Ein Gespräch mit Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)

»Heilen, bis die Menschen verrecken«

Interview Von Stefan Laurin

Die Covid-19-Pandemie verändert das Geschäft der Quacksalber und Scharlatane. Die versuchen, die Unsicherheiten und Zweifel der potentiellen Kunden auszunutzen.

Bernd Harder ist Pressesprecher und ehemaliges Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Er ist Chefreporter der von der GWUP herausgegebenen Zeitschrift »Skeptiker« und Chefredakteur einer medizinischen Fachzeitschrift. Sein Buch »Verschwörungstheorien. Ursachen – Gefahren – Strategien« erschien im Alibri-Verlag. Mit der »Jungle World« sprach er darüber, wie die Covid-19-­Pandemie das Geschäft der Quack­salber verändert hat.

 

Seit fast einem halben Jahr ist die Covid-19-Pandemie das alles bestimmende Thema. Wie hat die Szene der Pseudomediziner und Quacksalber darauf reagiert?

Zwei Homöopathenverbände waren zu Beginn von der Pandemie sehr beeindruckt und haben ihren Mitgliedern empfohlen, sich an die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts zu halten. Aber es dauerte nicht lange, bis diese Empfehlungen wieder relativiert wurden. Heute achtet man darauf, sich rechtlich nicht angreifbar zu machen, aber zwischen den Zeilen scheint die Emp­fehlung an die Mitglieder zu lauten: »Macht, was ihr wollt.«

Verwundert Sie das?

Nein, überhaupt nicht. Die Organisation »Homöopathen ohne Grenzen« ist in Afrika unterwegs und will mit homöopathischen Methoden Ebola heilen. Wer glaubt, er könne das extrem tödliche Ebolavirus bekämpfen, an dem zwischen 50 und 90 Prozent der Infizierten sterben, hat vor dem deutlich weniger gefährlichen Coronavirus erst recht keinen Respekt.

Die Szene der Pseudomediziner ist groß und bunt. Neben den Homö­opathen gibt es noch alle möglichen Schamanen und Heiler.

Auch die anderen Quacksalber haben sich schnell auf Covid-19 eingestellt und gingen mit der Zeit. Vom 23. März bis zum 8. April gab es einen Kongress, natürlich via Zoom. Da traten dann spirituelle Lehrer, Kräuterfrauen, Bewusstseinsforscher, Verschwörungstheore­tiker, Möchtegernjournalisten und Heilpraktiker auf. Es war ein Stelldichein des Absurden. Themen waren »eine neue Sicht auf das Coronavirus«, die Bedeutung der Prophezeiung der Maya für die heutige Zeit und die Leugnung der Existenz von Viren. Das betraf dann natürlich auch Corona. Sogar eine Feuerzeremonie gab es, die eine Verbindung zum Baum des Lebens schaffen sollte. Ernst nahm Covid-19 von diesen Leuten niemand. Die Szene macht so weiter wie immer. An ihrer Selbstüberschätzung hat sich nichts geändert. Man ist nach wie vor davon überzeugt, über geheimes Wissen zu verfügen, das sich Ärzten nicht offenbart, und hält sich für unterschätzt und unterdrückt.

Was bieten die Quacksalber, um an das Geld der Gläubigen zu kommen?

Jeder hat seine eigene Methode, aber sie gleichen sich in einem Punkt: Sie versuchen, die Zweifel und Unsicherheiten der Kunden auszunutzen. Was im Moment hoch im Kurs steht, sind Mittel zur Stärkung des Immunsystems. Nur kann man das Immunsystem gar nicht stärken, schon die Idee ist grundfalsch. Unser Immunsystem ist ausgewogen – es darf auf Bedrohungen weder über- noch unterreagieren. Bei Covid-19 trägt ja die Überreaktionen des Immunsystems zu einem schweren Krankheitsverlauf bei. Viele verkaufen jetzt hochdosierte Vitamine und exotische Pflanzen. Da sind die Gewinnspannen sehr hoch, das lohnt sich.

Wie sind die Reaktionen der Kunden?

Das ist schwer einzuschätzen und sie haben sich auch während der Pandemie verändert. Im April habe ich in einem Interview gesagt, ich würde schätzen, dass selbst von den zehn Prozent der Bevölkerung, die Impfskeptiker sind, sich viele gegen Covid-19 impfen lassen würden, denn es ist ja absehbar, dass es wohl nur mit einer Impfung eine Rückkehr zum normalen Leben geben kann. Ich war also bei den Impfskeptikern optimistisch, natürlich nicht bei den Impfgegnern. Bei denen ist Hopfen und Malz verloren, die glauben oft, es gebe gar keine Viren, und hängen paranoiden Verschwörungs­theorien an.

