einfach auf die Straße«, sagt er wütend. »Ist mir egal, dann stell’ ich das einfach raus. So eine Frechheit.«