Wie die Linkspartei das Club­sterben verhindern will

Bässe unter Schutz

Immer mehr Clubs und Diskotheken müssen in Deutschland schließen. Ein Antrag der Linkspartei soll das »Clubsterben« aufhalten.

»All palaces are temporary palaces« – stand in großen Leuchtbuchstaben im 2015 geschlossenen Berliner Club Stattbad Wedding. Die Installation des Künstlers Robert Montgomery erscheint wie eine Vorhersage. Die Rave-Szene entstand aus der teils illegalen Zwischennutzung leerstehender industrieller Gebäude in den neunziger Jahren. Mittlerweile sind die deutschen Technoclubs renommierte Institutionen und erfolgreiche Geschäftsmodelle, deren Bässe weit über die Landesgrenzen hinaus wummern. Einer Studie der Berliner Clubcommission, einem Verband von Clubbetreibern, zufolge besuchten im vergangenen Jahr drei Millionen Touristen die Hauptstadt alleine wegen ihrer Ausgehlokale und ließen dabei insgesamt 1,48 Milliarden Euro in der Stadt. Die Clubkulturindustrie boomt – aber sie ist auch gefährdet.

Clubs gelten im Baugesetzbuch bis­lang nicht als Kulturbetriebe, sondern als Vergnügungsstätten, wie auch Sexkinos und Spielhallen.

Seit 2010 schlossen dem Statistischen Bundesamt zufolge 350 Diskotheken und Tanzlokale, immerhin 18 Prozent des Gesamtbestands. Allein in Berlin mussten in den vergangenen Jahren neben dem Stattbad Wedding auch Clubs wie Prince Charles, das Chalet und der Farbfernseher schließen. Auch das MMA in München und das So & So in Leipzig schlossen ihre Türen. Zahlreiche weitere Clubs sind akut bedroht. 
Eine gewisse Fluktuation gab es schon immer in der Clubszene, das hatte auch gute Auswirkungen. Die Szene erfand sich ständig neu. Doch mittlerweile ist die Zahl der Nachfolgeclubs klein. In großen Städten wie Berlin genießt man weiterhin eine vielfältiges Clubangebot, anderswo spürt man die Schließungen umso mehr.

Das Clubsterben hat verschiedene Ursachen: steigende Mieten, auslaufende Mietverträge, lärmempfindliche Nachbarn und eine finanziell prekäre Lage gefährden das Nachtleben. Die Linkspartei will deshalb die Clubs schützen. Mit dem im Bundestag eingebrachten Antrag »Clubsterben stoppen« will die Partei die Zukunft der Szene sichern. Ein Problem ist, dass Clubs im Baugesetzbuch bislang nicht als Kulturbetriebe, sondern als Vergnügungsstätten gelten, wie auch Sexkinos und Spielhallen. Das findet die Linkspartei nicht angemessen. Stattdessen sollen Clubs wie Konzertsäle, Opernhäuser und Theater als kulturelle Einrichtungen anerkannt werden.

Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay (Linkspartei) hat den Antrag eingebracht. »Clubs sind Freiräume, in denen man wunderbar tanzen und sich ausleben kann, es sind Räume kultureller Vielfalt und künstlerischer Schöpfung, sie bedeuten für viele ein großes Stück Freiheit. Diese Räume sind zu erhalten und zu fördern, anstatt sie dem Markt zu opfern«, sagt sie der Jungle World. Der Bund könne auf viele Arten tätig werden, sei es im Baurecht, im Mietrecht oder durch Regelungen und Förderung des Lärmschutzes. »Deshalb gehört das Thema unbedingt auf die Tagesordnung des Bundestags«, sagt Lay.

 

Im Antrag sind sogenannte Kulturschutzgebiete vorgesehen. Diese sollen im Baugesetzbuch definiert werden und nicht nur bestehende Clubs vor Verdrängung schützen, sondern auch die Eröffnung neuer Clubs in Innenstädten ermöglichen. Lärmschutzregularien sollen auf Angemessenheit überprüft werden und ein Fonds soll eingerich­tet werden, um Lärmschutzmaßnahmen zu finanzieren. Ein zentraler Aspekt des Antrags ist das Prinzip »agent of change«, das es bereits in London gibt. So sollen Investoren und neue Eigentümer verpflichtet werden, selbst für nötige Lärmschutzbaumaßnahmen zu sorgen, wenn ihre Immobilien in der Nähe bestehender Clubs liegen. Hinzu kommt ein mietrechtlicher Schutz für Gewerbe und kulturelle Einrichtungen. Der Antrag sieht eine Begrenzung von Mieterhöhungen sowie eine Verbesserung des Kündigungsschutzes durch höhere Mindestvertragslaufzeiten und verbindliche Gewerbemietspiegel vor.

Trotz prinzipieller Zustimmung aus der Clubszene gibt es auch Kritik am Antrag der Linkspartei. Denn viele Clubs verstehen sich auch als widerständige subkulturelle Orte. »Es ist, legalistisch betrachtet, absolut überfällig, Clubs als Orte kultureller Entfaltung und Aneignung den sogenannten Spielstätten einer oftmals hochsubventionierten Hochkultur rechtlich gleichzustellen«, sagt eine Sprecherin des Friedrichshainer Clubs About Blank der Jungle World. »Zugleich ist die Vorstellung, dass der deutsche Staat Freiräume absichern soll, an denen idealerweise auf seine Überwindung hin gefeiert werden kann, auch ein bisschen widersprüchlich.« Dennoch begrüßt das Clubkollektiv den Antrag und sieht in ihm Realpolitik in bester Absicht. »Der Antrag versucht, die Clubs dem kapitalistischen Verwertungsdruck zu entziehen« – auch wenn er den Wirtschaftsfaktor der Clubkultur hervorhebe, um sie kulturpolitisch zu legitimieren.

