Pride Weekend in Nordmazedonien

»Laut sein«

Interview Von Krsto Lazarević

Wer sich in Skopje als Drag Queen auf die Straße traut, muss Gewalt fürchten. Bei der ersten Pride Parade ließ sich trotzdem niemand einschüchtern, berichten die Drag Queens Kaja Mor und Linda Socialista.

50 Jahre sind seit dem Aufstand nach den Razzien im Stonewall Inn in New York City vergangen. Warum hat es bis zur ersten Pride-Veranstaltung in Skopje so lange gedauert?
Linda Socialista: Wir hatten zwischen 2006 und 2017 eine Regierung, ich würde es sogar ein Regime nennen, das versucht hat, uns ideologisch ein Jahrhundert in die Vergangenheit zu versetzen (die Regierung der Partei Innere Mazedonische Revolutionäre ­Organisation – Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit, VMRO-DPMNE, unter der Führung von Nikola Gruevski, Anm. d. Red.). Wenn es sie nicht gegeben hätte, dann wären zwischen Stonewall und unserer ersten Pride vielleicht nur 40 Jahre vergangen.

Der wegen Korruption verurteilte ehemalige Ministerpräsident Gruevski ist geflohen, um sich seiner Gefängnisstrafe zu entziehen, und hat nun Asyl in Ungarn bekommen. 2016 hatte es als »Bunte Re­volution« bezeichnete Proteste gegen ihn gegeben, die zu seinem Rücktritt führten. Sie haben an den Protesten teilgenommen. Wie war es damals und was hat sich seither verändert?
Socialista: Ich bin von meiner Arbeit nach Hause gekommen, habe mich umgezogen, dann sind wir zu den Protesten gegangen. Wir waren bis spät in der Nacht draußen oder sind in der Nacht noch spontan rausgegangen, wenn andere Demonstrierende festgenommen wurden, um deren Freilassung zu fordern. Damals war ja völlig unklar, wie die Proteste ausgehen würden. Informiert haben wir uns über soziale Medien, weil man den Regimemedien damals kein Wort glauben konnte. Es war alles sehr hektisch, aber wir hatten auf der Straße das Gefühl, an einer besseren Gesellschaft zu arbeiten, und das hat uns die Kraft gegeben, weiterzumachen.

Die LGBT-Community in Skopje war bei den Protesten sehr präsent. Hat das etwas bewirkt?
Socialista: Ja, da waren viele dabei und  haben die Proteste am Laufen gehalten. Das war wichtig für die Community.

»Es gab in Skopje und Mazedonien keine Drag-Szene.«

Kaja Mor, Sie sind in Chicago aufgewachsen und moderieren das erste Pride-Weekend in Skopje. Außerdem gehören Sie zu den Mitbegründerinnen des ersten nordmazedonischen Drag-Queen-Kollektivs »Haus of Fauché«. Wie ist es für Sie, jetzt in Nordmazedonien zu sein?
Kaja Mor: Viele Menschen denken, dass es für mich als Schwulen in Chicago einfacher war – dass es mir möglich war, geoutet zu sein ohne dadurch Probleme zu haben. Aber das ist leider weit von der Wahrheit entfernt. Ich habe mich erst vor drei Jahren geoutet. Was viele Menschen in Mazedonien nicht begreifen, ist, dass die mazedonische Diaspora in diesen Fragen oft viel konservativer ist, als man es im Land selbst ist. Viele tragen noch eine Mentalität mit sich herum, mit der sie das Land vor 40, 50 Jahren verlassen haben, während sich hier manche Dinge weiterentwickelt haben.
Ich lebe seit zwei Jahren in Mazedonien und kann sagen, dass es hier sehr viel liberaler ist als in der mazedonischen Diaspora-Community in Chicago. Für mich war es befreiend, nach Mazedonien zu kommen, weil es hier eine präsente queere Community und auch viele Verbündete gibt.

Ihr Drag-Queen-Kollektiv gibt es erst seit einem halben Jahr. Kann man sagen, dass Sie Drag aus Chicago nach Nordmazedonien exportiert haben?
Mor: Ich habe hier mit Drag angefangen, nicht in Chicago. Aber klar, wenn man Chicago als Ganzes mit Mazedo­nien vergleicht, dann sind die Ansichten über queere Menschen hier sehr viel konservativer.

Wie sieht es denn mit queerfreundlichen Orten in Skopje aus? Groß scheint die Auswahl nicht zu sein.
Socialista: Es gibt das Shortbus. Ein Laden, der zu allen freundlich ist, auch zu Queers. Ich würde es aber nicht eine queere Bar nennen.
Mor: Ja, es ist sicher auch keine gay bar im US-Sinne. Wenn mich queere ­Ausländer fragen, wo sie hingehen sollen, dann schicke ich sie dorthin. Viele queere Menschen gehen dahin. Aber auch da würde ich nicht empfehlen, öffentlich mit gleichgeschlecht­lichen Personen herumzumachen.

