Die Kunstszene Jerusalems

Den Aktionsradius erweitern

In Jerusalem nehmen die Spannungen zu. Die Kunstszene in der Barbur Gallery und im HaMiffal versucht, dem engegenzuwirken.

Das unscheinbare Häuschen steht im beschaulichen Viertel hinter dem Mahane Yehuda Markt, davor ein kleiner Garten, junge Leute, Bier, Musik und angeregte Gespräche: Szenerie in einem Jerusalemer Raum für freie Kunst, der Barbur Gallery. »Wir ver­suchen, die Nachbarschaft zu beleben und einen Ort zu schaffen, an dem alle willkommen sind«, sagt Abraham Kritzman, ein Mittdreißiger. Er ist selbst Künstler und einer der vier Betreiber der Galerie. »Und wir wollen ein Raum von Künstlern für Künstler sein.«

 »Kunst macht in der gegenwärtigen Situation in Jerusalem Dinge möglich, die unter anderem Label so nicht stattfinden könnten.«

Das Leben wird für Kulturschaffende in Jerusalem immer schwieriger. Die Szene ist klein, in der Stadt gibt es nur wenige Galerien. »Die Kunstszene funktioniert hier völlig anders als in Tel Aviv«, sagt Kritzman. »Der Anteil der religiös Orthodoxen in Jerusalem wächst und sie gewinnen immer mehr gesellschaftlichen Einfluss.« In Jerusalem sind rund 37 Prozent der jüdischen Bewohner ultraorthodox, im Landesdurchschnitt sind es zehn Prozent.

Abraham Kritzmann

Abraham Kritzmann im Garten der Barbur Gallery.

Bild:
Irene Eidinger

In der Barbur Gallery können junge, inno­vative Künstlerinnen und Künstler produzieren und ausstellen. Aber der kleine Galerieraum soll anderen Menschen ebenfalls offenstehen, so finden hier auch Filmvorführungen, Nachbarschaftstreffen und Yoga-Kurse statt. »Im Grunde stellen wir einen Raum zu Verfügung. Wie er ­genutzt wird, wollen wir gar nicht so sehr vorgeben«, so Kritzmann. »Wir legen vielmehr Wert darauf, dass die Menschen hier in der Nachbarschaft Kontakte knüpfen und vertiefen. In einer Zeit, in der sich die gesellschaftlichen Gruppen immer mehr von­einander isolieren, ist das ein hochpolitisches Unterfangen.«

Diese Offenheit gefällt nicht allen. Nachdem die Barbur Gallery einen Diskussionsabend mit »Breaking the Silence« organisiert hatte, einer umstrittenen Organisation ehemaliger Soldaten, die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik übt, hat die Stadtverwaltung der Galerie die ­Fördergelder gestrichen. Seither finanziert sie sich nur noch durch Spenden. »Das ist eine Verletzung der Meinungsfreiheit«, sagt Kritzmann. »Wir wollen hier ganz unterschiedlichen politischen Meinungen Raum geben, auch wenn sie unbequem sind und wir sie nicht unbedingt teilen. Hier wird Kulturförderung an die ­Loyalität gegenüber dem Staat geknüpft.«

Die Kulturministerin Miri Regev wollte im vergangenen Jahr ein ­Gesetz auf den Weg bringen, das vorsah, öffentliche Gelder nur noch an staatstreue Kulturprojekte zu ver­geben. Der umstrittene Gesetzentwurf ist vorerst gestoppt und die Barbur Gallery ist mittlerweile gegen die Jerusalemer Stadtverwaltung vor Gericht gezogen, um Fördergelder einzuklagen.

