Im Kampf gegen sexualisierte Gewalt müssen Männer viel mehr in die Verantwortung genommen werden

Cis-Typen, macht euch verletzlich!

Feministische Politik sollte Cismännern im Kampf gegen sexualisierte Gewalt nicht nur eine passive Rolle zuweisen, sondern sie als verantwortliche Bündnispartner ernst nehmen.

diskoWie umgehen mit sexualisierter und sexueller Gewalt in der Linken? Bettina Wilpert diskutierte einige Vor- und Nachteile der dafür in der Szene angewendeten Konzepte (Sanktionen allein helfen nicht - Jungle World 23/2020). Bilke Schnibbe kritisierte den Umgang mit Tätern in linken Gruppen (Nutzlose Täterarbeit in linken Gruppen - Jungle World 24/2020).

 

Seit Beginn des Jahres wurden mehrere Fälle sexualisierter Gewalt bekannt, die in linken Räumen und auf linken Festivals stattfanden. FLINT* (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, geschlechtlich nichtbinäre und transgeschlechtliche Personen, Anm. d. Red.) organisierten sich daraufhin bundesweit und schufen eine Öffentlichkeit dafür, dass auch linke Räume keinen Schutz vor sexualisierter Gewalt und Sexismus bieten. Dabei wurde für viele Aktivistinnen einmal mehr die Bedeutung von FLINT*-Räumen als Orten des Rückzugs, aber auch des Zusammenhalts, der Handlungsfähigkeit und Stärke deutlich. Die Aktivistinnen riefen den Angriff auf den sexistischen Normalzustand in den eigenen Reihen aus. Zugleich forderten sie von linken Männern, sich mit den eigenen strukturellen Verstrickungen in sexualisierte Gewaltverhältnisse auseinanderzusetzen und den Kampf dagegen aufzunehmen, oft mit Verweis auf das Konzept der allyship.

Die Verantwortung von Männern im Kampf gegen das Patriarchat auf Hilfsgesten zu reduzieren, nimmt ihnen die Frage ab, welches Interesse sie selbst an seiner Abschaffung haben könnten.

Nachdem Bilke Schnibbe sich mit Fragen notwendiger Selbstreflexion von Männern beschäftigt hat (Nutzlose Täterarbeit in linken Gruppen - Jungle World 24/2020), wollen wir eine Perspektive ergänzen, die Möglichkeiten einer gemeinsamen feministischen Politik mit Männern auslotet. Wir betrachten die von Schnibbe vorgeschlagene Arbeit am männlichen Selbst als wichtige Voraussetzung, die aber nur etwas bewirkt, wenn aus ihr eine politische Praxis folgt. Wir werfen die Frage auf, was Möglichkeiten solcher politischen Praxis sein können und ob das Konzept der allyship dazu beitragen kann oder dieser eher im Weg steht.

Als ally (Verbündete/Verbündeter) wird eine Person bezeichnet, die sich für von Unterdrückung Betroffene einsetzt, ohne selbst diese Unterdrückungsform zu erleiden. Der Begriff beruht auf der Unterscheidung zwischen Betroffenen, die strukturell unterdrückt werden und keine Privilegien haben, und Personen, die strukturell von Unterdrückung profitieren. Wenn Letztere ihre Privilegien abgeben oder gegen Unterdrückungsverhältnisse einsetzen, können sie zu allies von Unterdrückten werden. Unterstützung kann beispielsweise darin bestehen, zuzuhören, den Unterdrückten Raum zu überlassen oder einzugreifen, wenn diskriminierende Aussagen getätigt werden. Allyship ist der Versuch, gesellschaftliche Machtverhältnisse in einer zwischenmenschlichen Situation umzukehren. Betroffenen wird die Macht zuges­prochen, die ihnen strukturell versagt bleibt. Das Konzept geht davon aus, dass nur unterdrückte Personen aufgrund ihrer Diskriminierungserfahrung wüssten, wie sich diese anfühlt und was gegen diese unternommen werden kann.

Eine solche Umkehrung setzt aber weder das Unterdrückungsverhältnis außerhalb der Interaktion außer Kraft, noch überwindet sie deren hierarchischen Charakter: Allies und Unterdrückte begegnen sich eben nicht auf Augenhöhe. Zudem überlagern sich Unterdrückungsverhältnisse wie Sexismus und Rassismus, weshalb es unterschiedliche Formen von Betroffenheit gibt und Gewaltverhältnisse sich situativ verschränken. Das bedeutet, dass Personen je nach Herrschaftsverhältnis gleichzeitig privilegiert und deprivilegiert sein können. Eine einfache Unterteilung in Unterdrückte und Unterdrücker blendet dies aus.

Das Konzept der allyship fordert in der Theorie, dass sich potentielle Verbündete mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen auseinandersetzten müssen, doch geht diese Einsicht in der Praxis zu oft verloren. Voraussetzung für den Kampf gegen Herrschaftsverhältnisse ist nicht primär die gesellschaftliche Positionierung einer Person beispielsweise als Frau oder person of color, sondern dass die Personen die Analyse der zu kritisierenden Machtverhältnisse teilen.

