Bernhard Torsch berichtet über den Stand der Ibiza-Affäre

Watschen und Videos

Wenige Tage vor der Nationalratswahl am 29. September sind Österreichs Rechtsextreme verhalten optimistisch. Die jüngsten Umfragen zeigen, dass die Ibiza-Affäre der FPÖ nur wenig geschadet hat; sie könnte den Sozialdemokraten Platz zwei streitig machen.

Am sogenannten Ibiza-Video zerbrach im Frühjahr Österreichs Regierung aus ÖVP und FPÖ. Bei den anstehenden Nationalratswahlen sieht es für die FPÖ dennoch nicht schlecht aus. Wie es möglich ist, dass eine Partei, deren Vorsitzender vor laufenden Kameras Korruptionsbereitschaft signalisierte und, der Selbstdarstellung der FPÖler als »Patrioten« völlig entgegenlaufend, sogar österreichische Baufirmen zugunsten der russischen Konkurrenz benachteiligen und österreichisches Trinkwasserrechte an russische Investoren verkaufen wollte, nicht abstürzt, sondern in Umfragen stabil bei circa 20 Prozent liegt, ist eine Frage, die sich nicht allein politikwissenschaftlich beantworten lässt.

Die Sozialdemokraten, die bislang weder vom Ibiza-Skandal noch vom Platzen der ÖVP-FPÖ-Regierung profitieren konnten, bekommen bei ihren Bemühungen, mit der Bevölkerung in direkten Kontakt zu treten, eine vage Vorstellung davon, was in den Köpfen jener Wählerinnen und Wähler vorgeht, die den Rechtsextremen die Treue halten. Wie viele andere Funktionäre geht derzeit auch die Klagenfurter SPÖ-Gemeinderätin Michaela Ambrozy täglich von Tür zu Tür, um für ihre Partei zu werben. Mehr als einmal bekam die verblüffte Lokalpolitikerin zu hören, sie solle verschwinden, denn: »Ihr Roten seid schuld an Ibiza.«

Von Anfang an fuhr die FPÖ die Verteidigungsstrategie, alle anderen seien schuld, nur nicht Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, also die beiden rechten Politiker, die zu unfreiwilligen Darstellern des entlarvenden Ibiza-Videos wurden. Auf dem Parteitag in Graz am 14. September, auf dem der frühere Infrastrukturminister und erfolglose Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer zum neuen Bundesparteiobmann der FPÖ gekürt wurde, sagte dieser, er hoffe, dass Strache »in seiner Familie die Kraft findet, um gestärkt zurückzukommen«. Strache sei auf Ibiza eine »böse Falle« gestellt worden. Hofer mutmaßte, er sei Opfer von »Kriminellen und Gaunern« geworden und auch von der »Ost-Mafia« sei die Rede.

 

Die Strategie der FPÖ, nicht den Inhalt des Videos zu skandalisieren, sondern die Umstände von dessen Zustandekommen, geht auch deswegen teilweise auf, da etliche Medien dabei mitspielen. Schlagzeilen wie »Wer steckt hinter dem Ibiza-Video« oder »Wer lockte Strache in die Falle« waren häufiger zu lesen als solche, die sich auf den skandalösen Inhalt des Videos bezogen. Das machte es der FPÖ leicht, über die sozialen Medien Verschwörungstheorien zu verbreiten und in die in Österreich beliebte Opferrolle zu schlüpfen. Nebenbei versuchten die Freiheitlichen und ihre Sympathisanten vor allem auf Facebook und Twitter, den Skandal herunterzuspielen, indem sie das Grundgefühl vieler rechter Wählerinnen und Wähler bestärken, es seien »eh alle Politiker so«. Offene Bereitschaft zur Korruption sei daher nichts Außergewöhnliches.

Auftrieb bekommen die Freiheitlichen in den letzten Wochen des Wahlkampfs durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Wien. Die beschloss vor wenigen Tagen, gegen Gudenus und Strache kein Verfahren zu eröffnen, da kein Anfangsverdacht bestehe. Die beiden hätten, so die Argumentation der Staatsanwälte, ­weder Korruption begangen noch eine staatsfeindliche Verbindung gegründet, da sie zum Zeitpunkt der Erstellung des Videos »keine Amtsträger« gewesen seien, also keine Staatsaufträge vergeben konnten. Die bloße Ankündigung, im Falle einer Regierungsbeteiligung korrupt zu sein, sei »nach geltender Gesetzeslage nicht strafbar«, so der Beschluss der Staatsanwaltschaft. Die Strafverfolger ermitteln aber weiter wegen Untreue. Strache hatte sich im ­Video damit gebrüstet, Millionenspenden am Rechnungshof vorbeigeschleust zu haben.
Auch die Nachforschungen in Sachen Casinos Austria laufen weiter. Es besteht der Verdacht, die FPÖ habe dem Glückspielkonzern Novomatic versprochen, diesem im Gegenzug für die Berufung eines FPÖ-Politikers in den Vorstand des Unternehmens Lizenzen für den Casino-Betrieb zu erteilen.

