Das neue Album der Swans

Vergessen, Verschwinden, Verstecken

Das neue Album der Swans ist ein melancholischer Brocken, an dem gleich 26 Musiker mitgearbeitet haben.

Und dann kommt der Moment, in dem Michael Gira alles auf die Essenz des Ganzen ­reduziert. Der Song »Amnesia« mäandert da in seinen d- und a-Moll-Gitarrenakkorden schon vier Minuten vor sich hin, die schwedische Dark-Ambient-Queen Anna von Hausswolff singt mit ihrer Schwester Maria liturgisch anmutende »Uuuh«- und »Aah«-Chöre, und Sänger Gira nimmt zunächst mit tiefer, monotoner Stimme eine Gegenwartsdiagnose in vier Versen vor: »Sex is a void filled with plastic / The Presi­dent’s mouth is a whore / When there’s murder the audience roars (…) And everything human’s necessarily … «

»Leaving Meaning« kommt nicht so laut, wuchtig und wummernd daher wie die vorherigen Alben, es ist eine Platte zwischen Folk, choraler Musik und Experimenten geworden.

Es folgen zwei Takte Kunstpause. Gira hält inne, die zuvor angedeutete Leere wird nun übersetzt in Musik, dann wiederholt er immer wieder das Wort »wrong«. »Wrong, wrong, wrong.« Alles Menschliche ist zwangsläufig falsch. Im Hintergrund hört man Gekicher, Gegacker, Gelächter. Hysterisch geht die Welt zugrunde.

Mit diesem vierten Song ist man endgültig angekommen im 15. Studioalbum der Swans, das den Titel »Leaving Meaning« trägt. Seit der Wiedergründung der 1997 aufgelösten Band im Jahr 2010 ist es ihr fünftes Album und das wohl schwierigste seit der Neuformierung. Denn mit der Trilogie »The Seer« (2012), »To Be Kind« (2014) und »The Glowing Man« (2016) haben die Swans eines der erstaunlichsten Comebacks der vergangenen Jahre hingelegt: drei epische und erhabene Postrock-Opern, sechs Stunden Musik, ohne – oder fast ohne – eine einzige überflüssige Minute.

Die Swans sind ein lebendiges Stück Independent-Kulturerbe. Die Band gründete sich 1982 in New York City. Michael Gira, heute 65jähriger Underground-Cowboy, oft mit Krempenhut unterwegs, ist das einzige stän­dige Mitglied der Gruppe.

Von Umbrüchen und Neuorientierungen war schon die Frühphase der Band geprägt: In den ersten Jahren waren sie Heroen des No Wave und Noise, mit Alben wie »Filth« (1983) und »Cop« (1984) schafften sie es auf ganz großartige Weise, eine Brücke vom Punk von Black Flag zum Metal der frühen Helmet zu schlagen. Das Dazustoßen der Sängerin Jarboe Devereaux läutete eine weitaus sphärischere Indie-Phase ein, die schließlich zu einem missglückten Major-Deal (»The Burning World«, 1989) führte. Mitte der Neunziger kehrte die Band dann mit »The Great Annihilator« in Hochform zurück. In der Zwischenzeit hatte Gira sein eigenes Label Young Gods Records gegründet.

 

Nach der jüngsten Trilogie hatte Gira offenbar das Gefühl, die Richtung wieder einmal ändern zu müssen. Dafür hat er zunächst die Besetzung der Band ein wenig modifiziert. Für »Leaving Meaning« stellte er eine Art Allstar-Team der experimentellen (Pop-)Musik zusammen, zu dem neben Anna von Hausswolff auch das US-World-Folk-Duo A Hawk and a Hacksaw und das australische Improv-Trio The Necks gehören. Daneben sind Stammspieler wie der Bassist Christopher Pravdica, der Multiinstrumentalist Thor Harris und der Gitarrist Kristof Hahn dabei, die bereits bei jüngeren Inkarnationen der Swans oder bei Giras Interimsband Angels of Light mitwirkten. Insgesamt würde das Albumpersonal für zwei Fußballmannschaften reichen – inklusive Ersatzspieler: 26 Musikerinnen und Musiker waren an den Aufnahmen beteiligt.