Angesichts sexualisierter Übergriffe auf linke Männer wütend zu sein, ist mehr als verständlich. Zu oft werden auch innerhalb der linksradikalen Szene Vorfälle externalisiert und zu selten werden sie in den eigenen Reihen oder mit Bezug auf eigenes Verhalten skandalisiert. Allerdings eignet sich Wut nicht als primäre Grundlage für eine feministische Politik, die Veränderungen bewirken soll.

Kämpfe und queerfeministische Bündnisse mit Männern erfordern, dass diese sich kritisch mit ihrer eigenen Männlichkeit auseinandersetzen. Sie müssen aber auch berücksichtigen, dass Männer selbst unter hegemonialen Männlichkeitsanforderungen leiden können. In FLINT*-Räumen gibt es nicht die eine Betroffenheit, genauso wenig wie die eine Erfahrung; dieselbe Diversität in Bezug auf Be­troffenheit und Erfahrung sollten wir auch Männern zugestehen – ohne zu negieren, dass Geschlecht Einfluss auf das Ausüben oder Erleben von Gewalt hat. Nur so lassen sich Ansatzpunkte finden, an denen Männer mit sich selbst ringen und ihr eigenes Ge­wordensein kritisch reflektieren können.

Deshalb halten wir Solidarität für ein besseres Konzept als allyship. Solidarität, wie wir sie verstehen, setzt voraus, gemeinsam über die unterschiedlichen Ursprünge und Ausdrucksformen von Herrschaft zu diskutieren sowie darüber, wie diese gemeinsam abgeschafft werden können.

Was ergibt sich aus diesen Überlegungen für queerfeministische Strategien nach den Vorfällen bei »Monis Rache« und dem Fusion-Festival? Wie so oft: Es ist kompliziert! Zugegeben: Männer haben nach den Vorfällen bei »Monis Rache« nicht Schlange gestanden, um emotionale Arbeit zu übernehmen oder sich mit Awareness-Kultur zu beschäftigen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung von Cis-Typen mit sexualisierter Gewalt auf den Festivals oder mit Ansätzen für einen solidarischen Umgang damit gab es kaum. Forderungen, dass Cismänner gute allies sein sollen, indem sie uns zuhören, für unsere FLINT*-Demonstration plakatieren gehen und für unser Streikcafé Kuchen backen, wirken demgegenüber alles andere als radikal. Sie reduzieren die Verantwortung von Männern, das Patriarchat und damit auch sexualisierte Gewalt zu bekämpfen, auf passive Hilfsgesten. Damit wird ihnen die eigene gesellschaftliche Analyse des Patriarchats abgenommen und somit auch die Beantwortung der Frage, welches Interesse sie selbst an seiner Abschaffung haben könnten. So kommt man über Wohlfühlblasen nicht hinaus und erzielt auch keine relevanten gesellschaftlichen Veränderungen.

Gerade im Fall der digitalen Gewalt auf beiden Festivals hätten solidarische Bündnisse geschmiedet werden können, denn betroffen von den heimlichen Aufnahmen waren alle Menschen, die die Klos beziehungsweise Duschen benutzt haben, ungeachtet ihres Geschlechts. Auch wenn hauptsächlich Videos von weiblich gelesenen Personen bekannt sind, gab es von der Fusion auch Bilder von Menschen mit männlich gelesenen Genitalien. Digitale Gewalt hat eine klare geschlechtsspezifische Dimension und betrifft FLINT* in patriarchalen Machtstrukturen anders als Männer. Aber: Die Schwierigkeit von Cis-Typen, sich als Betroffene zu sehen und damit die eigene Verletzbarkeit anzuerkennen, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass feministische Politik Männer lediglich als potentielle Täter oder allies, aber nicht als ebenfalls (potentiell) Betroffene anzurufen wusste.

Als Voraussetzung für einen gemeinsamen politischen Raum ist es notwendig, dass sich Männer eigenverantwortlich mit ihrer (heterosexuellen Cis-)Männlichkeit kritisch sicht- und hörbar auseinandersetzen – in Bezug sowohl auf Täterschaft als auch auf die eigene Betroffenheit im Patriarchat. FLINT*-Räume bleiben für uns notwendige Orte des Schutzes und Empowerments – mit bell hooks (US-amerikanische Autorin, Feministin und Aktivistin, Anm. d. Red.) plädieren wir aber dafür, sie als strategische Orte zu begreifen, als Mittel feministischer Politik und nicht als ihren Zweck. Es braucht Bündnisse auch mit Männern, um gemeinsam die Verantwortung für die feministische Veränderung der Gesellschaft zu übernehmen. Wir müssen Ideen für den Kampf gegen sexualisierte Gewalt entwickeln, die für Cis-Typen mehr parat haben, als ausgeschlossen oder woke ally zu sein.