In Erfurt kam es innerhalb kurzer Zeit zu zwei brutalen Naziangriffen

Rechter Alltag in Erfurt

Zwei Mal innerhalb einer Woche kam es in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt zu brutalen Angriffen. Die mutmaßlichen Täter sind fest ins lokale Neonazimilieu integriert. Polizei und Justiz gehen nur selten und nicht sehr intensiv gegen die extreme Rechte vor.

Immer wieder kommt es im Freistaat Thüringen zu willkürlichen oder ­gezielten Angriffen von Neonazis auf Schwarze, Linke und alternativ Aus­sehende. Allein in diesem Jahr dokumentierte Ezra, die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, mindestens drei Fälle von versuchter Körperverletzung durch Rechtsextreme. Besonders die Landeshauptstadt Erfurt gilt in dieser Hinsicht als gefährlich. Theresa Lauß, eine Beraterin von Ezra, sagte der Jungle World, dass die Stadt seit fünf Jahren die Jahresstatistik rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe in Thüringen anführe.

Die Zielgerichtetheit des Angriffs und die Schwere der Verletzungen bei den Betroffenen legten einen Kampfsporthintergrund der mut­maßlichen Täter nahe.

Zwei Vorfälle in den vergangenen zwei Wochen schreiben diese Statistik Erfurts fort. Scheinbar willkürlich überfiel in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli eine aus knapp 30 Personen bestehende Gruppe etwa 20 Menschen, die sich auf dem Platz vor der Thüringer Staatskanzlei aufhielten. Dabei wurden nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft mindestens fünf Menschen verletzt, einer davon schwer. Wie der MDR berichtete, hatten sich einzelne Angreifer zunächst unter die 15 Betroffenen gemischt und dann angefangen, auf sie einzuschlagen. Lauß verwies im Gespräch mit der Jungle World auf die besondere Härte des Angriffs. Es sei nicht davon auszugehen, dass dies der erste Angriff der Täter gewesen sei. Sie hätten auch noch auf Personen eingetreten, als diese schon am Boden ­lagen und die Polizei eintraf. Diese konnten drei der mutmaßlichen Angreifer in Gewahrsam nehmen, für die sich jedoch kein dringender Tatverdacht ergeben habe, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt mitteilte. Die Polizei ließ die 17, 24 und 25 Jahre alten Festgenommenen wieder frei.

Während die Staatsanwaltschaft noch keinen Grund für den Angriff erkennen kann, gehen Politiker und antifaschistische Initiativen von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Der Einschätzung von Ezra zufolge griffen die Täter ihre Opfer wegen deren äußerer Erscheinung als vermeintlich links oder alternativ an. Katharina König-Preuss, die Sprecherin für Antifaschismus der Landtagsfraktion der Linkspartei, machte in einer Mitteilung ­darauf aufmerksam, dass es dafür Hinweise gebe: Die Tatverdächtigen hätten einschlägige Szenekleidung getragen und Verbindungen ins lokale Neonazimilieu. Wie zielgerichtet sie angriffen und wie schwer die Betroffenen verletzt worden seien, legte einen Kampf­sporthintergrund der mutmaßlichen Täter nahe.

Auch Fabian Müller von »Dissens«, einer antifaschistischen Gruppe aus Erfurt, machte im Gespräch mit der Jungle World auf die Verbindungen der Angreifer in das neonazistische Milieu aufmerksam. So sei einer von ihnen der Neonazigruppe »Kollektiv 56« zuzuordnen, die den sogenannten autonomen Nationalisten angehöre. Die Gruppe diene in Erfurt als Bindeglied zwischen verschiedenen Strömungen des Neonazimilieus, wie dem »Jungsturm Erfurt«, einer Gruppe von Fußball-Hooligans aus dem Umfeld des FC Rot-Weiß Erfurt (Jungsturm sieht alt aus - Jungle World 21/2020), und anderen Organisation, wie der neonazistischen Kleinpartei »Der III. Weg«. Nach Angaben von »Dissens« war »Kollektiv56« immer wieder an Angriffen auf politische Gegner und Migranten in Thüringen, aber auch am Angriff auf den linksalternativen Leipziger Stadtteil Connewitz im Jahr 2016 beteiligt.