Bild:
Jennifer Gira

»Leaving Meaning« kommt nicht so laut, wuchtig und wummernd daher wie die vorherigen Alben, es ist eine Platte zwischen Folk, choraler Musik und Experimenten geworden, das ebenso klug arrangiert und komponiert ist wie die Vorgängerwerke. Der Rockfaktor ist hörbar runtergeschraubt, der Anteil freier Musik allein durch das Mitwirken von The Necks gestiegen (etwa in »The Nub«).

Das eingangs erwähnte »Amnesia« bildet mitsamt dem Titelstück »Leaving Meaning« (und vielleicht dem darauf folgenden »Sunfucker«) thematisch und inhaltlich gewissermaßen das Herzstück des Albums. Beide Stücke beginnen mit völlig unspektakulären Folk-Akkorden auf dem Klavier und der Gitarre, um dann gleichermaßen zu riesengroßen, Musik gewordenen Melancholieklößen heranzuwachsen. In diesen zentralen Stücken ist »Leaving Meaning« gezeichnet von sich wiederholenden Motiven und Phrasen, sowohl musikalisch als auch textlich. Im Titelstück pocht unermüdlich ein von Piano und Akustikgitarre getragener 3/4-Takt, dazu singt Gira in fast immer gleicher Stimmlage: »I can see it/ut not see it. I can feel it / but not keep it (…) I can be it / But not feel it. I can steal it / but not keep it. I can break it / but not heal it.« Das Erzähler-Ich wird immer wieder von einem »aber« unterbrochen, das Stück kommt zunächst resignativ daher, gegen Ende aber kehrt es sich ins Positive: »Let’s go!« singt Gira da.

 

Das Vergessen, das Verschwinden und das Verstecken beherrschen die Texte auf »Leaving Meaning«, wie der Titel des Songs »Amnesia« schon andeutet, in dem der Verlust der Erinnerung allerdings als etwas Positives beschrieben wird (»To gain control of this feeling: Amnesia (…) / Now you’re sucking from this machine: Amnesia«). Den Zustand der Welt zu ertragen, in der die Luft zum Atmen fehlt, in der das (Durch-)Atmen zu einem obszönen Akt wird (»When you breathe, your breath is obscene«) – das gelingt nur, wenn man einen Moment lang vollständig vergisst, was ist. Denn vor dem Horror der Gegenwart kann man nur kapitulieren, wie Gira in »Sunfucker« immer wieder wiederholt: »Surrender, surrender«. Der Wunsch zu verschwinden, er zeigt sich auch auf den Pressefotos zum Album, auf denen Michael Gira sein Gesicht hinter allen möglichen Gegenständen wie alten Polaroids und einem Nussknacker verbirgt.

Textlich interessant ist noch »The Hanging Man«. Man könnte dieses Stück als Anspielung auf die Vorwürfe gegen Gira lesen, die seine Musikerkollegin Larkin Grimm 2016 erhob. Die Songwriterin sagte damals, Gira habe sie acht Jahre zuvor in einem Produktionsstudio vergewaltigt, Gira wies diese Anschuldigungen gegenüber mehreren Medien scharf zurück. In »The Hanging Man« nun werden nicht nur die Themen Lust und Verurteilung angesprochen, es geht auch um Lüge (»Write it on the sky: these stars reveal the lie«). Wie gesagt: Man kann es so verstehen, aber es könnte sich auch um etwas völlig anderes drehen.

Musikalisch ist das eine Stunde und 33 Minuten lange Album keine völlig Abkehr von dem, was Gira mit den Swans zuvor gemacht hat. Es ist eher eine Reform als eine Revolution ihres Sounds. »Leaving Meaning« ist ruhiger, es erinnert an den folkigen Ansatz eines Mark Lanegan zum Beispiel, es macht – mit The Necks – von Zeit zu Zeitauch einen angenehm improvisierten Schlenker, der für Abwechslung sorgt. Die Grundstimmung ist wesentlich ruhiger als zuletzt, alles wirkt recht stripped down – im Grunde sind die Songs auch sehr schlicht und simpel konstruiert.

Trotzdem ist eine Menge los in den zwölf Stücken, was daran liegt, dass sie reich instrumentiert sind und es manchmal klingt, als hätte Gira viele hauchdünne Soundschichten sorgsam übereinandergestapelt. In seinen besten Momenten klingt das dann wie eine tiefe, melancholische Meditation, eine Sinnsuche, eine in Bewusstseinströme verpackte Reflexion über die Jetztzeit. Und damit wie ein neues, äußerst hörenswertes Kapitel der Swans-Story.

Swans: Leaving Meaning (Mute/PIAS)