Sexualisierter Hass auf Aktivistinnen

Vorsicht, Vagina

Von der AfD bis zur »Achse des Guten«: Beim Gedanken an Carola Rackete drehen alte, weiße Männer schier durch. Hinter ihren sexuellen Gewaltphantasien steht eine fragile männliche Identität.

Viel ist in letzter Zeit vom weißen Mann die Rede. Eine soziologische Kategorie stellt er sicher nicht dar, ein attraktives Identifikations­angebot in unübersichtlichen Zeiten schon. Wer sich, teils mit lahmer Ironie, teils mit bitterem Ernst selbst so definiert, scheint allerdings, folgt man entsprechenden Einträgen in sozialen oder anderen Medien, vor allem eines zu haben: furchtbare Angst.

In der Liste von Bedrohungen, die bei dieser Gruppe größte Angst hervorrufen und deshalb auch am heftigsten abgewehrt sollen, ­stehen ganz weit oben zwei F-Worte: Flüchtlinge und Feminismus. So verwundert es wenig, dass Frauen, die Flüchtlingen helfen, und dies nicht aus mütterlicher Besorgtheit, die gerade noch ins Bild passen würde, die Angst des »weißen Mannes« ganz besonders triggern.

Hätte am Steuer der »Sea Watch 3« ein Mann gestanden, die Aufregung wäre vermutlich nur halb so groß gewesen. Völlig unpassend klänge etwa ein Online-Eintrag über den 2018 wegen illegaler Einfahrt in Malta festgenommenen Kapitän eines Bootes der »Mission Lifeline«: »Claus-Peter Reisch (Jahrgang 1961) ist ein deutscher Kapitän und willensgesteuert vom Großen Phallus. Wenn der Große Phallus es ihm befiehlt, fährt er vor die Küste Libyens und nimmt dort illegal Fluchtsimulanten auf.«

Bei Carola Rackete aber, da geht es. Denn die ist ja eine Frau und deshalb von der »Großen Vagina« gesteuert. So steht es auf der Seite Wikimannia, die die sich für »10 Jahre feminismusfreie Information« preist und mit dem Schenkelklopfer-Eintrag nur ausdrückt, was sich offenbar in unzähligen Köpfen abspielte, als sich die Krise vor Lampedusa zuspitze. Eine Frau, der auch noch nach­gesagt wird, sie bevorzuge in der Liebe das eigene Geschlecht, die laut Selbstauskunft sich engagiere, weil sie »weiß und privilegiert« sei, forderte da frech mit afrikanischen Flüchtlingen an Bord – vornehmlich Männern aus dem subsaharischen Afrika – den italienischen Innenminister heraus.

Vergewaltigungsphantasien

Dann drang sie illegal mit ihrem 50 Meter langen Schiff in den Hafen von Lampedusa ein, rammte sogar noch ein Polizeiboot und nahm ihre Inhaftierung in Kauf. Wenn am Kai des Hafens ein Italiener daraufhin lautstark mitteilte, er hoffe, sie werde von »den Negern an Bord vergewaltigt«, drückte er in rohen Worten nur einen Wunsch aus, der offenbar viele umtrieb. So schrieb Wolfgang Ackner, ein Autor der »Achse der Guten«, auf Facebook noch am selben Tag, er hoffe, Rackete werde von einer Gruppe neuer Gäste mit »ficki ficki«-Wunsch besucht. Auf Seiten, die ansonsten eher dem Wutbürger-Milieu mit den besseren Tischmanieren zuzurechnen sind, tippten Kommentatoren ihre Assoziationen zu »deutsche Frau – schwarze Männer – illegale Flüchtlinge – gewalt­samer Sex« in die Tastatur.

Diese Reaktionen erinnern frappierend an Mechanismen, die Klaus Theweleit in seinem Buch »Männerphantasien« beschreibt: Wann immer sich fragile männliche Identitäten bedroht fühlen, entwerten sie die als Bedrohung wahrgenommenen Frauen und reduzieren sie auf ihre Geschlechtlichkeit. Erst wenn man sich selbst und gegenseitig überzeugt hat, dass Frauen wie Carola Rackete nicht etwa aus hehren Motiven und rationalem Kalkül handeln, sondern von Trieben und einer »inneren Leere« (Tichys Einblick) gesteuert sind, lassen die Ängste kurzfristig etwas nach, hat die Abwehr bis zum nächsten Mal halbwegs funktioniert. Besser noch erklärt man Rackete auch zur Inkarnation des »hässlichen Deutschen« (Achse der Guten), ja eigentlich zum wiedergekehrten Nazi – diesmal nur ohne Stahlhelm auf dem Kopf. Wer ihr Vergewaltigung oder Ähnliches wünscht, will sich im Deutschland des Jahres 2019 nicht nur als Beschützer deutscher Frauen, sondern auch noch als zeitgemäßer Antifaschist fühlen.