Der frühere Innenminister Herbert Kickl drohte politischen Gegnern mit »einem rechten Haken oder einer Geraden«.

Anfang September ist die Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel als Rednerin bei einem Fackelmarsch der Identitären in Wien aufgetreten. Was treiben Strache und Gudenus, während ihre Partei immer neue Skandale produziert? Gudenus soll im Wiener Hotel Marriott in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen sein. Dort soll er sich nach Angaben des Standard mit dem russischen Investor Andrej Kotschetkow getroffen haben, gegen den wegen eines angeblich von ihm erteilten Mordauftrags ermittelt wird. Kotschetkow ist Mehrheitseigner eines burgenländischen Mineralwasserproduzenten, den ein bulgarisches Konsortium übernehmen will. Im Mariott soll Herbert A., ein Vertreter der Bulgaren, an den Tisch getreten sein und Gudenus wegen unüberbrückbarer geschäftlicher Differenzen geohrfeigt haben. Alle Beteiligten bestreiten alles, nur die Ohrfeige nicht.

Strache geht es inzwischen ruhiger an und hält sich, zumindest soweit bekannt ist, von echten oder auch falschen osteuropäischen Oligarchen ebenso fern wie von der Öffentlichkeit. Letzteres nicht ganz freiwillig: Die FPÖ nahm ihm seinen Facebook-Account mit 800 000 Fans weg und entzog ihm die Rechte für die Seite. Er darf zwar noch posten, aber nur, nachdem die Partei das Posting zuvor ab­gesegnet hat. Der nunmehr arbeitslose ehemalige FPÖ-Vorsitzende verbringt viel Zeit mit seiner Ehefrau Philippa Strache, die ihm die Treue hält, obwohl er im Ibiza-Video betont hatte, wie »schoaf« (sexuell attraktiv) er die vermeintliche russische Oligarchen-Nichte finde.

 

Die zur Tierschutzbeauftragen der FPÖ beförderte 32jährige versicherte kurz nach der Veröffentlichung des Videos, ihr 50jähriger »Heinzi« sei »arglos wie ein junger Welpe«. Philippa Strache tritt bei den Wahlen auf Platz drei der Wiener Liste für die FPÖ an und kann sicher mit einem Mandat rechnen. Hinter den Kulissen soll ihr Ehemann bereits an einem Comeback arbeiten. Er will, so pfeifen es die Spatzen von den Dächern, Bürgermeister von Wien werden.

Im Wahlkampfendspurt zeigt sich die FPÖ derweil wieder so, wie man sie kennt: rabiat und extrem. Der frühere Innenminister Herbert Kickl drohte während des Parteitags politischen Gegnern mit »einem rechten Haken oder einer Geraden«. Unter dem Jubel der Delegierten verleumdete er Asylbewerber pauschal als Vergewaltiger und als »aggressiv«. Die ÖVP hatte zuvor verlautbaren lassen, mit der FPÖ gerne wieder koalieren zu wollen, allerdings nur ohne Herbert Kickl als Minister. Aus FPÖ-Kreisen ist dazu inoffiziell zu vernehmen, solange »der Herbert gut versorgt« werde, stehe so einem Arrangement nichts im Wege. Für die ÖVP funktioniert das vermeintliche Gegensatzpaar Kickl/Hofer auch im Wahlkampf gut. »Das freundliche Gesicht von Norbert Hofer hier ist etwas ganz anderes als die Untergriffe von Kickl«, sagte Sebastian Kurz vorvergangene Woche im ORF.

Dabei passt ideologisch zwischen Kickl, Strache und Hofer ohnehin kein Blatt. Der ewig lächelnde und stets im Tonfall eines milden Priesters redende Hofer hatte unter anderem ein Vorwort für den weltanschaulichen Leitfaden »Für ein freies Österreich« verfasst. »Jede Organisation verliert in den Augen sowohl männlicher als auch weiblicher Betrachter an Ansehen, je höher der Frauenanteil ist und je bedeutender die von Frauen bekleideten Positionen sind«, heißt es darin etwa, und: »Der vom Thron des Familienvaters gestoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, die trotz hipper Den-Mädels-gehört-die-Welt-Journale in häuslichen Kategorien zu denken imstande ist, deren Brut­pflegetrieb auferlegte Selbstverwirklichungsambitionen überragt.« Dass Hofer in dem Machwerk, das sich liest, als wäre es bei einem maskulinistischen Gruppentreffen verfasst worden, auch noch anregt, die Bevölkerung in armen Staaten gewaltsam an der Fortpflanzung zu hindern, interessiert in Österreich nur wenige. Am wenigsten Sebastian Kurz und dessen ÖVP.