Die Arbeitskraft von Frauen auszubeuten, ist eine beliebte Strategie der Krisenbewältigung

Jetzt auch noch Masken nähen

Die Covid-19-Pandemie verstärkt auch die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Frauen unbezahlt zusätzlich arbeiten zu lassen, ist eine beliebte Strategie zur Bewältigung der Krise.

Trotz vieler Besonderheiten hat die Coronakrise eines mit anderen sozialen Krisensituationen gemein: Bestehende Ungleichheiten wachsen. So treffen die Auswirkungen sozialer Krisen und Katastrophen Frauen weltweit härter als Männer. Das gilt für Wirtschaftskrisen wie für Wirbelstürme. Während der Finanzkrise 2008 verloren zwar insgesamt mehr Männer ihren Arbeitsplatz, doch in den besonders betroffenen Branchen mit ohnehin geringem Frauenanteil verloren überproportional viele Frauen ihre Stellen. Einschneidende Arbeitsmarktreformen mit Flexibilisierung und Privatisierung waren zentrale Bestandteile der europäischen Austeritätspolitik. Sie betrafen besonders öffentliche Sektoren wie Bildung, Pflege und Gesundheit, in denen Frauen überdurchschnittlich vertreten sind.

Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie werden Schätzungen zufolge weit größer sein. Ihr ganzes Ausmaß ist noch nicht abzuschätzen. Dennoch zeigt sich bereits jetzt, dass Frauen auch im Vergleich zur Finanzkrise nicht nur stärker von den Folgen betroffen sein werden, sondern auch den größten Teil der gesellschaftlichen Arbeit leisten, die zur Überwindung der Krise notwendig ist.

Notwendige Sorgearbeit wurde in Zeiten schwindender Kaufkraft und noch mehr in Krisenzeiten ins Private verschoben.

Sorgearbeit erwies sich spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts als flexible Manöviermasse, die je nach Organsiation der Produktion oder Art der Krise mehr oder weniger gesellschaftlich oder marktförmig organisiert werden konnte. Die Kommodifizierung von Sorgearbeit geht oft einher mit der Umleitung dieser Arbeit ins Private oder Umwandlung in schlecht bezahlte Dienstleistungen. Im familiären Rahmen sollen Frauen die Institutionen ersetzen, die Sorgearbeit zuvor öffentlich angeboten hatten. Die für die Reproduktion des Kapitalismus notwendige Sorgearbeit wurde in Zeiten schwindender Kaufkraft und verstärkt in Krisenzeiten ins Private verschoben. Dort erledigten sie Frauen unbezahlt, die ohnehin schlechter entlohnt wurden und besonders von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Wie sehr nicht nur die Profitabilität des Kapitalismus, sondern auch die Bewältigung gesellschaftlicher Krisen von der bezahlten und unbezahlten, stets abgewerteten und vergeschlechtlichten Sorgearbeit abhängt, zeigt sich in der Pandemie abermals.

Das belegt die sich im Lohn kaum niederschlagende Anerkennung für die größtenteils von Frauen geleistete Arbeit im Gesundheits- und Pflegebereich, ganz zu schweigen von der wie selbstverständlich durch Schließungen von Kitas und Schulen in die Haushalte verlegten und auch hier größtenteils von Frauen übernommenen Sorge- und Erziehungsarbeit. In all dem zeigt sich die Aktualität einer patriarchal abgesicherten, in kapitalistischen Gesellschaften lang erprobten Krisenbewältigungsstrategie auf Kosten von Frauen (und Kindern).

Diese Strategie beruht auf der weiterhin verbreiteten Annahme, Frauen seien von Natur aus dazu bereit und moralisch dafür zuständig, die (zusätzliche) Sorgearbeit einfach zu übernehmen. Auch wenn theoretisch beide Elternteile im Fall der Kita- und Schulschließung für die Betreuung der Kinder verantwortlich gemacht werden, zeigten etwa der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zur Betreuungslücke, der sogenannten »Gender Care Gap«, dass Frauen vor der Coronakrise in Deutschland durchschnittlich bereits 52,4 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit übernahmen als Männer. Die Anfang April veröffentlichte Mannheimer Coronastudie über Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung ergab, dass in den ersten Wochen nach den Kita- und Schulschließungen etwa zwei Drittel der neu anfallenden Betreuungsarbeit von Frauen übernommen wurde – Tendenz steigend.

Auch macht sich ein Effekt bemerkbar, der bereits von der Elternzeit bekannt ist: Väter leisten deutlich weniger Elternzeit als Mütter. Nur rund 37 Prozent der Väter nehmen überhaupt Elternzeit, und von diesen nehmen die meisten nach wie vor nehmen nur die zwei Monate, die sie nicht an die Mutter abtreten können, um nicht auf das Elterngeld für diese Monate zu verzichten. Nicht einmal 2,5 Prozent aller Väter nehmen mehr als zwölf Monate Elternzeit.

