HIV-Prävention wird zur Kassenleistung

Angstfrei vögeln

Sich vor einer HIV-Infektion zu schützen, wird in Deutschland zur Kassenleistung. Die Debatte über das entsprechende Medikament ist moralisch aufgeladen.

Erst Schwulenrechtler und schließlich auch Aidshilfegruppen haben lange dafür gestritten. Nun ist es so weit, die Präexpositionsprophylaxe (Prep) wird zur Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Seit dem 1. September ist für Versicherte die Kostenübernahme für die Versorgung mit einer präventiven HIV-Medikation möglich. Noch bis vor kurzem war Prep als Safer-Sex-Strategie vor allem teuer. Mehrere hundert Euro monatlich kostete die Eigenversorgung mit dem Medikament Truvada, seit zwei Jahren steht ein deutlich billige­res Generikum mit den beiden Wirkstoffen Emtricitabin und Tenofovir zur Verfügung.

Anspruch auf dieses Medikament als Kassenleistung haben Menschen aus sogenannten Hochrisikogruppen. Das trifft vor allem auf HIV-negative homo- und bisexuelle Männer zu, die kondomlosen Analverkehr hatten, haben oder haben wollen. Auch für sogenannte serodiskordante Paare, bei denen eine Person HIV-negativ und die andere HIV-positiv ist, für drogeninjizierende Personen und für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter kommt eine Behandlung als Kassenleistung in Frage. Als Einnahmeschema wird empfohlen, eine Tablette täglich entweder durchgehend oder anlassbezogen an mehreren Tagen vor und nach dem Sex einzunehmen.

Die in den USA, Australien und Großbritannien bereits seit einigen Jahren verwendete Schutzmaßnahme hat in Großstädten die Anzahl der HIV-Neu­infektionen bei Schwulen und Bisexuellen nachweislich stark gesenkt. Die Prep gilt, bei richtiger Anwendung, medizinisch untermauert, als wirksame und sinnvolle Ergänzung der Möglichkeiten für Angehörige von Risikogruppen, sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Die Nebenwirkungen sind bei der großen Mehrheit der Benutzer schwach oder klingen zügig ab.

Prep ist ein Ergebnis der anhaltenden biomedizinischen Fortschritte in der ­Bekämpfung von HIV, das sich von einer vormals im Krankheitsbild Aids zumeist tödlichen Erkrankung zu ­einer bislang zwar unheilbaren, aber medizinisch gut kontrollierbaren chronischen Infektion entwickelt hat. HIV ist bei Zugang zu konstanter Behandlung kein Todesurteil mehr. Die antiretrovirale Behandlung mit HIV-Medikamenten senkt bei HIV-positiven Menschen in der Regel konstant die Viruslast so stark, dass sie nicht mehr ansteckend sind. Die Postexpositionsprophylaxe (PEP) reduziert bei zügigem Beginn einer vierwöchigen Behandlung nach einem möglicherweise infektiösen Kontakt, die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit dem ohnehin nur schwer übertragbaren HI-Virus. Weiterhin liefern Kondome bei fehlerfreier Anwendung sicheren Schutz.

Gerade am Gebrauch von Präservativen entbrennt unter Schwulen und Fachleuten teils heftiger Streit. Der Sexualmediziner und Psychoanalytiker Stefan Nagel verweist darauf, dass sich der Kondomgebrauch sexualmoralisch zum Gradmesser für als richtig geltende Sexualität entwickelt habe. Hinreichend bekannt ist aber die Unzufriedenheit vieler Menschen mit der Benutzung von Kondomen beim Sex. Während die Präventionskampagnen staatlicher Gesundheitspolitik dem sexuellen Treiben vor allem ein »Mach’s mit!« diktieren, bereitet den meisten Menschen Sex ohne Kondom – unabhängig von einer Prep-Einnahme – in der Regel mehr Freude.

Den meisten Menschen bereitet Sex ohne Kondom – unabhängig von einer Prep-Einahme – in der Regel mehr Freude.

