An der B96 in Sachsen ­demonstrieren weiterhin Rechtsextreme

Die Menschen zwischen Bautzen und Zittau

Seit Wochen protestieren jeden Sonntag entlang der Bundesstraße 96 in Sachsen Hunderte gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Wer darauf aufmerksam macht, dass sich zahlreiche Rechtsextreme an den Protesten beteiligen, muss mit Anfeindungen und Angriffen rechnen.

Aus den Sächsischen Mittelgebirgen über die Lausitzer Tagebaugebiete, entlang der Berliner Mauer und vorbei an malerischen Seen führte die Fernverkehrsstraße 96 (F96) bis an die Ostseestrände auf der Insel Rügen. Die »ostdeutsche Route 66«, wie sie gern genannt wurde, bildete eine zentrale Verkehrsachse der DDR. Als das SED-Regime im Herbst 1989 ins Wanken geriet, zogen sich Lichterketten als Zeichen des Protests entlang der F96 durch die gesamte DDR. Diejenigen, die sich mehr als 30 Jahre später auf diese Geschichte beziehen, rufen ebenfalls nach Freiheit, zudem halten sie mit einer Hand das Grundgesetz hoch. Viele schwenken mit der anderen Hand allerdings Flaggen in den Farben Schwarz-Weiß-Rot.

Selbst einfache Aufkleber, die sich gegen die rechtsextremen Straßenversammlungen an der B96 wenden, lösten in Ostsachsen Empörung aus.

Im Mai hatten sich entlang der Bundesstraße 96 (wie sie inzwischen heißt) kurzzeitig kleinere Menschenketten gebildet, um die Bundes- und Landesregierung dazu aufzufordern, die aus Gründen des Infektionsschutzes erlassenen Einschränkungen aufzuheben. Mittlerweile sind die Demonstranten nur noch an einem kurzen Streckenabschnitt zwischen Zittau und Bautzen anzutreffen. An verschiedenen Treffpunkten sammeln sich jeden Sonntag um zehn Uhr für eine Stunde Anhänger von Pegida, AfD-Wähler, Verschwörungsideologen, Reichsbürger und Neonazis, um am Straßenrand ihre Fahnen zu schwenken. Ein Lautsprecherwagen fährt Teile der Strecke ab, um mit der eigens komponierten Hymne mit dem Titel »Sachsen zeigt Gesicht« die Dörfer zu beschallen.

Die Landkreisverwaltung konnte sich bisher nicht dazu durchringen, die sonntäglichen Treffen als Versammlungen zu werten. Schließlich gebe es keinen Anmelder, dem gegenüber Auflagen geltend gemacht werden könnten, teilte die Versammlungsbehörde der Sächsischen Zeitung mit. Die Organisatoren der Proteste schalten jedoch ­Anzeigen in kostenlosen Wochenzeitungen in der Region und werben in Facebook- und Telegram-Gruppen. In Wortbeiträgen im Internet wettern sie gegen die ihrer Meinung nach sinnlose Maskenpflicht und beharren darauf, dass ihre Proteste mit Rechtsextremismus nichts zu tun hätten. In Deutschland werde die Meinungsfreiheit beschnitten, auch andere Grundrechte würden abgeschafft.

Als sich Mitte Juni eine »Karawane der Vernunft« unter dem Motto »Pa­radiesvögel statt Reichsadler« auf den Weg machte, um mit 30 bunt geschmückten Fahrzeugen die Strecke abzufahren, war es bei den Protestierenden mit dem Ruf nach Meinungsfreiheit jedoch vorbei. Demonstranten bespuckten Autos der »Karawane«, beschimpften und bedrohten die Insassen und versuchten, Transparente und Fahnen von den Autos zu reißen. Die Schauspielintendantin des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau (GHT), Dorotty Szalma, die mit ihrem Kind in einem der Autos saß, sagte später in einem Interview, der Karawane sei »eine unglaubliche Menge Hass entgegengekommen«. Der Anmelder der »Karawane«, der Landtagsabgeordnete Mirko Schultze (Linkspartei), erhob Vorwürfe gegen die Polizei: Diese habe den ungestörten Ablauf der angemeldeten Gegendemonstration nicht sichergestellt.