Das About Blank ist wie auch die Wilde Renate und die Else wegen der geplanten Verlängerung der Berliner Stadtautobahn von der Schließung bedroht. »Angesichts der nahenden Klimakatastrophe kann die Dynamik eines aus Sicht der Verantwortlichen offenbar unaufhaltbaren Autobahnbauprojekts mitten durch einen Wohn- und Kulturkiez ein absurd-komisches Momentum eröffnen«, sagt der Mitarbeiter des About Blank. Ein parlamentarischer Antrag allein reiche aber nicht aus: »Ein selbstverwaltetes und widerständiges Handeln, das für den Erhalt von Freiräumen mindestens ebenso wichtig ist, kann er freilich nicht ersetzen.«

Auch der Geschäftsführer des Berliner Clubs Watergate, Steffen »Stoffel« Hack, ist zwiegespalten: »Es ist ein netter Antrag und ich bin bei den meisten Punkten d’accord. Aber er greift für mich zu kurz. Bei Gewerbe zu sagen, der Markt regele den Mietpreis, ist irre, unsozial und hilft nur den Immobilienbesitzern. Hier muss dringend reguliert werden«, sagt er der Jungle World. Seit 17 Jahren betreibt der ehemalige Hausbesetzer den Club am Berliner Spreeufer. In diesem Zeitraum hat sich die Miete verdoppelt.

 

Auch in Dresden stellt das Clubsterben eine reale Bedrohung für die Szene dar. Felix Buchta, der Pressesprecher des jungen Clubs »Objekt klein a«, begrüßt den Antrag. »Die Maßnahmen sind ein positives Zeichen für alle, die bundesweit progressive Clubkulturarbeit unter prekären Umständen betreiben«, sagt er der Jungle World. Das »agent of change«-Prinzip hätte beispielsweise auch dem Dresdener Club Sabotage helfen können, der 2017 wegen Lärm und Nachverdichtung habe schließen müssen, so Buchta.

»Objekt klein a« plädiert schon seit einer Weile für die Einführung von Kulturschutzgebieten für die Dresdner Neustadt und das Industriegelände, in dem der Club mit drei weiteren ansässig ist. »Gerade da müssen wir ein schleichendes Heranrücken der Wohnbebauung fürchten. Dieser hotspot der Dresdner Clubkultur steht seit jeher im Konflikt mit der nahegelegenen Hellersiedlung, einer der größten Kleingartenkolonien Deutschlands.«

Auch die Mietentwicklung in der Stadt stelle eine akute Gefahr für den Club dar. »Hier und da das Gemeinwohl vor das Recht auf Eigentum zu stellen und verantwortungslose Immobilienbesitzer zu enteignen, wäre sicherlich zweckdienlich. Wer sagt denn, dass ein Autobahnbau dem Gemeinwohl zuträglicher ist als die Bewahrung einer Kultur­institution?« fragt Buchta. Trotz der Notwendigkeit politischer Intervention möchte er allerdings den gegenkulturellen Geist der Szene bewahren: »Mein Credo wäre: So viel Unterstützung wie nötig, so wenig Eingriff wie möglich!«
Auch in Leipzig besteht dem Club­betreiber Steffen Kache zufolge die akute Gefahr eines Clubsterbens. »Es gibt hier sechs ernstzunehmende Clubs und drei sind von der Schließung bedroht«, sagt er der Jungle World. Auch sein Club Distillery muss in den nächsten zwei Jahren seinen Standort nach über 24 Jahren verlassen, weil daneben ein neues Wohngebiet entstehen soll. Kache ist im Bundesvorstand der »Live Musik Kommission« (Livekomm). Den Antrag der Linkspartei findet er zwar inhaltlich gut, kritisiert aber mangelnde Konsultation: »Was uns als Livekomm daran ärgert, ist, dass das mit uns nicht abgesprochen wurde.« Ein Kulturraumschutzgesetz hat der Verband schon längst selbst gefordert, Gespräche zwischen Livekomm und den Grünen im Bundestag zum Thema gab es bereits. »Ich hätte mir eine gemeinsame Aktion gewünscht, auch zusammen mit anderen Verbänden. Denn ein Antrag, der nur von der Opposition kommt, wird wahrscheinlich scheitern, und das ist ärgerlich.«

Caren Lay zufolge gab es wechselnde und unterschiedliche Signale aus an­deren Fraktionen, von den Grünen bis zur Union. Die Erfolgsaussichten für ihren Antrag sehen mau aus. »Der Erfolg misst sich aber daran, ob es gelingt, das Thema und das Überleben von Clubkultur auf die Agenda zu bringen«, sagt Lay. Am 7. November wurde der Antrag vom Bundestag in den Bauausschuss überwiesen, wo alle Fraktionen sich damit beschäftigen. Eine parlamentarische Lösung wäre allerdings auch nur ein kleiner Fortschritt. Denn viele Clubs sind mehr als wirtschaft­liche Betriebe. Sie sind gegenkulturelle Orte. Sie sind temporäre Paläste.