Gehalt von Auszubildenden

Das Mindeste ist nicht genug

Viele Auszubildende werden miserabel entlohnt und müssen nebenher Minijobs aufnehmen oder ihr Gehalt beim Arbeitsamt aufstocken. Die neuen Maßnahmen der Bundesregierung werden daran kaum etwas ändern.

Etwa 500.000 meist junge Menschen beginnen jährlich in Deutschland eine Ausbildung, so auch in diesem August und September. »Wer einen der rund 330 Berufe mit dualer Ausbildung erlernt, hat eine gute Grundlage fürs Berufsleben«, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Website. Eine gute Grundlage, um in der drei- bis vierjährigen Ausbildungszeit den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, haben allerdings längst nicht alle Berufsanfänger. Wie viel die Auszubildenden verdienen, hängt einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge von ihrem Wohnort und der Branche ab, in der sie arbeiten.

Die Untersuchung zeigt große Unterschiede in der Höhe der tariflichen Ausbildungsvergütungen. So verdient ein Auszubildender im Friseurhandwerk in Brandenburg im ersten Lehrjahr 325 Euro monatlich, muss also drei Monate lang arbeiten, bis er annähernd zusammenhat, was ein Auszubildender in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie nach einem einem Monat erhält: 1.037 Euro.

Am besten verdienen Auszubildende im ersten Lehrjahr im Bank- und Versicherungsgewerbe, im Bauhauptgewerbe, im öffentlichen Dienst, in der Druckindustrie, der Chemiebranche und der Metall- und Elektroindustrie mit 900 bis mehr als 1.000 Euro im Monat. Weniger als 600 Euro stehen hingegen im Friseurhandwerk, in der Floristik und im Bäckerhandwerk auf dem Lohnzettel – in den Branchen also, die zum derzeitigen Ausbildungsbeginn einmal mehr beklagen, nicht ausreichend Nachwuchskräfte zu finden.

Zum Minijob gezwungen

Auch in anderen Wirtschaftszweigen, die immer wieder lautstark den Fachkräftemangel beklagen, fällt die monatliche Vergütung niedrig aus, etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe in Sachsen mit 675 Euro oder in der Gebäudereinigungsbranche in den ostdeutschen Bundesländern mit 685 Euro. Auch im letzten Jahr ihrer Ausbildung stehen die Beschäftigten im Friseurhandwerk in Brandenburg mit einem monatlichen Verdienst von 470 Euro am schlechtesten da; am meisten verdienen Auszubildende im dritten Lehrjahr im Bauhauptgewerbe in Westdeutschland mit 1.475 Euro.

Wegen schlechter Bezahlung müssen Auszubildende nicht selten nebenbei einen Minijob annehmen, um über die Runden zu kommen, oder ihr Gehalt mit der Berufsausbildungsbeihilfe der Bundesagentur für Arbeit aufstocken – mit der Unternehmen ihre Dumpinglöhne subventionieren lassen. Vielfach wechseln Auszubildende auch nach kurzer Zeit in besser bezahlte Tätigkeiten.

Deutlich macht die Studie des WSI auch die regionalen Unterschiede in der Bezahlung. Während in der Metall- und der chemischen Industrie der Abstand zwischen der höchsten und der niedrigsten Vergütung im dritten Lehrjahr mit rund 95 Euro relativ gering ausfällt, sieht es in vielen Dienstleistungs- und Handwerksberufen anders aus. Unterschiede von 200 oder 300 Euro im selben Beruf sind keine Seltenheit. Ein Auszubildender im Kfz-Handwerk verdient beispielsweise mit 650 Euro in Thüringen deutlich weniger als sein Kollege in Baden-Württemberg mit 815 Euro. Neben einer auch 30 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung weiterhin bestehenden Differenz zwischen Ost und West verweisen die Forscher auch auf ein Nord-Süd-Gefälle.