Noch bevor der Konvoi die größten Ansammlungen der sonntäglichen Aufzüge erreichte, hielten Beamte die Fahrzeuge an. »Die Polizei hatte anscheinend einen gewissen Respekt davor, uns in Hör- und Sichtweite der Hotspots entlangzuführen«, sagt Dorothea Schneider vom Verein »Augen auf – Zivilcourage zeigen« aus Löbau im Gespräch mit der Jungle World. Obwohl im Auflagenbescheid genehmigt, untersagte die Polizei an Ort und Stelle das Abkleben der Nummernschilder der »Karawane der Vernunft«. »Bedrohungen im privaten Umfeld sind für Aktive hier in der Region die Regel«, sagt Schneider. In einem ländlich geprägten Gebiet sei schnell klar, wer man sei und wo man wohne. Tatsächlich beschmierten Unbekannte ein privates Fahrzeug, das an der »Karawane« teil­genommen hatte, wenige Tage später mit grüner Farbe. Am Fahrzeug und an der Wohnungstür der Fahrzeughalter fanden sich aufgesprühte Haken­kreuze.

Nach der Protestfahrt versuchte die AfD, Stimmung gegen den Geschäftsführer des GHT, Caspar Sawade, zu machen, weil auch ein Fahrzeug des Theaters teilgenommen hatte. Das GHT habe als Einrichtung des Öffentlichen Rechts seine Neutralitätspflicht verletzt, behauptete die Partei. Sie reichte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Sawade ein. Diese Beschwerde und weitere Anfeindungen liefen ins Leere und Sawade bezeichnete es in einem Interview als »Ehre«, »wenn die AfD mir Fehlverhalten vorwirft«; dennoch hat der Aufsichtsrat des GHT beschlossen, dass die Einrichtung sich einen Verhaltenskodex erarbeiten müsse, um die zukünftige Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen zu regeln.

Ein Lokaljournalist der Sächsischen Zeitung bemängelte in einem Leit­artikel: »Flaggen und Transparente an Autos zeigten auch Anhänger der vom Verfassungsschutz teilweise als linksextrem eingestuften ›Antifa‹.« Wenige Tage zuvor waren die entlang der B96 zu sehenden schwarz-weiß-roten Reichs­fahnen in einer Bildunterschrift in der Zeitung als »Fahnen aus verschiedenen Epochen der deutschen Geschichte« bezeichnet worden. Der Oberbürgermeister von Bautzen, Alexander Ahrens (SPD), warf einem Reporter des Tagesspiegels »Rassismus gegen Sachsen« vor, weil dieser über die rechtsextremen Proteste an der B96 berichtet und den politisch Verantwortlichen fehlende Haltung attestiert hatte.

Selbst einfache Aufkleber, die sich gegen die Straßenversammlungen an der B96 wenden, lösten in Ostsachsen Empörung aus. Nachdem Unbekannte einige Laternen in Ortschaften an der B96 mit Aufklebern mit der Aufschrift »B96 – Straße der Schande« beklebt hatten, schrieb der Zittauer Stadtrat Wolfgang Wauer (Freie Unabhängige Wähler) auf seinem Facebook-Profil: »Der Protest an der B96 geht nach einer Stunde wieder – aber dieser Dreck bleibt. Nichts rechtfertigt eine solche Aktion.« Er bezeichnete die »Karawane der Vernunft« als »hasserfüllte, kennzeichenabklebende, vermummte Antifanten«.

Wenn Wauer gerade keine Mobilisierungsvideos für die Aufzüge an der B96 oder die Protesthymne auf sozialen Medien verbreitet, ist er als »DJ Woll-E« auf Dorf- und Vereinsfesten in der ­Region unterwegs. Die schwarz-weiß-roten Fahnen bezeichnet er als »Fahnen aus dem Kaiserreich« und verschweigt, dass es sich auch um die offiziellen Reichsfarben des national­sozialistischen Deutschlands handelt. Auffällig ist, dass er sich genauso wie andere Protestierende an der B96 mit der bundesweiten Szene der Verschwörungsgläubigen vernetzt und deren Beiträge in der Region verbreitet. Es ist davon auszugehen, dass diese Kreise neue Anlässe finden werden, um gemeinsam zu demonstrieren.