Debatte über Antisemitismus

Und täglich grüßt der Judenhass

Nach Angriffen auf Rabbiner diskutiert die Öffentlichkeit über den wachsenden Hass auf Juden. Wird islamistischer Antisemitismus kleingeredet?

Große Schlagzeilen machte der Vorfall nicht: Ende Juli wurde ein 25jähriger Mann, der eine Kippa mit Davidstern trug, am Potsdamer Hauptbahnhof angegriffen, beleidigt und angespuckt. Bundespolizisten konnten den mutmaßlichen Täter ermitteln. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) schrieb auf seiner Website von einem »mutmaßlich antisemitischen Angriff«.

Allein in Berlin wurden 1.083 antisemitische Vorfälle im Jahr 2018 erfasst.

Für mehr Aufmerksamkeit sorgten die antisemitischen Angriffe auf Rabbiner in München und Berlin. Am vorvergangenen Samstag wurden in München ein Rabbiner und seine beiden erwachsenen Söhne vor einer Synagoge beschimpft und bespuckt. Ende Juli war in Berlin ein Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, Yehuda Teichtal, in Begleitung eines seiner Kinder von zwei Männern auf Arabisch beschimpft und bespuckt worden.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) hat für das vergangene Jahr insgesamt 1.083 antisemitische Vorfälle in Berlin erfasst, 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Bemerkenswert ist, dass die Zahl körperlicher Attacken sich verdoppelt hat. Und das, obwohl die Bundesregierung vor über einem Jahr einen Beauftragten für jüdisches Leben ernannt hat. »Sicherheit im öffentlichen Raum, die für alle Bürger selbstverständlich sein sollte, rückt gerade für Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in immer weitere Ferne«, sagte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, nach den Angriffen.

»Beschimpft und bespuckt«

Der in Berlin attackierte Rabbiner Teichtal stellte während einer Solidaritätsveranstaltung fest, dass in Deutschland knapp 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz immer noch »Juden ­beschimpft und bespuckt« würden. Er forderte in seiner Ansprache zu gemeinsamem Handeln auf, »damit jeder in Deutschland gegen Intoleranz einsteht«. »Jeder, der gegen Israel ist, ist gegen Juden im Allgemeinen«, fügte Teichtal hinzu.

Der ebenfalls anwesende Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rief in seiner Rede zu einem entschiedenen Engagement gegen Antisemitismus in Deutschland auf. Zugleich warnte er davor, den Angriff auf den Rabbiner politisch zu instrumentalisieren. »Manche versuchen, die Gesellschaft zu spalten, indem sie so tun, als sei Antisemitismus ausschließlich ein importiertes Phänomen; die trennen zwischen rechtem, linkem und muslimischem Antisemitismus«, so der Politiker weiter.

Gerade das aber sei nötig, um endlich zu einer »klaren Analyse der Bedrohungslage« zu kommen, sagt Marcel Luthe (FDP) der Jungle World. Das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses kritisiert seit Jahren, dass »Taten islamistischer Antisemiten in der Statistik als ›rechts‹ verbucht werden«. Judenhasser »wie diejenigen, die Rabbiner Teichtal angegriffen haben«, erreiche man »nicht mit Programmen gegen Rechtsextremismus, sondern gegen Islamismus«.

»Sehr viel reale Angst«

Die Bundesregierung hat Ende Juli ein achtköpfiges Beratungs­gremium zum Kampf gegen Antisemitismus einberufen. Davon hält Luthe wenig. Aus seiner Sicht bedarf es »keiner weiteren Beratung, sondern endlich einer entschlossenen Bekämpfung der Ursachen«. Die Einrichtung dieses Gremiums »soll offenbar nur das Feigenblatt vergrößern, das mit der Einrichtung des leider zu schwach ausgestatteten Anti­semitismusbeauftragten geschaffen wurde«.

Die jüdische Bloggerin und Buchautorin Juna Grossmann dagegen sieht das neue Gremium positiv . »Im Gegensatz zur Antisemitismuskommission der Bundesregierung sind in diesem Gremium von Beginn an Menschen vertreten, die nicht nur Erfahrungen in der Arbeit gegen Antisemitismus ­haben, sondern selbst wissen, wovon sie sprechen«, sagt die Pädagogin der Jungle World. Die Hoffnung, dass irgendwann einmal keine Sicherheitskontrollen mehr vor jü­dischen Einrichtungen notwendig seien, habe sie aber auf­gegeben. Gerade auf ihren Reisen in kleinere Gemeinden werde ihr häufig von »sehr viel realer Angst« berichtet.