Autoritarismus in der EU

Weniger Demokratie wagen

Ursula von der Leyen wurde mit Stimmen der extremen Rechten zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt. Nun hat sie versprochen, antidemokratische Kräfte in der Europäischen Union sanft zu behandeln.

Völlige Klarheit darüber, wer im Europäischen Parlament am Dienstag vergangener Woche für Ursula von der Leyen gestimmt hat, wird es nicht geben, weil die Abstimmung geheim war. Da sie nur mit einer Mehrheit von neun Stimmen als EU-Kommissionspräsidentin bestätigt wurde, ist jedoch sicher, dass sie es ohne Abgeordnete rechtsnationalistischer Parteien nicht geschafft hätte.

Die ita­lienische Lega soll sich im letzten Moment gegen sie entschieden haben, Fidesz und PiS, die regierenden Parteien Ungarns und Polens, bestätigten hingegen nach der Wahl, für von der Leyen gestimmt zu haben. Die Nominierung durch den Europäischen Rat war auf der Grundlage einer Vereinbarung mit der Viségrad-Gruppe (Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechien) und Italien erfolgt.

Wenige Tage nach der Abstimmung bestätigte von der Leyen in ­einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Befürchtung, die EU-Kommission werde in Zukunft noch zurückhaltender mit auto­ritären, dem EU-Recht widersprechenden Maßnahmen rechtsnationalistischer Regierungen umgehen. Nur als das »allerallerletzte Mittel nach vielen Stufen, die vorher kommen«, kämen finanzielle Sanktionen in Frage, sagte von der Leyen, als sei das Problem gera­de erst entdeckt worden.

Fidesz begann jedoch schon bald nach dem Wahlsieg der Partei 2010 mit dem Abbau des Rechtsstaats, bereits die Wahlen 2014 wurden von der OSZE als frei, aber nicht fair eingestuft. Es handelt sich wie in Polen nicht um Anpassungsprobleme des homo sovieticus, der noch nicht so recht weiß, wie man eine Demokratie aufbaut, sondern um den gezielten Kampf gegen bereits etablierte rechtsstaatliche Strukturen. Ohnehin ist der rechtsnationalistische Autoritarismus kein Problem allein Osteuropas, wie das EU-Gründungsmitglied Italien beweist.

Verheerende Entscheidung

Von der Leyen hingegen suggeriert, es gehe um Patzer, die jedem einmal passieren können: »Wir alle müssen lernen, dass volle Rechtsstaatlichkeit immer unser Ziel ist, aber keiner ist perfekt.« Das sollte als Drohung verstanden werden. Man könnte ja hoffen, dass die nun angekündigte Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Staaten auch Defizite in Staaten aufdeckt und womöglich gar mit Sanktionen belegt, die nicht als Problemfälle gelten, etwa den lässigen Umgang deutscher Behörden mit rechtsextremen Terrornetzwerken. Doch scheint eher geplant zu sein, allen ein bisschen mehr Demokratiedefizit zu gestatten.

Hinter dieser Politik stehen mit Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron die Nominierung von der Leyens initiiert hat, und Deutschland, dessen Kanzlerin Angela Merkel nach kurzem Zögern zustimmte, die Führungsmächte der EU. Widerspruch anderer Regierungen war bislang nicht zu vernehmen. Als Hindernis könnte sich jedoch das Parlament erweisen, das die EU-Kommission, bei deren Besetzung weitere Zugeständnisse an die Rechtsnatio­nalisten zu erwarten sind, bestätigen muss. Auch der Europäische Gerichtshof könnte angerufen werden, wenn nun offen bekundet wird, dass die Kommission die Durchsetzung geltenden Rechts aus politischer Rücksichtnahme gezielt verzögern will.

Es kann alles noch ganz anders kommen, als man im Rat plant, dennoch sind die Zugeständnisse an die Rechtsnationalisten eine verheerende Entscheidung. Die Oppositionellen in Polen, Ungarn und Italien müssen zur Kenntnis nehmen, dass die EU sie gegen illegale Maßnahmen ihrer Regierungen nicht zu schützen gedenkt, und rechte Politiker in allen EU-Staaten wissen nun, dass ihr Spielraum größer ist denn je.