Wie kommen Sie zu dem Namen Linda Socialista?
Socialista: Es ist eine Anspielung auf das Model Linda Evangelista. Aber ich kann mit Sozialismus mehr anfangen als mit Evangelikalismus. Außerdem ist es ein Kontrast, weil der Name auf ein normschönes Model anspielt und ich offensichtlich nicht so aussehe.

Was passiert denn in Ihrem »Haus of Fauché«?
Mor: Wir haben uns zu viert zusammengetan, davor gab es in Skopje und Mazedonien keine Drag-Szene. Mit Hilfe der Community haben wir unsere erste Show im September gemacht und die Resonanz war enorm. Die Leute liebten uns, dann haben wir entschieden, das regelmäßig zu machen und das »Haus of Fauché« zu gründen. Wir hatten kurz darauf noch eine Show mit Drag Queens aus Kroatien, die zu uns meinten: »Wir haben drei Jahre für das gebraucht, was ihr in drei Monaten auf die Beine gestellt habt.«

»Deswegen möchte ich offen und laut sein.«

Wenn Sie in Chicago kein Drag gemacht haben, was hat Sie dann in Nordmazedonien daran gereizt?
Mor: An Drag war ich schon lange interessiert. Mit dem Hereinwachsen in meine queere Identität habe ich mich damit immer besser gefühlt. Als ich nach Mazedonien gekommen bin, habe ich mir vorgenommen, zu Drag-Shows in Serbien und Kroatien zu gehen, die es da öfter gibt. Ich dachte mir, das wird schon reichen, bis ich nach Chicago zurückgehe. Doch dann habe ich ­andere Leute getroffen. Eine meiner Schwestern aus dem Drag-Haus war in Paris und hat dort Drag gemacht und es dann vermisst. Es ist etwas, das wir machen wollten, also taten wir es.
In den USA sind Drag-Shows wichtig, um die Community zusammenzubringen. Und hier passierte das nicht. Es fühlte sich für mich manchmal an, als gebe es keine queere Community in Skopje. Es gibt viele queere Menschen, aber es fehlte ein Ort, an dem man sich treffen und man selbst sein konnte.
Nach unserer jüngsten Show hat mir jemand geschrieben, es sei für die queeren Leute hier das erste Mal gewesen, dass sie sich so offen und sicher gefühlt und einen Ort gefunden hätten, an dem sie einfach sie selbst sein, sich frei fühlen konnten. Für mich ist das der Grund, warum ich die Shows hier mache.

Die meisten Lesben und Schwulen in Nordmazedonien sind nicht ge­outet. Glauben Sie, die erste Pride und Ihre Shows können ihnen helfen?
Mor: In meiner mazedonischen Diaspora-Community gab es keine Sichtbarkeit von queeren Menschen. Deswegen möchte ich offen und laut sein, damit andere wissen, dass sie nicht alleine sind. Egal, ob das meine Cousinen in Chicago oder Menschen in einem kleinen Dorf in Mazedonien sind.

Sie moderieren ja das erste Pride-Weekend in Skopje. Bislang war es bei Premieren von Pride-Veranstaltungen in Osteuropa oft so, dass vor allem Aktivistinnen und Botschafts­mitarbeiter dort waren.
Socialista: Das ist ja auch absolut verständlich. Das erste Mal ist immer schwierig. Die Pride ist ja nicht nur da, um zu zeigen: »Schau mal, wie gay wir sind.« Es geht vor allem darum, jenen, die noch nicht geoutet sind, zu zeigen, dass es Unterstützung gibt.
Mor: Ich habe selbst lange überlegt, ob ich überhaupt zur Pride gehe. In Skopje, in Drag, am helllichten Tag, mitten in der Stadt – dadurch riskiert man, Opfer physischer Gewalt zu werden. Nach unserer zweiten Show im Januar wurde ein Artikel über uns veröffentlicht mit dem Titel: »Skopje, wie Sodom und Gomorrha«. Es war ein Foto von mir ab­gebildet und es wurde behauptet, Kinder seien dort dazu gezwungen worden, sich nackte Transvestiten anzuschau­en. Das war für mich ein Schock. Eine meiner Drag-Schwestern hatte Angst, weil sie vor ihrer Familie nicht geoutet ist und dort niemand weiß, dass sie schwul ist und diese Shows macht. Nach dem ersten Schock war es dann aber okay für mich. Ich habe mich damit abgefunden, dass solche Episoden dazu­gehören.

Die erste Pride ist immer etwas schwierig. Wie wird die Pride 2030 in Skopje sein?
Socialista: Ich hoffe mal, das wird dann die Party des Jahres.


Kaja Mor und Linda Socialista sind Drag-Queens und haben in Nordmazedonien am 29. Juni das erste Gay Pride Weekend in der Hauptstadt Skopje moderiert. Die »Jungle World« sprach mit beiden vor der Veranstaltung.