Rechte sind kaum durchzusetzen

Nach Darstellung von Thorsten Schulten, dem Leiter des Tarifarchivs des WSI, sind die Probleme in nicht tarifgebundenen Unternehmen noch größer. Aufgrund der stetig sinkenden Tarifbindung sind etwa 40 Prozent aller Auszubildenden in solchen Firmen tätig. Eigentlich dürften diese den gesetzlichen Vorgaben zufolge nicht weniger als 80 Prozent der tariflich vereinbarten Vergütung zahlen. Allerdings ist es für Auszubildende in solchen Unternehmen schwer, ihre Rechte durchzusetzen, denn Jugend- und Auszubildendenvertretungen gibt es in den betroffenen Bereichen ebenso selten wie Betriebsräte.

Die Probleme sind auch der Bundesregierung nicht verborgen geblieben. Sie will das Berufsbildungsgesetz reformieren und im Zuge dessen eine Mindestausbildungsvergütung einführen. Der Mindestlohn für Auszubildende soll am 1. Januar 2020 in Kraft treten und im ersten Lehrjahr 515 Euro monatlich betragen, im zweiten Jahr auf 608 und im dritten Ausbildungsjahr auf 695 Euro steigen. Ab 2021 sollen die Vergütungen dann schrittweise erhöht werden. Die Bundesregierung bleibt damit allerdings weiter hinter den Forderungen der Gewerkschaften zurück. Diese fordern einen Mindestlohn für Auszubildende in Höhe von 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung. Im ersten Ausbildungsjahr wären das derzeit 660 Euro.

Dass die von der Bundesregierung verabschiedete Lohnuntergrenze deutlich niedriger ausfällt, soll der zuständigen Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zufolge zum einen die Betriebe vor »finanzieller Überforderung« schützen und zum anderen die Tarifautonomie stärken. Würde die Lohn­untergrenze zu hoch angesetzt, bestehe die Gefahr, Tarifverträge zu unterlaufen, so die Politikerin. Dieser Argumentation widerspricht Thorsten Schulten.

Organisierung und Kampf

»In der großen Mehrzahl der Tarifbranchen liegen die Vergütungen für Auszubildende bereits heute deutlich oberhalb der geplanten Mindestausbildungsvergütung«, schreibt der Tarifexperte des WSI in einer Pressemitteilung. Die Mindestausbildungsvergütung hätte seiner Ansicht nach durchaus höher ausfallen können, ohne Tarifverträge überhaupt in bedeutendem Maß zu tangieren. Daten der Bundesagentur für Arbeit zufolge werden gerade einmal sieben Prozent aller Auszubildenden von der neuen Lohnuntergrenze profitieren. Zudem enthält die Neuregelung einen sogenannter Tarifvorbehalt: Tarifliche Regelungen, die den neuen Mindestlohn unterschreiten, gelten vorerst weiter.

Ein Ende der Ausbeutung von Auszubildenden als billige Arbeitskräfte ist von der Mindestausbildungsvergütung also ebenso wenig zu erwarten wie eine Lohnangleichung zwischen den verschiedenen Ausbildungsberufen. Dazu wären eine gemeinsame Organisierung der Auszubildenden und ein Kampf für höhere Tariflöhne nötig. Die Chancen hierfür stehen gut.

Die Klage über fehlende Nachwuchskräfte hat inzwischen auch den industriellen Bereich erreicht, der Arbeitskräftemangel eröffnet jungen Beschäftigten gute Möglichkeiten, Verbesserungen durchzusetzen. Tatsächlich konnten die Gewerkschaften in den vergangenen Jahren vielfach deutlich höhere Ausbildungsvergütungen aushandeln und sogar in bisher nicht tariflich erfassten Bereichen, zum Beispiel in der Pflege, erstmals Tarifverträge für Auszubildende erkämpfen. Entgegen dem Bild der Gewerkschaften als verstaubte Rentnerclubs wächst der Anteil junger Beschäftigter in den Gewerkschaften seit Jahren kontinuierlich. Eine wachsende Zahl junger Beschäftigter scheint sich nicht mehr auf die Politik verlassen zu wollen, wenn es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne geht, sondern nimmt dies lieber selbst in die Hand.