Die deutsche Autoindustrie fordert staatliche Hilfe

Bittsteller mit Rücklagen

Wegen der Coronakrise bittet auch die Autoindustrie um staatliche Hilfe. Nicht nur Umweltverbände äußern sich dazu kritisch.

Eine Mund-Nasen-Maske gehört nicht zum »unabweisbaren Mehrbedarf«. Das bedeutet: Hartz-IV-Empfänger erhalten vom Staat keinen Zuschuss für den Kauf solcher Masken zum Schutz vor Sars-CoV-2. Das urteilte das nordrhein-westfälische Landessozialgericht in Essen wenige Tage vor dem »Autogipfel«.

Bei diesem online abgehaltenen Treffen von Vertretern aus Politik, Industrie und Gewerkschaften ging es um staatliche Hilfen für die Autokonzerne. Diese müssen wohl nicht damit rechnen, gänzlich leer auszugehen. Dabei haben sie im Gegensatz zu Hartz-­IV-Beziehern enorme Rücklagen. VW verfügt über eine sogenannte Liqui­ditätsreserve von 25 Milliarden Euro, Daimler über 18 und BMW über zwölf Milliarden. Doch das Geld soll nicht zur Bewältigung der Krise aufgewendet werden. Die drei Konzerne wollen ins­gesamt 5,8 Milliarden Euro in Form von Dividenden an ihre Aktionäre auszahlen. Und für die Boni der Manager soll ja auch noch genug übrig bleiben.

Manager, Lobbyisten und etliche führende Politiker, darunter der Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann (Grüne), fordern trotzdem staatlich finanzierte Kaufanreize zum Wohl der Autoindustrie. Diese sollen ausdrücklich auch für Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotor gelten. Damit blieben mit fossilen Kraftstoffen angetrie­bene Fahrzeuge bis in die späten dreißiger Jahre des Jahrtausends in Deutschland der Standard. »Das bremst die schon heute zu langsame Modernisierung der Produktpalette, schadet dem Klima und verzögert den Ausbau von Alternativen zum Auto«, sagte Benjamin Stephan, ein Verkehrsexperte von Greenpeace, zu den Forderungen.

Bereits in der Krise ab 2009 bezuschusste der Staat den Kauf eines Neuwagens mit 2 500 Euro, insgesamt schüttete er fünf Milliarden Euro aus. Voraussetzung war, dass die Empfänger ihr altes Auto verschrotteten. Offiziell hieß der Kaufanreiz »Umweltprämie«. Neue Autos stoßen weniger Abgas aus als alte, so das Argument – das allerdings nicht aufging. Denn viele Käufer nutzten das Geldgeschenk, um sich ein größeres Modell zuzulegen. Insgesamt brachte die Prämie der Umwelt deshalb nichts. Das droht auch bei einer Neuauflage.

Die Covid-19-Pandemie macht den Autokonzernen zu schaffen. Im April liefen in Deutschland 10 900 PKW vom Band, ein Rückgang um 97 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Neuzulassungen gingen um 61 Prozent zurück, was allerdings immer noch die Erstanmeldung von 120 800 Autos bedeutet. »Von den Auswirkungen der Coronakrise ist die PKW-Produktion so stark betroffen wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik«, teilte der Verband der Automobilindustrie mit.

Der Autobranche geht es allerdings im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen gut. In den ersten drei Monaten 2020 haben VW und Daimler Gewinne in mittlerer dreistelliger Millionenhöhe gemacht. Anders als die Gastronomie, der Einzelhandel und der Kulturbetrieb können Autohersteller Ausfälle später ausgleichen: Wer sich im Frühjahr ein Auto kaufen wollte und es nicht getan hat, wird das wahrscheinlich nachholen. Zugleich sorgt aber die Aussicht auf einen staatlichen Zuschuss dafür, dass Interessierte mit dem Kauf eines Autos erst einmal warten – was dann als weiteres Argument für die schnelle Einführung dient.

Die Bundesregierung hat, anders als von vielen Beobachtern erwartet, beim »Autogipfel« in der vergangenen Woche keine Kaufprämie bewilligt. Sie will bis Anfang Juni über mögliche Hilfen entscheiden. Dann wird Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) voraussichtlich ohnehin ein großes Konjunkturpaket präsentieren. Gerade für die Sozialdemokraten ist es wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, dass die Reichen durch die Krise noch reicher und die Armen noch ärmer werden. »Wer staatliche Förderung in Anspruch nimmt, muss auch akzeptieren, dass in dieser Zeit keine Dividenden und Gewinne ausgeschüttet werden«, sagte Finanzminister Scholz. Ob es so kommt, ist ungewiss.

Zumindest lehnen zurzeit, anders als 2009, nicht nur die üblichen Verdächtigen aus Umweltverbänden und der Klimaschutzbewegung eine »Abwrackprämie« ab. Zahlreiche Ökonominnen und Ökonomen, auch konservative und solche aus dem Kreis der »Wirtschaftsweisen«, sind gegen eine Neuauflage. Sie verweisen etwa darauf, dass die Prämie den Absatz nur kurzfristig fördern würde und die Verkaufszahlen danach einbrächen – und dass sie ungerecht sei. Denn von der Prämie ­haben nur diejenigen etwas, die sich ohnehin ein neues Auto leisten ­können.