Landtagswahl in Thüringen

Der lahmende Vorreiter

Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen hat weder den Verfassungsschutz abgeschafft noch die Lebensbedingungen von Geflüchteten verbessert. Nach der kommenden Landtagswahl kann das Mitte-links-Bündnis wohl nur noch auf eine Minderheitsregierung hoffen.

»Thüringen gemeinsam voranbringen – demokratisch, sozial und ökologisch.« Mit dieser für den Koalitionsvertrag titelgebenden Zielsetzung nahm vor knapp fünf Jahren die bundesweit erste und bislang einzige Landesregierung unter Führung eines Ministerpräsidenten der Linkspartei ihre Arbeit auf. Die an der von Bodo Ramelow ­geführten rot-rot-grünen Koalition beteiligte SPD bilanziert die Regierungsjahre positiv. Man habe mehr als 4 000 neue Stellen für Lehrerinnen und Lehrer geschaffen, die Investitionen in Universitäten und Fachhochschulen kontinuierlich erhöht und mit einem Bürgerbeteiligungsgesetz die politische Partizipation auf kommunaler Ebene erleichtert, führt eine von der Partei veröffentlichte Broschüre an.

Alle Vertrauenspersonen des Thüringer Verfassungsschutzes wurden deaktiviert und dessen Kontrolle durch das Parlament wurde verbessert. 

Die Landesregierung konnte eine große Zahl der im Koalitionsvertrag vereinbarten Gesetzesvorhaben verwirklichen. Im Dezember vergangenen Jahres verabschiedeten Linkspartei, SPD und Grüne als erste ostdeutsche Regierungskoalition ein Klimaschutzgesetz. Diesem zufolge soll Thüringen seinen Energiebedarf bis 2040 komplett aus erneuerbaren Energien decken und seine Treibhausgasemissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 95 Prozent reduzieren.

Als Vorzeigeprojekt betrachtet die Landesregierung auch die Einführung eines beitragsfreien Kitajahres, für das sie mit der Internetseite das-beitragsfreie-kitajahr.de wirbt. Seit Januar vergangenen Jahres ist das letzte Betreuungsjahr vor der Einschulung kostenlos. Familien sparen so nach Angaben der Landesregierung durchschnittlich 1 440 Euro pro Kind. Finanziert wird das unter anderem mit Geldern, die durch die Abschaffung des Landeserziehungsgelds freiwurden. Dieses förderte Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuten, einkommensunabhängig für maximal zwei Jahre mit bis zu 300 Euro pro Monat. Vergangenen Monat ließ die Regierung beschließen, dass ab dem kommenden Jahr auch das vorletzte Kindergartenjahr vor der Einschulung beitragsfrei werden soll. Das soll aus den 142 Millionen Euro finanziert werden, die der Bund Thüringen bis 2022 gemäß dem im Januar in Kraft getretenen »Gute-Kita-Gesetz« zukommen lassen wird.

Als progressiv erschien die Landesregierung manchem bereits, als sie nur wenige Tage nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2014 einen generellen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus 15 Herkunftsländern beschloss. Dieser galt bis Ende März 2015. Danach ließ die Landesregierung keinen solchen generellen »Winterabschiebestopp« mehr beschließen. Seither können zu vollziehende Abschiebungen im Winter nur noch ausgesetzt werden, wenn eine Einzelfallprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Abschiebung wegen der Witterungsbedingungen im Herkunftsland und einer besonderen Schutzbedürftigkeit nicht zumutbar ist. Ramelow hatte dies im Winter 2015 mit einer gestiegenen Zahl ausreisepflichtiger Flüchtlinge in Thüringen begründet. Der Thüringer Allgemeinen sagte er damals: »Den Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, muss dies auch klargemacht werden.« Eine 2016 veröffentlichte Resolution für einen generellen Winterabschiebestopp unterzeichneten neben dem Thüringer Flüchtlingsrat und Initiativen wie der Refugee Law Clinic Jena auch die Jugendverbände und die flüchtlingspolitischen Sprecherinnen der Regierungsparteien.

