Eine Kritik der Animal Rebellion

Erdbeeren müssen nie weinen

Gruppen wie Animal Rebellion, Peta und Animal Liberation machen das Tierleid zur Priorität und damit Schlagzeilen. Sie neigen aber auch dazu, bioethisch, sprich: gleichgültig mit menschlichem Leid umzugehen.

Nach Extinction Rebellion nun also Animal Rebellion: Die Gruppe, ein Ableger der Klimaschützer, rief unter dem Motto »October Rebellion« zu verschiedenen dezentralen Protesten auf, vor allem in London. Für ­einige Aufmerksamkeit sorgte dabei der bizarre Auftritt von Mr. Broccoli, einem als Kohlkopf verkleideten Unterstützer von Animal Rebellion, im britischen Fernsehen. Neben solcher Maskerade gab es auch klassische Blockadeaktionen: Laut Independent gab es mehr als 20 Festnahmen, als Mitglieder von Animal Rebellion versuchten, den Fischmarkt von ­Billingsgate zu blockieren; dasselbe versuchten sie auch beim Fleischmarkt von Smithfield.

Animal Rebellion verfügt in Großbritannien nach eigenen Angaben über mehrere Dutzend Ortsgruppen, obwohl die Organisation erst im Juni gegründet worden sein soll. Dazu kommen Ableger in weiteren Ländern, darunter auch Deutschland. Ihr Ziel: die Transition zu einer rein pflanzenbasierten Nahrungsmittelindustrie.

Ihr oberster Grundsatz: Antispeziesismus. Deutsche Blogs und Websites in zu diesen Themen glänzten lange Jahre vor allem durch Inaktivität. Doch das dürfte sich ­ändern, das Abstraktum Klima schreit geradzu nach Subjektivierung, was sollte da besser geeignet sein als Tiere und das Leid von Tieren. Der Antispeziesismus stellt sich in eine Reihe mit Antirassismus und Antisexismus. Auf antispe.de heißt es dazu: »Speziesismus ist die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Art, so wie Rassismus und Sexismus die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe beziehungsweise zu einem Geschlecht sind. Antispeziesismus (Anti-Speziesismus) ist daher ebenso notwendig wie Antirassismus und Antisexismus.«

Leid und Angst gehören naturnotwendig zum Tiersein; Tiere könnten nur dann davon befreit werden, wenn sie keine Tiere mehr sein müssten. Der Antispeziesismus verkennt zudem, dass hier Ungleiches gleich gemacht wird, was in der Konsequenz Menschenfeindlichkeit relativiert. Jüngst hieß es auf einem Schild eines Klimademonstranten: »Wäre das Klima eine Synagoge … was für ein Aufschrei!« Solcherlei Entgleisungen treffen meist auch szeneintern auf Ablehnung. Der Antispeziesismus steht jedoch vor dem Problem, dass er sich wegen seiner Grundannahme kaum von solchen Aussagen abgrenzen kann. Wenn der Mensch auch nur ein Tier ist, dann passt, wenn man es zu Ende denkt, zwischen Auschwitz und Wiesenhof kein Blatt Papier, wie es erst vor zwei Monaten Katerina Kolozova vorexerzierte mit ihrer Studie »Capi­talism’s Holocaust of Animals – A Non-Marxist Critique of Capital, Philosophy and Patriarchy«.

Auch Organisationen wie Peta fahren gern gleich den Holocaust auf. Unvergessen bleibt die Peta-Kampagne Anfang der nuller Jahre mit dem Titel »Der Holocaust auf deinem Teller«. Die Kampagne wurde ver­boten. Die Auseinandersetzungen über Holocaust-Vergleiche von Tierrechtlern laufen seit mehr als 40 Jahren. Doch auch ohne Auschwitz-Vergleiche, ist der Antispeziesismus problematisch. Durch die Gleich­setzung von Mensch und Tier verschwimmen die Prioritäten ganz grundsätzlich. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge haben mehr als 820 Millionen Menschen weltweit nicht genug zu essen.

Die Forderung nach einer Vegani­sierung der gesamten Nahrungsmittelindustrie im globalen Maßstab darf gern ein Wunschtraum sein, der Stellenwert dieses Anliegens sollte aber doch unter dem liegen, den menschlicher Hunger darstellt.

Selbst wenn, wie in einer Erklärung auf plantbasednews von einem freiwilligen Helfer des Media-Teams von Animal Rebellion, anerkannt wird, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter unter den toxischen Verhältnissen der Nahrungsmittelindustrie litten und man sie sich nicht zum Feind machen wolle, folgt ein Aber: Die Rolle des Speziesismus müsse von Arbeiterinnen und Arbeitern der Fleischindustrie anerkannt werden, sie sollten sich als Verbündete in einen Kampf für eine vegane Nahrungsmittelindustrie einreihen.

Auch die maltesische Sektion von Animal Liberation erkennt an, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, wie Studien belegen, schwerwiegende psychische Schäden durch emotionale Belastungen während ihrer Tätigkeiten in der Fleischindustrie erleiden können. Darunter fallen häusliche Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch und PTBS sowie beispielsweise eine überdurchschnittliche Zahl von Verhaftungen wegen Gewaltverbrechen und Vergewaltigungen.

Die Menschenfeindlichkeit dieser Industrie thematisieren die Tierechtler aber in einer Weise, die die Arbeiterinnen und Arbeiter in möglichst schlechtem Licht erscheinen lässt: Schau, der hält grinsend einen Schweinekopf in die Kamera, was für ein böser Mensch das sein muss!

Es braucht keinen Biozentrismus, um die Misshandlung von Tieren abzulehnen, das geht auch schon ganz gut mit einem konsequenten Humanismus.

Dass es auch anders geht, bewies der sozialistische Autor Upton Sin­clair bereits vor über 100 Jahren, als er mit »Der Dschungel« eine schonungslose Abrechnung mit der Fleischindustrie in Chicago und ihrem verheerenden Einfluss auf die Beschäftigten vorlegte. Sinclair zeigt exemplarisch, dass es keinen Biozentrismus braucht, um die Misshandlung von Tieren abzulehnen, das geht auch schon ganz gut mit einem konsequenten Humanismus.

Die Fleischindustrie gilt es abzuschaffen, den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, doch dafür wäre statt des Biozentrismus ein tatsächlich konsequenter Anthropozentrismus vonnöten. Und statt einem angeb­lichen Speziesismus wäre vorrangig die kapitalistische Warenproduktion in Frage zu stellen. Hier zeigt sich ein weiterer inhärenter Widerspruch des Antispeziesismus: Wären die Menschen nur Tiere, warum sollten sie dann ihrem Arterhalt nicht die höchste Priorität zuordnen? Wenn man den endzeitlichen Grundzug der entsprechenden Bewegungen ernst nimmt, ergibt sich ein schwerwiegendes Problem. Gesetzt den Fall, dass nur noch wenig Zeit bliebe: Was gilt es zuvörderst zu retten?

Die Menschen, das Klima, die Tiere? Wenn die Beantwortung dieser Frage schwerfällt, ist die Menschheit wahrhaft in Sinclairs Dschungel verloren.