Es gibt eine Vielzahl von individuellen Strategien zum Umgang mit Infektionsrisiken. Menschen verzichten gänzlich auf Sex oder auf bestimmte Sexpraktiken wie Analverkehr; sie vermeiden Kontakt zu Sperma und anderen Körperflüssigkeiten; sie entscheiden strategisch und nicht anhand ihrer Lust, ob sie bei penetrativem Sex aktiv oder passiv sind; sie betreiben serosorting, also die Auswahl von Sexualpartnern nach HIV-Status, vertrauen auf ihre Einschätzung des Status ihres Sexualpartners oder sie haben nur Sex mit Männern, die HIV-positiv und nicht ansteckend sind. Nicht zuletzt entscheidet sich manch einer für barebacking (Penet­ration ohne Kondom) oder auch für das bugchasing, also die willentli­che Verabredung zu ungeschütztem Sex mit einem oder vielen HIV-positiven Sexualpartnern mit dem Wunsch oder Ziel, sich ebenfalls zu infizieren. Ein im ersten Moment für viele erschreckender Umstand, der bei genauerer Betrachtung aber auch die Möglichkeit zur stressfreieren sexuellen Zusammenkunft HIV-Positiver bietet.

 

Im Zusammenhang mit der Prep und Sex ohne Kondom wird nun intensiv über sexuell übertragbare Infektionen (STI) wie Syphilis, Gonorrhöe und Chlamydien diskutiert. Fakt ist, dass die gemeldeten Infektionszahlen steigen, unklar und vielschichtig sind jedoch die Gründe hierfür. Ob die Infektionen mit STI durch die vermehrte Verwendung der Prep in Kombination mit Sex ohne Kondom steigen oder langfristig durch die in der Prep-Behandlung ärztlich vorgesehenen regelmä­ßigen Tests sinken, da Infektionsketten unterbrochen werden, ist derzeit unklar. Manche Prep-Befürworter formulieren in diesen Zusammenhang, es sei nicht die Frage, ob, sondern vielmehr wann man eine STI bekomme und ob dieser Umstand wiederum lustvoll billigend in Kauf genommen werde. Zugleich mehren sich die Hinweise auf antibiotikaresistente Erreger. Fachärzte für sexuell übertragbare Krankheiten beobachten mit Sorge, wie die Anzahl von antibiotischen Behandlungen bei sexuell sehr aktiven Männern steigt. Ein gänzlicher Schutz vor der Ansteckung mit einer STI, ob mit Kondom oder ohne, ist jedoch – ohne ­gravierende Eingriffe in das Sexualleben – tatsächlich nahezu unmöglich.

In der schwulen Szene sehen sich Prep-Nutzer mit dem häufig auffallend feindselig vorgetragenen Vorwurf konfrontiert, verantwortungslos sexuell übertragbare Infektionen zu verbreiten. In sozialen Medien wird derweil von »Prep-Schlampen« gesprochen. Viele sogenannte Prepster betonen den Genuss, der, ohne die Gefahr einer Ansteckung mit HIV, mit angstfreierem, gelösterem Sex einhergeht. Auf der Homepage prepjetzt.de wird berichtet, wie befreiend es sei, sich der Last einer drohenden HIV-Infektion, der Schuldgefühle wegen den eigenen sexuellen Handlungen und Entscheidungen zu entledigen. Ob das bloße Behauptungen und Schuld und Scham weiterhin wirksam sind, bleibt dabei fraglich. Mit Blick auf HIV-positive Schwule lässt sich innerhalb der schwulen Szene und auf Dating-Portalen bereits eine gegenläufige Entwicklung feststellen. Sie verheimlichen vermehrt ihre HIV-Infektion und erklären sich zu Prep-Nutzern, um den Vorbehalten gegen HIV-Positive aus dem Weg zu gehen.

Durch die Prep besteht – in einem kleinen Teil der Welt – die Möglichkeit, mehr oder auch bereicherten, entspannteren oder selbstbestimmteren Sex zu haben und zu genießen. Es zeigt sich aber in den Debatten über die Prep auch eine gewisse Tragik schwuler Sexualität: Sie kreist weiterhin um die Prävention und Schwule sind dabei oftmals derartig mit ihrer, gleich welcher, Schutzstrategie identifiziert, dass sie gar nicht merken, wie sehr sie ihre Sexualität, sich selbst und andere disziplinieren.