 

Auch das HaMiffal (»Die Fabrik«) will ein kultureller Treffpunkt und Raum für den Austausch sein. Das Projekthaus beherbergt Ateliers, Werkstätten, eine Bühne, einen Veranstaltungsraum sowie eine kleine Bar. Das alte Gebäude wurde 2015 von der Gruppe Bait Rek (»unbewohntes Haus«) besetzt. Bait Rek ist ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern, die sich im Zuge der Proteste gegen die hohen Mietpreise und Lebenshaltungskosten 2011 in Israel gegründet hat. Die Gruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, leer stehende Häuser zu ­besetzen und nutzbar zu machen. »Jerusalem ist mit der renommierten Bezalel Academy of Arts and Design ein kreatives Zentrum in Israel«, sagt Karin Katz, eine der Betreiberinnen des HaMiffal. »Allerdings verlassen die meisten Leute die Stadt wieder, sobald sie ihr Studium abgeschlossen haben.« Es gebe in Jerusalem kaum Arbeitsräume, Ausstellungsmöglichkeiten und Fördergelder. »Junge Künstler und Künstlerinnen können sich in der Stadt nicht etablieren«, so Katz.

Luft zum Atmen in dem strengreligiösen Jerusalem: das HaMiffal.

Bild:
Andreas Kleemann

Die Stadtverwaltung hat zwar die Fördermittel für Kultur in den vergangenen Jahre erhöht, finanziert werden damit aber vor allem Groß­events wie etwa die spektakuläre Licht- und Soundshow »Sound and Light at the Citadel«. Trotzdem gelang es der Gruppe seit ihrer Legalisierung im Jahr 2015, Gelder aus den Fördertöpfen der Stadt zu erhalten. Damit einher gingen Professionalisierung und Institutionalisierung. Die Subvention ist an einen Leistungsauftrag gebunden, pro Jahr müssen 150 Veranstaltungen ausgerichtet werden. Das Angebot ist kostenlos und reicht von Poetry Slams mit betrunkenen Dichtern, Ausstellungen, Performances, Filmvorführungen, Konzerten und Partys über Diskussionsreihen bis hin zu Vorträgen und Lesungen.

»Die Stadt ist aufgrund der religiösen und politischen Verhältnisse ein Ort voller Spannungen, die sich unter der Regierung Netanyahu noch ­verschärft haben. Für junge säkulare Menschen mittlerweile ein schwieriges Pflaster«, sagt Kathrin Katz. Das HaMiffal soll ein Gegenpol sein, ein Begegnungsort, der Knowhow, Werkzeuge und Räume zur Verfügung stellt. All das sei anderswo in der Stadt nur schwer zu finden. »Wir wollen ein Ort sein, der für alle zugänglich ist.« Eine dezidiert politische Haltung wird nicht formuliert, man versteht sich aber durchaus als politischer Ort. »Kunst macht in der gegenwärtigen Situation in Jerusalem Dinge möglich, die unter anderem Label so nicht stattfinden könnten.«

Das HaMiffal bietet für alle kreativen Bedürfnisse das richtige Werkzeug.

Bild:
Andreas Kleemann

Ein Filmabend, der den palästinensisch-israelischen Konflikt betrachtet, eine Party während der Gaypride, ein Fest anlässlich einer landesweiten Kampagne gegen sexuelle Belästigung im Nachtleben. »Natürlich ist alles, was wir hier machen, politisch«, so Katz. »Es ist hier eben ein Statement, wenn auf unserer Bühne ein in goldenen Glitzer getauchter, nackter schwuler Mann performt.« Das HaMiffal will kein Nischenort sein. »Perpektivisch wollen wir größer werden und mehr Publikum anziehen. Die Arbeiten, die hier entstehen, sollen in einem professionellen Rahmen auch vor Ort verkauft werden.«

Derzeit bauen die Bertreiber und Betreiberinnnen den zweiten Stock des Gebäudes aus, um mehr Raum zu schaffen. Die bestehende Künstlerresidenzen sollen ausgeweitet werden, neue Ausstellungs- und Veranstaltungsräume werden gebaut. Auf die Frage, was der Ausbau aus dem Ort in Zukunft machen wird, zuckt Karine Katz mit den Schultern. »Was aus dem HaMiffal wird, wenn wir zukünftig ständig Hunderte von Besuchern hier haben, wissen wir noch nicht. Und es bleibt abzuwarten, ob das überhaupt passiert.«