Der Bedarf an Wasser in einer trockenen Region hat Israel erfinderisch gemacht

Tropfen um Tropfen

Israel ist weltweit führend, wenn es um Wasserrecycling, Entsalzung und effiziente Wassernutzung geht. Um die Wasserversorgung sicherzustellen, ist das Land in der Region auf Kooperation angewiesen, selbst mit seinen Feinden.

Die Sichtung der Insel war kein gutes Zeichen. Im See Genezareth tauchte 2016 ein Eiland auf, da der Wasserspiegel des Sees deutlich gesunken war. Israel ist ein arides Land – und die Wasserreserven schwinden zusehends. In 15 der vergangenen 20 Jahre hat es unterdurchschnittlich wenig geregnet. Die Entwicklung dürfte sich in den nächsten Jahren kaum umkehren, sondern durch die Erderwärmung eher verschlimmern. Die Dürre macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass der Wasserspiegel des Flusses Jordan und damit der des Sees Genezareth sinkt; beide gehören zu den wichtigsten Süßwasserquellen der Region. Auch das Tote Meer ist in den vergangenen Jahrzehnten stark geschrumpft. 2018 beschloss Israel einen Projektplan, um entsalztes Wasser aus dem Mittelmeer in den See Genezareth zu pumpen und dem Absinken des See-, Fluss- und Meeresspiegels entgegenzuwirken. Die erwarteten Kosten liegen bei einer Milliarde Schekel (umgerechnet etwa 240 Millionen Euro).

»Es liegt im eigenen Interesse aller Seiten, für die Bewahrung der Umwelt und der Wasser­ressourcen zusammenzuarbeiten.«

Wasser ist nicht nur in Israel, sondern der gesamten ariden Region des Nahen Ostens ein knappes Gut. Das führt immer wieder zu Konflikten. Als Israel in den Sechzigern eine Pipeline baute, um Wasser vom See Genezareth zum unteren Jordan zu leiten, versuchten der Libanon, Syrien und Jordanien, Zuflüsse zum Jordan umzuleiten. Die daraus ­resultierenden Spannungen waren einer der Gründe für den Sechstagekrieg 1967. Als Jordanien 1994 einen Friedensvertrag mit Israel schloss, in dem Jordanien unter anderem zugesichert wurde, mehr Wasser aus dem Jordan entnehmen zu können, baute Syrien zur Strafe noch schnell Dämme am Jarmuk, einem Zufluss des unteren Jordan.

Im Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gaza-Streifen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) von 1995 (Oslo II) ist die Wasserverteilung eines der wichtigsten Themen. Den Palästinensern wurde eine gewisse Menge Wasser pro Jahr zugesprochen, dafür durften sie etwa nicht mehr im Berggrundwasserleiter – neben dem Jordan und dem Küstengrundwasserleiter die Hauptsüß­wasserquelle in Israel – nach Wasser bohren. Die Wasserverteilung wurde in den Oslo-Verträgen als final status issue bestimmt, sollte also in einem Friedensvertrag endgültig geregelt werden – der bis heute nicht zustande gekommen ist.

 

Die Kooperation beim Thema Wassersicherheit sei aber bereits jetzt, auch ohne Friedensvertrag, überlebenswichtig, betont Gidon Bromberg, der israelische Leiter von Eco Peace Middle East im Tel Aviver Büro der NGO, in der jordanische, palästinensische und ­israelische Umweltschützer zusammenarbeiten. »Die Natur hat ganz andere Grenzen als die politischen«, so Bromberg. Die Wasserressourcen werden von allen geteilt – das heißt auch, dass Probleme wie Wasserverschmutzung und -mangel vor den Grenzen nicht haltmachen. So bedroht der Kollaps der Infrastruktur in Gaza auch die Trinkwasserversorgung in Israel. Zum Beispiel treibt die Strömung vor Gaza ins Mittelmeer abgeleitete, ungefilterte Abwässer an die israelische Küste. 2016 und 2017 führte das bereits dazu, dass die Meerwasser­entsalzungsanlage in Ashkelon mehrmals abgeschaltet werden musste, wie Eco Peace öffentlich machte. Israel bezieht mittlerweile 70 Prozent seines Trinkwassers aus Entsalzungsanlagen.