In Reaktion auf den Angriff der Rechtsextremen hatten antifaschistische Initiativen für den vergangenen Samstag zu einer Demonstration unter dem Motto »Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt« aufgerufen. Medienberichten zufolge folgten 400 Menschen dem Aufruf. Schon kurz nach Bekanntwerden des Angriffs an der Staatskanzlei veranstalteten in Erfurt knapp 100 Menschen eine Spontan­demonstration. Ziel sei es gewesen, zu zeigen, dass die Taten der Nazis nicht ohne Gegenreaktion blieben, so Müller. Er monierte, dass sich die Thüringer Öffentlichkeit schwertue, angemessen auf extrem rechte Angriffe im Freistaat zu reagieren. Grund dafür sei auch, dass die Polizei Informationen nur sehr zögerlich herausgebe. Lauß verwies zudem auf Fehlinformationen der ­Polizei. So sei in einer ersten Pressemitteilung von einem »Aufeinandertreffen alkoholisierter Gruppen« die Rede gewesen, obwohl die Betroffenen ohne vorherige Interaktion angegriffen worden seien. Ausgehend von diesen Fehlinformationen hätten Lokalmedien den Vorfall völlig entpolitisiert und als »Massenschlägerei« bezeichnet.

Wie der MDR berichtete, attackierten in Erfurt in der Nacht zum Samstag, also genau eine Woche nach dem Angriff vor der Staatskanzlei, zehn bis zwölf Personen drei Männer aus Guinea zunächst verbal, später auch körperlich. Auch in diesem Fall wurden die Angreifer nach kurzzeitigem Gewahrsam wieder freigelassen. Die Polizei sprach in einer Pressemitteilung zwar von ­einem »fremdenfeindlichen Übergriff«, nannte es aber zugleich eine »Streitigkeit« und eine »Auseinandersetzung«. Auf diese Weise bagatellisiere sie das rassistische Motiv der Tat, so Lauß. Die Täter verletzten bei ihrem Angriff ­einen der Männer schwer und einen weiteren leicht. Der Schwerverletzte ­befand sich zeitweise in kritischem Zustand.

Das Gebäude, vor dem sich der Angriff ereignete, befindet sich im Besitz der Kleinpartei »Der III. Weg«. Die Täter stammen nach Angaben von Katharina König-Preuss aus dem Umfeld der Partei. Die Abgeordnete wies darauf hin, dass »Der III. Weg« Kampfsporttraining nicht nur für militante Neonazis, sondern auch für Kinder und Jugend­liche anbiete. Ziel sei es, Menschen zu verletzen und Angst zu schüren. König-Preuss forderte ein Verbotsverfahren gegen die Kleinpartei.

Nach den beiden extrem rechten Angriffen fordern Initiativen wie Ezra eine schnelle Aufklärung der Taten. In der Vergangenheit zeigte sich bei ­vergleichbaren Fällen, dass die Täter wenig zu befürchten haben. Beispielsweise überfielen im Jahr 2014 militante, organisierte Neonazis eine örtliche Kirmesgesellschaft in Ballstädt. Nach sechseinhalb Jahren sind die Angreifer immer noch ohne Strafe. Ein Urteil des Landesgerichts Erfurt wurde wegen Fehlern bei der Urteilsbegründung vom Bundesgerichtshof aufgehoben.

»Unser Eindruck ist, dass Polizei und Justiz hier die Verfahren von Neonazis verschleppen«, so Fabian Müller von »Dissens«. Oftmals würden Täter zudem zu sehr geringen Strafen ver­urteilt, ergänzt Lauß. Das sei ein fatales Signal an das organisierte Neonazi­milieu: »Ein verschlepptes Verfahren nützt im Zweifelsfall eben nur den ­Tätern.«