 

Für eine Kontroverse innerhalb der Koalition sorgte die Reform des Thüringer Verfassungsschutzes, mit der Konsequenzen aus den Erkenntnissen der NSU-Untersuchungsausschüsse gezogen werden sollten. Die Reform blieb hinter manchen Erwartungen zurück. So wurden zwar alle aktiven Vertrauenspersonen des Verfassungsschutzes deaktiviert und dessen Kontrolle durch das Parlament wurde verbessert. V-Leute dürfen seither nur noch in begründeten Einzelfällen zum Zweck der Terrorismusbekämpfung eingesetzt ­werden. Abgeschafft wurde die Behörde aber nicht. Abgeordnete der Linkspartei hatten dies wiederholt gefordert. »Eine intransparent und geheim operierende Behörde gehört nicht in die Demokratie«, sagte Susanne Hennig-Wellsow, die Landes- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer Linkspartei, einem Bericht der Thüringer Allgemeinen zufolge 2016 auf einem Parteitag in Eisenberg. Gegen eine Abschaffung der Behörde sprach sich vor allem die SPD aus. Im August vergangenen Jahres forderte Georg Maier, der sozialdemokratische Innenminister des Freitaats, mehr Personal für die Behörde.

Eine von der Landesregierung angestrebte Gebietsreform scheiterte. Wegen des Bevölkerungsrückgangs in vielen ländlichen Regionen sollte die Reform die 17 Landkreise des Bundeslands in acht Kreisen zusammenfassen. 1990 lebten noch 2,6 Millionen Menschen in Thüringen. Mittlerweile sind es nur noch 2,2 Millionen. Sinkt die Bevölkerungszahl in einem Landkreis, nimmt dieser weniger Steuern ein. ­Zudem erhält der Kreis weniger Zuwendungen vom Bund und der EU. Würden die Landkreise zusammengelegt, fiele der finanzielle Verlust geringer aus, da jeder einzelne Kreis mehr Einwohner hätte. Doch zahlreiche Landräte protestierten gegen die Reform. Der Verein »Selbstverwaltung für Thüringen« begann ein Volksbegehren ­gegen sie. Nachdem das von der oppositionellen CDU angerufene Landesverfassungsgericht in Weimar die Gebietsreform aufgrund eines Formfehlers für verfassungswidrig erklärt hatte, ließ die Landesregierung das Vorhaben fallen.

Manche in der Linkspartei organisierte Strömungen wie die »Antikapitalistische Linke« (AKL) sprechen sich gegen eine Neuauflage der rot-rot-grünen Koalition aus, da »angeblich ›realpolitische‹ Handwerkelei im vorgegebenen Rahmen keine ausreichende linke Perspektive« biete, wie es in einer im September veröffentlichten Stellungnahme der AKL heißt. Ramelow möchte die Koalition hingegen fortsetzen. Auch die Regierungsparteien streben dies offenbar an. Im Juni beschlossen sie schließlich ein Gesetz für den Landeshaushalt des kommenden Jahres.
Dass die drei Parteien gemeinsam erneut genug Stimmen für eine absolute Mehrheit erhalten werden, ist allerdings unwahrscheinlich. Einer Ende vergangenen Monats publizierten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa zufolge könnte die Linkspartei bei der bevorstehenden Wahl 29 Prozent der Stimmen erhalten und damit ihr Ergebnis von 2014 um einen Prozentpunkt verbessern. SPD und Grüne sollen dieser Umfrage zufolge aber nur jeweils neun Prozent erzielen, die Oppositionsparteien CDU und AfD zusammen genauso viele Stimmen auf sich vereinen wie die drei Regierungsparteien. Wenn die FPD, die den meisten Umfragen zur Landtagswahl zufolge etwa fünf Prozent der Stimmen erhalten dürfte, in den Landtag einziehen sollte, könnten Linkspartei, SPD und Grüne wohl nur noch eine Minderheitsregierung bilden. Bislang verfügt die Koalition über eine Mehrheit von nur einer Stimme im Landtag.

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck plädierte angesichts dessen, dass die Bildung einer Mehrheitsregierung schwierig werden dürfte, für Gespräche zwischen CDU und Linkspartei nach der Wahl. Am 3. Oktober sagte Gauck in einem Interview mit dem Fernsehsender N-TV: »Ich muss doch imstande sein, einen Hardcore-Kommunisten, der Mitglied in der ›Linken‹ ist, zu unterscheiden von einem Ministerpräsidenten, der aus der gewerkschaftlichen Tradition stammt und der doch gezeigt hat, dass er mit einem ­linken Profil dieser Gesellschaft nicht schadet.« Einem Bericht des MDR zufolge schließt die CDU eine Koalition mit der Linkspartei allerdings kategorisch aus, weil diese eine »in weiten Teilen radikale Partei« sei, wie Raymond Walk, der Generalsekretär der Thüringer CDU, dem Sender sagte.