Und heute?

Heute bin ich nicht mehr so zuversichtlich. Nach den ­Ergebnissen der neuesten Cosmo-Studie (Covid-19 Snapshot Monitoring, Anm. d. Red.) der Universität Erfurt von Ende Juni würden sich nur noch 64 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik impfen lassen, wenn es einen Impfstoff gegen ­Covid-19 gäbe. Im April waren das noch 79 Prozent. Wir sehen hier das Ergebnis des Präventionsparadoxons. Durch die Schließung der Schulen und Geschäfte, durch das Verbot von Veranstaltungen aller Art und den umfassenden Ausbau der Krankenhauskapazitäten ist es in Deutschland bislang nicht zu der großen befürchteten Coronakatastrophe gekommen. Szenen wie in Norditalien, wo Militär-LKW Tote abtransportieren mussten, gab es nicht.

Viele glauben nun, die Gefahr sei vorbei oder Covid-19 doch nicht gefährlicher als eine normale Grippe. Im April war die Angst vor Covid-19 größer, obwohl die Lage heute weltweit deutlich schlimmer ist als damals. Aber die Nachrichten aus Brasilien, den USA oder Großbritannien dringen kaum mehr durch. Für die Quacksalber ist der relativ milde Verlauf der Pandemie in Deutschland, obwohl es auch hier ja bereits fast 10 000 Todesfälle gab, der Beleg dafür, dass sie immer schon recht hatten, es Sars-CoV-2 gar nicht gibt oder die Pandemie nicht schlimmer als eine normale Grippe ist. Ich fürchte, dass sich daran nichts mehr ändern wird, wenn sich die Lage bei uns nicht verschlimmert.

Es gibt keine Viren, ein paar Vitamintabletten helfen gegen eine Pandemie und Ebola lässt sich mit Zuckerkügelchen heilen. Zum Teil wird das ja von Menschen behauptet, die Medizin studiert haben und nicht nur von irgendwelchen Irren, die bei Vollmond um Bäume tanzen. Glauben die das wirklich oder haben sie nur einen eleganten Weg gefunden, anderen das Geld aus der Tasche zu ziehen?

Das ist in der Szene sehr unterschiedlich. Es gibt Ärzte, die immer mit ihrem Fach gehadert haben und wirklich an Globuli und allen möglichen Hokuspokus glauben. Das sind Überzeugungs­täter. Die ziehen, wie gesagt, auch durch Afrika und kämpfen mit Zucker gegen tödliche Seuchen, Schlangenbisse und Epilepsie. Dann gibt es die Geschäftemacher. Die reden die Pandemie klein, warnen vor der angeblich so bösen Pharmamafia und raten von konventionellen Behandlungen ab. Von denen haben etliche auf ihrer Homepage einen Shop und bieten Vitamine und Stärkungsmittel an. Die sind nicht nur Ärzte, sondern auch Kaufleute. Und dann sind da die Narzissten: Die sehen jeden Tag Christian Drosten im Fern­sehen und in der Zeitung und sind anscheinend von Neid zerfressen. Der hat die ganze Aufmerksamkeit und sie nicht. Wie kommt man an Aufmerksamkeit? Indem man das Gegenteil von dem erzählt, was Drosten und anderen Experten sagen. Damit hat man gute Chancen, zumindest mal in den Lokalteil zu kommen.


Und dann gibt es noch die sogenannte Germanische Neue Medizin.

Die Germanischen Neuen Medizin, die ein antisemitischer Verschwörungsideologe erfunden hat, bestreitet die Existenz von Viren, da bleibt man sich also treu. Auch in der alten germanischen Medizin vor 2 000 Jahren waren Viren ja noch unbekannt. Auf das Geschäft mit Viruserkrankungen möchte man natürlich trotzdem nicht verzichten und deutet sie um: Alle Krankheitsbilder würden durch Schockerlebnisse und innere Konflikte verursacht. Und da ist man natürlich gegen Geld gerne bereit zu helfen. Die heilen dann, wie bei ihrer Krebstherapie, bis die Menschen verrecken.