30 Prozent der Erkrankungen in Gaza seien auf verunreinigtes Wasser zurückzuführen, so Bromberg. Dies bedrohe nicht nur die Wassersicherheit, sondern auch die nationale Sicherheit Israels, da der Ausbruch von Seuchen Fluchtbewegungen zur Folge haben könne. Bürgermeister »von links bis weit rechts« aus an Gaza grenzenden israelischen Gemeinden, die bereits regelmäßig Ziel von Raketenangriffen waren, hätten vor einigen Jahren einen gemeinsamen Brief verfasst, in dem sie gefordert hätten, es müsse etwas getan werden, damit sie nicht auch noch von einem Seuchenausbruch bedroht würden, erzählt Bromberg. »Niemand tut dem anderen einen Gefallen, wenn er mit ihm für die Bewahrung der Umwelt und der Wasserressourcen zusammenarbeitet, das liegt im eigenen Interesse«, stellt er nüchtern fest.

Nun ist es mit der Unterstützung für Gaza schwierig, da dort die Hamas ­regiert, die die Vernichtung Israels anstrebt. Zement und Rohre, die zum Bau von Wasserreservoirs und Kläranlagen nötig wären, nutzten die Isla­misten zu oft zum Bau von Tunneln und Raketen, Israel beschränkte daher die Lieferung solcher sogenannter dual use-Güter. Die Gefahren für Israel, die eine Vernachlässigung Gazas heraufbeschwören könnte, haben jedoch zu einem Umdenken geführt. Nach dem Brief der Bürgermeister sei innerhalb von zwei Jahren mit internationalen Geldern und israelischer Kooperation eine moderne Kläranlage fertiggestellt worden, so Bromberg. Eine weitere Anlage, mit deren Bau dieses Jahr begonnen wurde, soll in vier Jahren fertiggestellt sein. Die Hamas ist allerdings weiterhin kein Partner für solche Projekte. Unterstützt werden diese von internationalen Organisationen. Auch Eco Peace arbeitet Bromberg zufolge in Gaza nicht mit der Hamas zusammen, sondern unter anderem mit der Palästinensischen Wasserbehörde der PA, die weiterhin für die Wasserversorgung in Gaza und der Westbank verantwortlich ist.

 

Dort ist die Wasserversorgung ebenfalls prekär. In Jericho gebe es genug Wasser, in Ramallah kämen Wasserlastwagen hingegen nur zweimal pro ­Woche, in manchen südlichen Gemeinden nur einmal alle paar Wochen oder Monate, so Bromberg. Problematisch sei in der Westbank, wie in vielen ­Gebieten der Region, der hohe Verlust beim Wassertransport wegen defekter Leitungen, schlechten Managements und des illegalen Anzapfens von Leitungen. In der Westbank betrage der Verlust im Durchschnitt 30 Prozent. Deren komplizierter Status aufgrund der Besatzung erschwert die Ahndung von Wasserraub und Umweltvergehen. In der Zone C, in der Israel dafür verantwortlich wäre, konzentriere man sich vor allem auf Sicherheitsaufgaben, so Bromberg. In anderen Zonen missbrauche die Industrie die Lage, so halte sie sich etwa in Zonen, in denen die palästinensische Polizei keinen Zutritt hat, gar nicht an Umweltauflagen.