Eine Erklärung für diese Ungleichverteilung ist finanzieller Natur: Da Frauen im Schnitt weniger verdienen als ihre männlichen Partner, wirkt sich eine Auszeit oder eine Verminderung der Erwerbsarbeitszeit der Mutter weniger stark auf das Familieneinkommen aus, als wenn der Vater für die Kinderbetreuung der Lohnarbeit fernbleibt. Das zeigte sich auch im März bei der Planung der Kita-Notbetreuung in Berlin. Während zunächst nur Kinder, bei denen beide Elternteile in systemrelevanten Berufen arbeiteten, Anspruch auf Notbetreuung hatten, ging man nach nur einer Woche zu einer »Ein-Elternteil-Regelung« über. Der Grund dafür war dem Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden zufolge, dass Frauen in systemrelevanten Berufen eher zu Hause blieben als ihre männlichen Partner, die zwar keiner systemrelevanten, aber dafür einer besser bezahlten Arbeit nachgingen. Doch solche politisch unerwünschten Auswirkungen der gesellschaftlichen Abwertung und geschlechtlichen Zuschreibung von Sorgearbeit dürften eher selten gewesen sein.

Eine Coronaelternzeit und ein Coronaelterngeld, wie es kürzlich von Wissenschaftlerinnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vorgeschlagen wurde, könnte daher einen ähnlichen Effekt haben wie die bisherige Elternzeitregelung. Auch wenn finanzielle Unterstützung vielen Familien durch Engpässe hindurchhelfen würde, eine gerechtere Verteilung der Sorgearbeit würde sie sicherlich nicht bewirken.

Die mediale Berichterstattung über die Kontaktbeschränkungen der vergangenen Monate war von Bildern sich aufopfernder Frauen gekennzeichnet. Sie nähen in fleißiger Heimarbeit Masken für die Familie und Nachbarinnen oder Nachbarn. Die Kinder betreuen sie natürlich auch neben der Arbeit im Homeoffice, beschulen und bekochen sie, von der sonstigen noch weniger beachteten Arbeit im Haushalt einmal ganz abgesehen. Auch andere solidarische Aufgaben, etwa für Ältere in der Nachbarschaft einzukaufen oder Freunde und Familienangehörige durch lange Telefonate vor der wegen Einsamkeit drohenden Depression zu bewahren, übernehmen Frauen – wie gehabt – weit häufiger.

Übliche Unterstützungsnetzwerke von Frauen funktionieren dagegen schlechter oder gar nicht mehr. Die Oma über 60, die die Kinder einmal in der Woche nachmittags betreute, die Freundin oder Tante, mit der die Sorgearbeit für Kinder geteilt wurde, stehen bei verantwortungsvollem social distancing nicht mehr zur Verfügung.

Die Coronamaßnahmen würden nicht funktionieren und wären nicht halb so erfolgreich, wäre diese kostenlose Abwälzung von Sorgearbeit und die Produktion der nun zur Pflicht erklärten Masken nicht so problemlos möglich gewesen. Trotz der medialen Inszenierung des Maskennähens beispielsweise bleibt die im häuslichen Bereich geleistete Mehrarbeit größtenteils unbeachtet und damit auch selbst von den billigsten Gesten der Anerkennung – wie etwa dem Klatschen von Balkonen – ausgenommen. Die Autorinnen einer in der vergangenen Woche veröffentlichen Studie der Hans-Böckler-Stiftung kommen zu dem Schluss, dass auf längere Sicht negative Folgen für das Erwerbseinkommen von Frauen drohten.Die bestehende Lohnlücke zwischen den Geschlechtern dürfte sich durch die Coronakrise allgemein weiter vergrößern. Was Krankenschwestern, Pflegerinnen und Erzieherinnen angeht, wird noch immer nicht ernsthaft über die notwendige gesellschaftliche Aufwertung von Sorgearbeit gesprochen. Die dringenden Probleme, Personalmangel, schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne, bleiben ungelöst. Und es ist zu befürchten, dass die derzeit wieder eingeübten Selbstverständlichkeiten in der Rollenverteilung langfristig fortwirken werden.

Krisen machen konservativ
In der Coronakrise legen CDU und CSU in Umfragen auf Bundesebene merklich zu. Die Grünen verlieren an Zustimmung, die SPD stagniert. Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, würden 39 Prozent der Wahlberechtigten CDU/CSU wählen. Das sind fünf Prozentpunkte mehr als im April. Die Union könnte vom gelassenen Krisenmanagement Angela Merkels profitiert haben, das ein Gefühl relativer Sicherheit vermittelte.

US-Präsident Donald Trump genießt trotz seiner erratischen Coronapolitik noch immer die Unterstützung knapp der Hälfte aller US-Amerikaner, in den vergangenen Wochen stiegen die Zustimmungswerte sogar gelegentlich.

Krisen haben auch unabhängig von der Beurteilung konkreter Maßnahmen zu ihrer Bewältigung einen Einfluss auf das menschliche Wertesystem. Ängste und Unsicherheiten stärken traditionelle und konservative Denkmuster, auch bezüglich der Geschlechterverhältnisse, oft ohne dass dies den Betroffenen bewusst wäre. Die Psychologen Daniel Rosenfeld und Janet Tomiyama von der University of California in Los Angeles haben über diesen Zusammenhang geforscht. »Sozial-konservative Haltungen gegenüber progressiven Ansichten zu bevorzugen, spiegelt den Wunsch nach Stabilität wider«, schreiben sie in einer Studie. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Bedrohung durch Covid-19 und die damit verbundenen Maßnahmen bei den Befragten die Zustimmung zu traditionellen Geschlechterrollen und -stereotypen leicht verstärken. Das galt sowohl für Männer als auch für Frauen. Für die Studie hatten Rosenfeld und Tomiyama etwa 2 000 Teilnehmer im Januar und im März sowie einige ein drittes Mal Anfang April befragt. JuHo