Auf die friedliche Koexistenz zweier Staaten oder eine andere Lösung des Konflikts kann man jedoch beim Thema Wasser nicht warten. Seit den Neunzigern, als die Oslo-Verträge verhandelt wurden, sind nicht nur die Bevölkerungszahlen und damit der Wasserbedarf gestiegen, auch einiges andere hat sich verändert. So ist Israel mittlerweile weltweit führend, wenn es um die Wiederaufbereitung und Entsalzung von Wasser und effektive Bewässerung geht, auf Süßwasserquellen ist es nicht mehr in dem Maße angewiesen wie früher. Pro Jahr braucht Israel inzwischen über zwei Milliarden Kubik­meter Wasser für Privathaushalte, Industrie und Landwirtschaft. Den Großteil davon bezieht es aus Entsalzungsanlagen und der Wiederaufbereitung von Brauchwasser. Rund 90 Prozent des Brauchwassers werden wiederaufbereitet und für die Landwirtschaft nutzbar gemacht. Die weltweit größte Entsalzungsanlage in Soreq soll weiter ausgebaut werden und neue Anlagen sollen entstehen, allerdings ist das Verfahren energieintensiv und teuer. Die Ent­salzung eines Kubikmeters Wasser in Soreq kostet rund siebenmal so viel wie die Entnahme derselben Menge aus einer natürlichen Süßwasser­quelle in Israel – wobei die Entsalzung in anderen Ländern meist um ein Vielfaches teurer ist als in Israel. Neue Auflagen sollen nun zumindest sicherstellen, dass die Energie für die Anlagen aus erneuerbaren Energiequellen kommt.

Trotz der Trockenheit finden sich in Israel viele grüne und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Bis auf einige Getreidesorten wie Weizen und Reis und wenige andere Agrarerzeugnisse muss das Land keine Nahrungsmittel importieren, es exportiert sogar zahlreiche landwirtschaftliche Güter. ­Bereits früh mussten sich Landwirte in Israel mit effizientem Wassergebrauch beschäftigen. In den dreißiger Jahren hatte der aus Polen ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina eingewanderte Ingenieur Simcha Blass die Idee zur Tröpfchenbewässerung. Deren Entwicklung schlossen Mitglieder des in der Wüste Negev gelegenen Kibbuz ­Hatzerim mit seiner Hilfe in den sech­ziger Jahren ab und gründeten die ­Bewässerungssystemfirma Netafim.

 

Natan Barak lebt im Kibbuz Hatzerim, der noch 20 Prozent der Anteile an der Firma hält, und ist Leiter für Unternehmensangelegenheiten von Netafim. Er erzählt, welche Folgen die Entwicklung hatte. Das in Israel geschaffene Komitee zur besseren Wassernutzung subventioniert Bauern, die in effizien­tere Bewässerung investieren. Heute gebe es in Israel keine Bewässerung durch Überflutung der Felder mehr, berichtet Barak. Weltweit würden nur 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche künstlich bewässert, wobei auf diesen 20 Prozent der Flächen 40 Prozent der gesamten Nahrung ­produziert würden, so Barak. 80 Prozent dieser Bewässerung geschehe mittels Überflutung, 15 Prozent mittels Beregnungsanlagen und nur fünf Prozent mittels Tröpfchenbewässerung – wobei letztere die effektivste Methode sei. In Israel würden hingegen 85 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ­bewässert, davon 85 Prozent mittels Tröpfchenbewässerung.

Trotz des Einsatzes von deutlich ­weniger Wasser und Dünger könnten damit weitaus höhere Erträge erzielt werden, so Barak. Die Bewässerungssysteme von Netafim nutzten modernste Technologie. Digital farming mit Hilfe von Sensoren und Informationsnetzen erlaube es den Bauern, Entscheidungen in Echtzeit zu treffen, Wasser und Dünger gezielt und effizient einzusetzen. Wenn die Infrastruktur stehe, sei der Einsatz des Systems auch ohne Stromanschluss, etwa mittels ­Solarpaneelen, und Internetzugang möglich, da es auch mit Radiowellen ­arbeiten könne.

Wie Bromberg ist auch Barak davon überzeugt, dass internationale Kooperation für die Wassersicherheit unerlässlich ist. Immer mehr Länder sind wegen des Klimawandels von Wassermangel betroffen. Netafim sei selbst in Ländern tätig, mit denen Israel keine diplomatischen Beziehungen pflege, so ­Barak: »Wir haben kein Problem, darüber zu reden, aber die schon.« Doch alle diese Länder »verstehen, welchen großen Nutzen die Tröpfchenbewässerung hat und setzen dies um«, so Barak weiter.

Falls man sich in der Region beim Thema Wasser auf eine Lösung zubewege, zeige das, dass auch bei anderen final status issues pragmatische Lösungen möglich seien, hofft Bromberg.